Immer mehr Bundesligisten setzen auf Big Data. Auch in Hamburg wird jeder Schritt vermessen. Der Club denkt nun über neue Systeme nach

Johan Djourou wollte es genau wissen. Die Trainingseinheit des HSV am Dienstagnachmittag war noch gar nicht beendet, da suchte der Schweizer bereits den Weg zu Daniel Müssig. Auf dem Tabletcomputer des Athletiktrainers konnte Djourou genau verfolgen, wie er sich in den Minuten zuvor bewegt hatte. „Ich war überrascht, wie gut es schon wieder ging“, sagte der HSV-Kapitän, der wegen eines Virusinfekts in den vergangenen Wochen nur eingeschränkt trainieren konnte. „Ich fühle mich körperlich bei 60 bis 70 Prozent. Vielleicht kann ich am Wochenende schon dabei sein“, sagte Djourou nach seiner Rückkehr in das Mannschaftstraining.

Ob der Verteidiger mit der Einschätzung seiner Leistungsfähigkeit richtig lag, konnte Athletiktrainer Müssig nach dem Training anhand verschiedener Daten bewerten. Wie schnell ist Djourou gelaufen? Welche Distanz hat er zurückgelegt? Wie stark konnte er beschleunigen? Und vor allem: Mit welcher Herzfrequenz bestritt Djourou das Trainingsprogramm? Werte, die das Trainerteam durch die Nutzung eines Trackingprogramms direkt einsehen kann. Der HSV verwendet in dieser Saison das „Polar Team Pro System“. Die HSV-Spieler tragen in fast allen Trainingseinheiten Sensoren unter ihren Trikots, mit denen die Werte unmittelbar auf die Computer übertragen werden. Athletiktrainer Müssig verfügt auf seinem Tablet mittlerweile über einen riesigen Datensatz, mit dem jeder Schritt der HSV-Profis im Training ausgewertet werden kann. Big Data heißt der Trend, der längst im Bundesligageschäft angekommen ist.

Nachwuchschef Peters testet derzeit mehrere Analysesysteme

Ein großer Freund der digitalen Trainingsmethodik ist Bernhard Peters. Der Direktor Sport, verantwortlich für die Nachwuchsabteilung des HSV, beobachtete kürzlich im Volkspark, wie die Profis ein neues System zur Datenerfassung testeten. Statt der gängigen Praxis mit GPS-Sendern baute Müssig ein Feld mit sechs Funkmasten auf. Der Vorteil dieses Systems: Die Trainer haben die Möglichkeit, die Laufwerte der Spieler in Form eines Live­trackings zu verfolgen. So kann Trainer Bruno Labbadia in Realgeschwindigkeit sehen, wann seine Profis die maximale Herzfrequenz erreicht haben und wann sie bereit sind für die nächste Belastung. Der HSV spricht dabei gerne von Trainingssteuerung.

Neben den gängigen Werten der Laufdistanz oder der Sprintgeschwindigkeit bietet das System die Möglichkeit, die Abstände zwischen den Spielern zu messen. So könnte die Methode auch in taktischen Einheiten wichtig werden. Noch sind sich die HSV-Verantwortlichen aber nicht sicher, ob sie das System kaufen. „Wir sind ständig auf der Suche nach Methoden, um die Objektivierung von Leistung zu verbessern“, sagt Peters. „Wir testen mehrere Systeme. Welches wir uns zulegen werden, ist noch nicht entschieden.“

Entscheiden muss sich der HSV dann auch, ob er seinen gesamten Nachwuchs mit dem Analysesystem ausstattet. Eine Diskussion, die maßgeblich durch die finanziellen Möglichkeiten des Vereins beeinflusst wird. Für die Nutzung des aktuellen Programms Polar zahlt ein Bundesligist pro Saison eine Summe von 12.000 Euro. Neben dem HSV haben auch Schalke, Hoffenheim und Werder Bremen die Lizenz dieses Anbieters erworben. Die meisten Vereine in der Bundesliga nutzen bislang den Marktführer Catapult. Das Geschäft ist umkämpft. Immer mehr Konkurrenten drängen auf den Markt.

Für Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule Köln gehen die Datenerhebungen der Bundesligisten noch nicht weit genug. Der Leiter des Instituts für Kognitions- und Sportspielforschung beschäftigt sich mit der Erhebung von spieltaktischen Datenwerten. „Die meisten Clubs setzen zu sehr auf Daten, die nur eine geringe Aussagekraft haben“, sagt Memmert. Gemeinsam mit Jürgen Perl hat er deshalb das Programm „Soccer“ entwickelt. Darin werden die von der DFL erhobenen Daten auf spieltaktische Erkenntnisse ausgewertet, die über die gängigen Werte hinausgehen. So kann man anhand des Programms analysieren, welche Spieler ein erfolgreiches Pressingverhalten oder eine gute Raumkontrolle unter Druck des Gegners aufweisen. Nicht die Anzahl von Pässen wird dabei erhoben, sondern die Effektivität, das heißt, wie viele Gegenspieler etwa vertikal überspielt werden. „In diesem Bereich arbeiten die Bundesligisten noch stiefmütterlich. Dieser Markt hat das größte Wachstumspotenzial“, sagt Memmert. Europäische Topclubs nutzen das Programm, auch die ersten Bundesligisten zeigen mittlerweile Interesse. Der HSV allerdings noch nicht.

Athletiktrainer Daniel Müssig setzt bei den bestehenden Auswertungstools aber nicht nur auf Leistungsdiagnostik. Die Rückmeldung der Werte könne sich auf die Spieler motivationssteigernd auswirken. Gojko Kacar und Ahmet Arslan gelten beim HSV als besonders interessiert an den eigenen Daten. Und auch Johan Djourou wirkte noch agiler, nachdem er sich seine Werte angeschaut hatte. Ein Vorgang, der am Dienstag sogar Trainer Labbadia überraschte.