Hamburg. Die Oberliga-Trainer Thorsten Schneider und Fatih Ergün über den richtigen Umgang mit Hitzköpfen und eine Reform der Sperren.

Zweimal im Jahr werden die fairsten Amateurfußballmannschaften in Hamburg ausgezeichnet. Doch wie lassen sich Moral und Ehrgeiz miteinander verbinden? Das Abendblatt bat die Oberligatrainer Thorsten Schneider, 48, von Buchholz 08 und den Meiendorfer Coach Fatih Ergün, 47, zum Gedankenaustausch.

Hamburger Abendblatt: Herr Schneider, was bedeutet der 14. Titel beim „freundlich & fair“-Preis für Buchholz?

Thorsten Schneider : Er ist eine Bestätigung dessen, woran mein Vorgänger Thomas Titze riesigen Anteil hat. Der Geist des Fairplay lebt bei uns weiter, zeichnet unsere Mannschaft aus. Dennoch steht der sportliche Erfolg nach wie vor im Vordergrund.

Herr Ergün, der Meiendorfer SV wurde Letzter in der Fairnesswertung der Hinrunde...

Fatih Ergün (lacht): Dafür kann ich eigentlich nichts. Seit meinem Amtsantritt im Oktober sank die Zahl unserer Verwarnungen.

Viele Fans und Trainer fordern Aggressivität. Ein Gegensatz zum Gedanken eines fairen Wettkampfs?

Ergün: Da liegt das Geheimnis in der Kommunikation. Wenn ich als Trainer meine Spieler auffordere, aggressiv auf den Ballgewinn ausgerichtet die Zweikämpfe zu bestreiten, ist daran nichts auszusetzen. Fordere ich aggressives Verhalten gegen den Mann, ist bei manchem vielleicht im Hinterstübchen: Ich soll meinem Gegner auf die Knochen gehen.

Schneider: Für mich hört eine gesunde Aggressivität da auf, wo billigend die Verletzung eines Gegenspielers in Kauf genommen wird. Doch auch wir sind keine Mannschaft, die nur nebenher läuft. Wir wollen unsere Zweikämpfe robust und präsent führen. Ballorientiert, ohne den Gegner zu treffen. Zur Fairness im Fußball gehört aber auch der Respekt gegenüber dem Schiedsrichter, der gegnerischen Mannschaft und den Zuschauern.

Ergün: Ab und zu kann es wichtig sein, ein Zeichen zu setzen. Sich Respekt zu verschaffen. Dem Gegner zu zeigen: Pass mal auf, mit mir kannst du nur so weit gehen! Damit meine ich ausdrücklich nicht die harte Grätsche mit gestrecktem Bein. Erhält einer unserer Spieler hingegen eine Gelbe Karte für einen kompakten, intensiven Körpereinsatz im Luftkampf, ist das für mich okay. Außerdem kommt es darauf an, wie viele Spielanteile ein Team hat. Wir in Meiendorf wollen das Spiel gestalten, so wie Buchholz. Wer mehr Spielanteile hat, läuft weniger Gefahr, verwarnt zu werden.

Unsportliches Verhalten gegenüber den Unparteiischen ist ein großes Thema im Hamburger Amateurfußball. Wie gehen Sie mit dem Schiedsrichter um?

Schneider: Ich wurde mit 27 Jahren Trainer. Anfangs war ich das HB-Männchen an der Linie. Bis ich lernte: Das bringt gar nichts. Ich bin viel ruhiger geworden. Zum Fußball gehören Emotionen, ganz klar. Gelegentlich rutscht einem mal was raus. Es sollte nur nie unter die Gürtellinie gehen. Wer eine Grenze überschreitet, sollte sich hinterher entschuldigen. Für einen meiner Sprüche bei unserem Pokalspiel in Barmbek habe ich mich nach der Partie bei Barmbeks Trainer Frank Pieper-von Valtier entschuldigt.

Ergün: Meine Entwicklung verlief ähnlich wie die des Kollegen. Mit 23 Jahren trainierte ich mein erstes Team. Ich war sehr temperamentvoll. Irgendwann merkte ich: Je impulsiver ich bin, desto weniger kann ich mich auf meine Mannschaft konzentrieren. Wir alle machen Fehler, auch der Schiedsrichter. Ich unterstreiche den Satz meines Kollegen: Wer eine Grenze überschreitet, sollte hinterher Courage zeigen und sich entschuldigen. Miteinander reden können ist wichtig.

Bei einigen Spielen kann man spüren, wie eine Partie entgleitet. Der klassische Fall ist eine Serie harter Fouls in wenigen Minuten. Welche Einflussmöglichkeiten haben Sie als Trainer?

Ergün: Einige Jungs sind Temperamentsbolzen. Die kannst du nicht zurückhalten.

Schneider: Grundsätzlich versuchen wir solche Situationen zu vermeiden. Die einzige Möglichkeit bei sehr temperamentvollen Spielern ist im Zweifel die Auswechslung.

Ergün: Absolut korrekt. Eines jedoch verstehe ich nicht: Warum übernehmen wir vom Profibereich nicht gewisse Dinge des Regelwerkes in den Amateurfußball? Erhält ein Spieler die fünfte Gelbe oder eine Gelb-Rote Karte, wird er gesperrt. Mit meinem Assistenten Baris Saglam habe ich jahrelang im Leistungszentrum von St. Pauli im Jugendbereich trainiert. In der Jugend-Bundesliga ist das so. Spieler und Trainer werden durch diese Regelung sensibilisiert.

Schneider: Vor allem die Spieler, die immer auf dem schmalen Grat wandeln. In der Oberliga haben 34 Gelbe Karten für einen Spieler in der Saison keine Auswirkungen. Die Anregung, das zu ändern, ist überlegenswert.

Die Vereine stimmten auf dem letzten Verbandstag gegen eine solche Regeländerung. Einige Clubs trauen dem Verband nicht zu, eine solche Datei für Sperren ordentlich zu führen.

Schneider: Heute gibt es genügend Möglichkeiten, um so etwas bewältigen zu können. Das ist eine Ausrede.

Ergün: Finde ich auch.

Würde eine solche Maßnahme die Autorität des Schiedsrichters stärken, indem Frustfouls in den letzten Minuten, die zu Gelb-Rot führen, vermieden würden?

Schneider: In gewisser Weise ja. Andersherum möchte ich den Spielern nicht unterstellen, mit genau einer solchen Berechnung in einen Zweikampf zu gehen. Geht das schief, kriegt der Spieler vielleicht glatt Rot. Und dann ist er gesperrt.

Ergün: Ich habe solche Fälle in meiner Trainerkarriere zweimal erlebt. Der Spieler holte sich den Platzverweis und meinte später: Macht doch nichts, nächste Woche spiele ich wieder.

Der Fairnessgedanke wurde zuletzt erschüttert durch die Schlägerei bei einem Landesligaspiel. Spieler von Teutonia 05 fühlten sich von Fans des HSV III rassistisch beleidigt. Daraufhin eskalierte die Situation. Wie beurteilen Sie die Themen Gewalt und Rassismus im Hamburger Amateurfußball?

Schneider: Unser Milaim Buzhala sagte mir vor der Saison, er sei im letzten Jahr ab und an auf Sportplätzen von Fans beleidigt worden. Diese Spielzeit ist aber gar nichts vorgefallen. Unsere Fans sind ja für ihre Umgänglichkeit bekannt. Ich möchte mich zum Fall HSV III gegen Teutonia 05 mit Wertungen zurückhalten. Es ist natürlich nachvollziehbar, dass jemand persönlich getroffen ist, wenn er sich beleidigt fühlt. Andererseits darf das selbst dann nicht in einer Schlägerei enden.

Ergün: Ich bin Deutsch-Türke. Meine Eltern sind beide Türken, ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, durfte hier die Schule besuchen und eine Ausbildung machen. Als Kind habe ich rassistische Beleidigungen am eigenen Leibe erlebt. Ich bin definitiv kein Freund der Gewalt, ebenso wenig ein Freund der Selbstjustiz. Aber ich kann mich in diese Spieler hineinversetzen. Sollten sie immer wieder beleidigt worden sein, dann ist es nachvollziehbar, dass sie irgendwann außer Kontrolle geraten. Der Gemütspunkt eines jeden Menschen ist irgendwann überschritten.

Noch zwei Fragen zur Moral auf dem Feld. Sie gewinnen durch eine Schwalbe per Elfmeter 1:0. Okay?

Schneider: Ich hätte ein schlechtes Gewissen. Doch gucken wir mal in den Profibereich: Da geht es um Millionen, um viele Arbeitsplätze. Wer möchte da jetzt den Obermoralisten spielen und mit gehobenem Zeigefinger sagen: Das war verkehrt? Das muss jeder Spieler mit sich selbst ausmachen.

Ergün: Ich wünsche mir keinen Sieg durch eine Schwalbe. Der Spieler würde einen ironischen Spruch abkriegen. Passiert das Woche für Woche, hätte ich auch ein schlechtes Gewissen.

Schneider: Es gibt ja diese Elferschinder. Jede Woche laufen sie in den Strafraum und fallen ohne Grund einfach um. So einem würde ich irgendwann sagen: Lass das mal. Bei einer anderen Trainerstation gab mal einer meiner Spieler zu, im Strafraum nicht gefoult worden zu sein. Wir siegten, und alles war ganz einfach. Alle klopften uns auf die Schulter. Hätten wir verloren, hätte das anders ausgesehen.

Wie sieht es mit Sticheleien auf dem Platz aus? Von „Holzfuß“ bis „Du kannst ja gar nix…“

Schneider: Gehören dazu. Ein betroffener Spieler muss die Größe haben, darüber hinwegzuhören. Davon darf sich niemand provozieren lassen.