Hamburg. Vor einem Jahr standen die Hamburger in Leverkusen am Tiefpunkt. Vor der Rückkehr hat sich im Team einiges verändert

Vielleicht wird er ganz kurz daran denken. An den 27. Spieltag der vergangenen Saison. Vielleicht wird er sich noch einmal ganz kurz an den Moment erinnern. Als er plötzlich Trainer war und die Fotografen sich in der BayArena von Leverkusen vor ihm aufbauten. Als er den HSV vor dem erstmaligem Abstieg aus der Bundesliga bewahren sollte. Nein, Peter Knäbel will eigentlich gar nicht mehr lange nachdenken über das, was vor etwa einem Jahr war. Verständlicherweise. Schließlich sollte dieser Nachmittag für den HSV den vorläufigen Tiefpunkt einer Katastrophensaison bedeuten. 0:4 in Leverkusen. Der Versuch, aus dem Sportchef Knäbel den Trainer Knäbel zu machen, war schon im ersten Spiel gescheitert.

„Ich denke ohne besondere Gefühle an das Spiel zurück. Es gab eine Aufgabe zu erfüllen. Die Phase war für den gesamten Verein eine Ausnahmesituation.“ Das sagt Peter Knäbel heute. Ein Jahr später. Vor dem 26. Spieltag. Vor der Rückkehr nach Leverkusen. Knäbel wird am Sonntag um 15.30 Uhr (Sky und Liveticker auf abendblatt.de) wieder auf der Gästebank sitzen. Diesmal wieder als Sportchef. Vor allem aber mit einem viel besseren Gefühl. „Wir sind noch enger zusammengerückt. Die Mannschaft ist im Vergleich zum Vorjahr robuster geworden, physisch und mental“, sagt Knäbel über den HSV im Frühjahr 2016.

31 Punkte haben die Hamburger in 25 Partien geholt. 30 Tore geschossen, davon 21 aus dem Spiel heraus. Zum Vergleich: Vor einem Jahr hatte der HSV vor dem Spiel in Leverkusen 25 Punkte in 26 Partien geholt. 16 Tore geschossen, davon elf aus dem Spiel heraus. Man könnte also von einer latenten Steigerung sprechen. Aber hat sich der HSV wirklich weiterentwickelt?

Stellt man diese Frage den HSV-Verantwortlichen, erhält man in etwa folgende Antworten: Man befinde sich auf einem schweren Weg, man gehe den Weg der kleinen Schritte, man brauche Stabilität und Geduld. Tatsächlich, das lässt sich allein an der Tabelle ablesen, hat der HSV einen Entwicklungsschritt gemacht. Zufrieden geben will sich in der sportlichen Führung damit aber niemand. „Wir müssen den Hunger auf Erfolg dauerhaft hochhalten, ohne zu verkrampfen. Bisher haben wir noch Probleme damit, die richtige Dosis zu finden“, sagt Knäbel über das nach wie vor größte Defizit beim HSV. Auf überzeugende Siege folgen zuverlässig überaus unnötige Punktverluste.

Der 2:0-Sieg gegen den Tabellendritten Hertha BSC am vergangenen Sonntag war mal wieder ein überzeugender Moment. Die Defensive stabilisiert, den Gegner dominiert, phasenweise kombiniert. „Das Hertha-Spiel ist der Maßstab“, sagt Knäbel. „Wir müssen unser Potenzial häufiger abrufen und die Erwartungen an uns selbst hochhalten.“ Denn der HSV enttäuscht noch zu häufig. Erwarten die Spieler zu häufig zu wenig? In jedem Fall demonstrierte der HSV gegen Berlin, was in dieser Saison schon jetzt möglich gewesen wäre. Hertha, im Vorjahr mit Hamburg auf Augenhöhe, hat es vorgemacht und vor allem in den Spielen gegen mutmaßlich schwächere Mannschaften fleißig gepunktet. Im Gegensatz zum HSV. „Wir haben uns mit Punkten nicht so belohnt, wie es möglich gewesen wäre. Dadurch haben wir uns in Schwierigkeiten gebracht. Deswegen ist das Nachsetzen jetzt entscheidend“, sagt Knäbel.

Dass der HSV insgesamt wieder besser dasteht, begründet der Sportchef in der verbesserten Mannschaftshierarchie. „Wir haben mehr Leadership auf dem Platz“, sagt der Sportchef und hebt vor allem Torhüter Adler hervor. „Die Mannschaft weiß, wer die Nummer eins ist. Eine starke Nummer eins tut der Struktur der Mannschaft gut“, sagt Knäbel, der vor dem Leverkusen-Spiel im Vorjahr Adler wieder zur Nummer eins befördert hatte. Ähnlich wie Bruno Labbadia, der Adler nach einer Verletzungspause in der Hinrunde erst vor dem Spiel gegen seinen Ex-Club Bayer wieder zum unumstrittenen Stammkeeper ernannte.

Neben Adler kommt es auch für die Hamburger Josip Drmic und Pierre-Michel Lasogga sowie die Leverkusener Jonathan Tah und Hakan Calhanoglu zum Wiedersehen mit dem früheren Verein. Doch im Gegensatz zum Hinspiel, als die überhitzten HSV-Fans insbesondere Calhanoglu mit gerstensaftreichen Wurfgeschossen empfingen, dürfte es in der BayArena deutlich friedvoller verlaufen. Nach nur einem Sieg aus den letzten sechs Bundesligaspielen, dem Aus im DFB-Pokal gegen Bremen sowie der Niederlage am Donnerstag in der Europa League beim FC Villarreal sind die Leverkusener ohnehin nur mit sich selbst beschäftigt.

Ein guter Zeitpunkt also für den HSV, um den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen. Könnte man meinen. Meint aber nicht der HSV. Zumindest setzt er nicht auf die Karte des angeschlagenen Gegners. „Leverkusen hat über viele Jahre bewiesen, Enttäuschungen wegstecken zu können“, sagt Knäbel. Und dürfte sich mit dieser Aussage auch an die Geschichte vor einem Jahr erinnern, als erst Bruno Labbadia den HSV mit einem Kraftakt rettete.

Jener Labbadia ist es, der seinen Verein ausdrücklich davor warnt, in der Entwicklung zu verharren. „Wir sind nicht so naiv zu glauben, dass wir mit 31 Punkten den Klassenerhalt geschafft haben.“ Die Erinnerungen an das Vorjahr sind eben doch noch zu groß.