Hamburg. HSV-Coach Labbadia und Leverkusens Schmidt kennen sich kaum. Und doch verbindet sie mehr als nur ihr Beruf

Bruno Labbadia wählte das Wohnzimmer. Den kommenden Gegner in der Bundesliga beobachtete der HSV-Trainer am Donnerstagabend vor dem Fernseher. Couchscouting, sozusagen. Labbadia schaute sich Bayer Leverkusens 0:2-Niederlage in der Europa League beim spanischen Vertreter FC Villarreal an. Am Sonntag muss der HSV selbst gegen Leverkusen in der BayArena, also in Labbadias einstigem Wohnzimmer, ran. Bei dem Verein, bei dem Labbadias Trainerkarriere in der Bundesliga begann. „Es war eine lehrreiche Zeit“, sagte der Coach vor seiner Rückkehr.

Labbadia trifft am Sonntag nicht nur auf sein altes Umfeld, sondern auch auf seinen Kollegen Roger Schmidt. Der Leverkusener Trainer darf nach einer Drei-Spiele-Sperre wieder an der Seitenlinie coachen. Der DFB hatte ihn gesperrt, weil er sich im Spiel gegen Dortmund vor drei Wochen geweigert hatte, auf die Tribüne zu gehen. Ein einmaliger Eklat in der Liga. Es war vor allem Labbadia, der sich für Schmidt öffentlich starkgemacht hatte und die Strafe als überzogen bezeichnete. „Wir Trainerkollegen müssen ein Stück zusammenhalten“, sagte Labbadia.

Labbadia und Schmidt kannten lange Zeit nur den Weg nach oben

In den vergangenen sechs Partien gegen Bayer saßen immer unterschiedliche Trainer auf der HSV-Bank: Fink, van Marwijk, Slomka, Zinnbauer, Knäbel und eben Labbadia, der das kurzlebige Trainergeschäft mittlerweile wie kein anderer kennt. Mehr als nur ein Kollege ist der in die Kritik geratene Schmidt für Labbadia aber deswegen nicht. „Wir kennen uns kaum, sind uns nur selten begegnet und haben auch erst ein- oder zweimal telefoniert“, verriet Labbadia am Donnerstag. Eine durchaus überraschende Aussage, denn bei genauerem Hinsehen verbindet die beiden weit mehr als nur ihre aktuelle Tätigkeit in der Bundesliga.

Tatsächlich wirkt Leverkusens Schmidt auf den ersten Blick wie Labbadia – allerdings der Labbadia, der vor acht Jahren bei Bayer anheuerte. Denn genau wie damals der gebürtige Hesse kannte auch der gebürtige Sauerländer Schmidt bis zu seiner Station in Leverkusen nur den Weg nach oben. Labbadia stieg mit Darmstadt in die Regionalliga auf, überzeugte in der Zweiten Liga in Fürth und zog mit Leverkusen direkt ins Pokalfinale ein. Den ersten richtigen Rückschlag gab es für den ehrgeizigen Fußballlehrer in Hamburg, wo er ausgerechnet kurz vor dem Europapokal-Halbfinalrückspiel in Fulham entlassen wurde. „Eigentlich ging meine Karriere bis zur ersten Entlassung in Hamburg immer nur steil nach oben“, sagt Labbadia in dem sehenswerten NDR-Porträt, das an diesem Sonntag (23.50 Uhr) ausgestrahlt wird.

Ähnliches könnte Schmidt auch von sich behaupten – und tut es auch. Anders als Labbadia spielte der selbstbewusste Schmidt zwar nie herausragend Fußball, startete in seiner Trainerkarriere aber genauso durch. Aufstiege mit dem Delbrücker SC und Preußen Münster, ein starkes Jahr in der Zweiten Liga mit dem SC Paderborn, zwei herausragende Jahre bei Red Bull Salzburg und schließlich der Wechsel nach Leverkusen. Schmidt schwört dabei stets auf Offensivfußball. In seinen ersten Leverkusener Wochen begeisterte Bayer mit einem Tempofußball, der an die ersten Leverkusener Wochen unter Labbadia erinnerte. Doch die Philosophie des hohen Verteidigens, des laufintensiven Pressings stieß an Grenzen. Die hohe Belastung soll nicht jedem Spieler schmecken. Schmidt aber ist von seinem Plan überzeugt. „Wenn man sein Konzept infrage stellt, kann er auch mal zornig werden“, sagte Bayer-Sportchef Rudi Völler. Auch diese Eigenschaft erinnert an den jungen Trainer Labbadia.

Dabei ist der 50 Jahre alte HSV-Coach heute nicht unbedingt viel älter, aber möglicherweise doch ein wenig reifer als sein fast 49-jähriges Pendant aus dem Westen. Während Schmidt als „herablassend“ („Kölner Stadtanzeiger“), „arrogant“ („Süddeutsche Zeitung“) und auch als „schwierig“ („Der Spiegel“) bezeichnet wurde, scheinen Labbadias Tage als Besserwisser vorbei. „Die Trainer sind nicht die Mülleimer“, schrie er einst beim VfB Stuttgart in die Mikrofone, und beendete seinen Pressekonferenz-Monolog mit den mittlerweile legendären Worten: „… am Arsch geleckt.“ Im Hier und Jetzt kann man sich so einen Wutausbruch kaum mehr vorstellen. „Ich habe es als Trainer immer als Schwäche empfunden, wenn man zu viele Emotionen rauslässt“, sagt Labbadia, der sich am Spielfeld anders als früher wie ein kleines Kind freuen kann: „Ich fühle mich freier“, sagt er dem NDR.

Schmidt scheint diesen Prozess noch vor sich zu haben. Es muss sich erst noch zeigen, ob er aus der aktuell schwierigen Phase in Leverkusen ähnliche Lehren ziehen kann wie Labbadia aus seinen Tiefs. Den notwendigen Rückhalt suchen die beiden Fußballlehrer dabei wie die meisten Männer an ähnlicher Stelle: bei ihren Ehefrauen.

Labbadia, seit 33 Jahren mit Sylvia verheiratet, und Schmidt, seit 26 Jahren mit Ehefrau Heike zusammen, sind Familienmenschen durch und durch. Beide haben einen Sohn und eine Tochter. Doch während Schmidt mit seiner Familie von Club zu Club zieht („Die Kinder verkraften das gut. Das ist die Schule des Lebens.“), haben die Labbadias Hamburg schon vor dem zweitem Engagement als HSV-Trainer als festen Wohnsitz vereinbart. Tochter Jessica ist in Henstedt-Ulzburg geboren – und auch Mama Sylvia und Papa Bruno können sich kein anderes Zuhause mehr vorstellen. „Wir sind in Hamburg angekommen“, sagt Labbadia. „Wir wollen in dieser Stadt alt werden.“

Hamburg ist Labbadias neues Wohnzimmer, Schmidt muss seines noch finden.​