Dortmund . Die Bayern halten Dortmund auf Distanz – BVB beweist Lerneffekt – Münchens Kimmich empfiehlt sich Bundestrainer Löw

Wer auch immer von den Männern in den gelben oder roten Trikots durch die Kellerflure des Dortmunds Stadions ging, war sich nicht so sehr sicher, wie er sich nun fühlen sollte, was er denken und sagen sollte nach diesem Fußballspiel. Die einen, die Angestellten des FC Bayern, hatten den ganz großen Schritt Richtung Meisterschaft verpasst. Die anderen, die Profis von Borussia Dortmund, hatten den ganz großen Schritt heran an den Tabellenführer verpasst. So fühlte sich dieses 0:0 im Spitzenspiel der Bundesliga für alle Parteien, sofern sie nicht unparteiisch waren (Joachim Löw: „Irres Tempo, unglaubliche Geschwindigkeit, das beste Spiel in dieser Saison“), erst mal nicht so richtig großartig an.

Allerdings gab es mindestens eine Ausnahme: Thomas Tuchel.

Der BVB-Trainer saß nach der Partie wahrlich erregt über das Geschehen, über den Gegner, der zusammen mit dem FC Barcelona die beste Mannschaft der Welt sei mit dem wohl besten Trainer der Welt. „Es war ein Genuss, dieses Spiel an der Seitenlinie zu coachen“, sagte er.

Tuchels Verehrung für den überall bewunderten Berufskollegen Pep Guar­diola ist hinlänglich übermittelt. Es dürfte den Dortmunder durchaus zufrieden gestimmt haben, ihm dieses Mal eine Mannschaft und eine Taktik entgegengestellt zu haben, gegen die die Münchner Lösungen dieses Mal nicht zum Sieg reichten. So blieb es eine Partie, deren Matrix eine andere war als in herkömmlichen Bundesligaspielen: Die Anordnung und die Geschwindigkeit und die Präzision der Dinge auf dem Rasen gerieten mitunter bemerkenswert. Auf Münchner Seite galt das noch deutlich mehr als auf Dortmunder, die sich aber damit rühmen konnte, dem Druck des Gegners standgehalten zu haben.

Unter dem Eindruck des Spiels empfand Tuchel die nachvollziehbare Frage nach der Bedeutung des Ergebnisses für den Meisterschaftskampf als offenbar recht banal. Das Duell und seine taktischen Herausforderungen waren ja aus seiner Sicht so etwas wie ein Meisterstück gewesen. „Jetzt sind es eben noch immer fünf Punkte – und wir machen weiter. Warum? Weil es nötig ist, egal ob fünf, zwei oder acht Punkte Rückstand. Das ist der Geist, der uns dazu verholfen hat, zuletzt so zu punkten, wie wir es getan haben. Ich möchte, dass wir den Hunger behalten“, mahnte Tuchel und musste nicht in die Ferne schweifen, um seiner Mannschaft ein Vorbild zu empfehlen: „Die Bayern machen das seit Jahren, sie lassen nicht locker. Wir versuchen das als Maßstab zu nehmen. Dieses Spiel hat uns weitergebracht.“

Ähnliches hatte der Trainer schon vom Hinspiel in München behauptet. Mit 1:5 war es damals verloren gegangen, und die Einlassungen klangen damals eher wie die von einem Trainer, der nun versucht, eine schmerzvolle Niederlage in einem etwas angenehmeren Licht erscheinen zu lassen. Seitdem hat der BVB allerdings zwei Punkte mehr geholt als die Bayern. 17 Spiele, eine Halbserie, die Dortmund anführt.

Das ist umso beachtlicher, wenn man sich erinnert, mit wie viel Demut die schwarz-gelbe Reisegruppe im Herbst die fünf Gegentreffer an der Isar quittierte. Doch im direkten Duell in Dortmund wurde nun klar, dass sich die Kräfteverhältnisse ein wenig zugunsten des BVB verschoben haben. In der Anfangsphase wirkte Tuchels Kontertaktik aus einer Fünferabwehrkette heraus vielversprechend. Erik Durm bewachte Douglas Costa, Mats Hummels störte Thomas Müller ungewöhnlich früh. „Thomas ist ja auch ein blitzgescheiter Junge, der hat gemerkt, was Sache ist, dann haben die sich abgesprochen, dass sie sich anders bewegen“, beobachtete Hummels, während sich Xabi Alonso weiter zurückzog, um der eigenen Deckung eine bessere Balance und dem Spielaufbau mehr Sicherheit zu verleihen. So dominierten die Bayern die letzte Stunde, die Borussia wuchs an ihren Aufgaben. So hatten am Ende alle ein bisschen gewonnen, nicht nur die Zuschauer, die einen fußballerischen Leckerbissen geboten bekommen hatten.

„Ich hoffe, dass wir die Erkenntnisse dieses Spiels sofort sehen und nutzen. Dann werden wir, was wir werden.“ Am liebsten: so gut wie die Bayern. Noch fehlt an vielen Stellen ein Detail, sagte Tuchel. Aber im nächsten Jahr könnte der BVB schon einen Entwicklungsvorsprung haben. Wenn Tuchel in sein zweites Jahr geht – und ­Guardiola Manchester City trainiert.

Ein klarer Sieger war auch Joshua Kimmich. Trotz seiner nur 1,76 Meter Körpergröße war der 21-jährige gelernte Mittelfeldspieler abermals ein umsichtiger Vertreter der verletzten Je­rome Boateng und Holger Badstuber, hatte 120 Ballkontakte, gewann 64 Prozent seiner Zweikämpfe und brachte 94 Prozent der Pässe an den Mann. Weder die 81.359 Zuschauer noch die Gegenspieler Pierre-Emerick Aubameyang, Marco Reus und Henrikh Mkhitaryan konnten ihn aus der Ruhe bringen.

Kimmich empfahl sich für höhere Aufgaben. „Bei ihm kommen zwei Dinge infrage: die EM oder Olympia“, sagte Bayerns Matthias Sammer. Guardiola schwelgte: „Ich liebe diesen Jungen.“