Zürich. Der Schweizer setzt sich gegen Scheich Salman (Bahrain) durch. Weltverband macht nach den Skandalen 550 Millionen Euro Verlust

In den Geschichtsbüchern wird irgendwann genau der eine Satz stehen, der die Stimmung zu seinen Gunsten kippte. „Das Geld der Fifa ist Ihr Geld“, hatte Gianni Infantino in seiner Vorstellungsrunde gesagt und damit spontanen Applaus provoziert, als hätte er hier in Zürich ein Heimspiel auf dem außerordentlichen Kongress des Fußball-Weltverbandes. „Ich brauche Sie: Ich werde als Präsident jeden Tag und jede Nacht für Sie da sein.“

Fünf Stunden später war der 45 Jahre alte Schweizer überraschend schnell von den 207 stimmberechtigten Fifa-Mitgliedern gewählt worden. Mit seinen Dankesworten gab er die Richtung vor: „Ich will eine neue Ära.“

Sichtlich gerührt nahm Infantino auf der Bühne einen Blumenstrauß entgegen und klopfte sich symbolisch aufs Herz. Er, der als kalter Funktionär verschrien war, zeigte sich betont emotional. Mit einer einfühlsamen Rede hatte er sich an die Spitze des fünfköpfigen Kandidatenfelds gesetzt.

Schon im zweiten Wahlgang knackte der Vertrauensmann der gesperrten französischen Fußball-Legende Michel Platini die absolute Mehrheit mit 115 Stimmen und besiegte seinen favorisierten Rivalen Scheich Salman bin
Ibrahim al Khalifa, 50, aus Bahrain vorzeitig. Offenbar hatte die Delegierten nicht nur der Vortrag überzeugt, als Infantino sie in sechs Sprachen ansprach, sogar in Arabisch, und „Leben und Hoffnung“ für die Fifa versprach. Ihnen gefielen auch die zahlreichen Zusagen, die Infantino gegeben hatte.

Schon den ersten Wahlgang gewann der amtierende Generalsekretär des europäischen Fußballverbandes Uefa überraschend mit 88 zu 85 Stimmen gegen Scheich Salman. Anschließend schwenkten 27 Delegierte zu ihm um und ermöglichten den Sieg. Den DFB hatte Infantino von Anfang an überzeugt. Die Stimme gab der designierte DFB-Präsident Reinhard Grindel in beiden Wahlgängen ab. „Das war ein guter Tag für die Fifa, vielleicht sogar ein historischer“, sagte später der ehemalige DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der weiter im Exekutivkomitee der Fifa sitzt. „Ich traue Gianni zu, dass ihm die Wende in Sachen Ansehen und Glaubwürdigkeit gelingt.“

Infantino tritt die Nachfolge seines Landsmanns Sepp Blatter, 79, an, der die Fifa 21 Jahre lang angeführt und in einem Sumpf von Korruption und Mauschelei hinterlassen hat. Das FBI untersucht Geldflüsse und die Umstände, unter den die WM-Vergaben stattgefunden haben. „Die Fifa-Präsidentschaft“, sagt Infantino, „war eine Reise, die ich nicht vorhatte. Aber in einer Krise kann man sich verstecken oder aufstehen. Ich wollte handeln.“

Zur Unterstützung der 54 europäischen Delegierten kamen offenbar Stimmen aus Afrika. Infantino hatte von Ägypten bis Südafrika Wahlkampf betrieben und dazu rechtzeitig die Nord- und Mittelamerikaner überzeugt. Auf dem Kongress umschmeichelte er erfolgreich die Südamerikaner: „Im Fußball sind sie die Größten.“

Infantinos Amtszeit dauert vier Jahre und darf allenfalls auf zwölf verlängert werden. Zu seinen größten Herausforderungen wird nicht nur die Umsetzung der beschlossenen Reformen gehören, mit denen die Fifa Vertrauen bei den Fußballfans und den Behörden zurückgewinnen will. Er muss auch den Graben zur Salman-Fraktion im asiatischen Raum schließen.

Scheich Salman wollte die Fifa Richtung Osten öffnen. Infantino ist eher ein Vertreter der traditionsreichen Fußballnationen in Europa und Südamerika. Im Wahlkampf hatte er angekündigt, das WM-Teilnehmerfeld von 32 auf 40 aufzustocken und die Fördergelder für die Entwicklungsländer dramatisch anzuheben. Beide Maßnahmen werden ihm Stimmen gesichert haben und nehmen ihn jetzt in die Pflicht. Vollmundig sagte der neue Fifa-Präsident auf dem Kongress: „Ich frage Sie alle: Wenn die Fifa fünf Milliarden einnimmt, können wir dann nicht 1,2 Milliarden reinvestieren? Das Geld der Fifa muss der Entwicklung des Fußballs dienen.“ Das klang schon fast wieder wie einst Blatter.

Mit 179 Stimmen hatte der Kongress zuvor ein umfassendes Reformpaket durchgewunken und mit 89 Prozent locker die erforderliche Dreiviertel-Mehrheit erreicht. Nicht einmal der Appell des Vertreters aus Palästina, dass die Gewaltenteilung zwischen Präsident und Generalsekretär sowie der Ausbau des Fifa-Rates auf 36 Mitglieder den Einfluss der Delegierten reduziere, nutzte noch: Die als „historisch“ gefeierte Reform wurde verabschiedet.

„Wir haben Druck von den Behörden“, räumte der deutsche Interims-Generalsekretär Markus Kattner in einer Offenheit ein, wie man sie nicht von der Fifa kennt. Das FBI möchte alle Geldströme untersuchen, die zur WM-Vergabe an Russland 2018 und vor allem Katar 2022 geführt haben, inklusive vergangener Weltmeisterschaften. Untersuchungsgegenstand sind persönliche Vorteilsnahmen und, wie es so schön heißt, „Organisationsversagen“. Die Etablierung unabhängiger Kommissionen, die Ethik und Compliance überwachen, ein Integrationscheck für jedes Ratsmitglied und unabhängig erstellte Revisionsberichte mit einer ebenso unabhängigen Rechtssprechung in allen Mitgliedsverbänden sollen das Vertrauen wiederherstellen.

„Wir entscheiden über die Zukunft des Weltfußballs“ hatte Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, die 209 Funktionäre im Grußwort eingeschworen. Übergangspräsident Issa Hayatou verlangte anschließend „eine verantwortungsvollere Organisation, damit wir uns um unsere Hauptaufgabe kümmern können – um unseren Fußball“.