Hamburg. Viele Sportler versuchen Körper und Geist in Trance zu optimieren. Beim Marathon gehört die Methode sogar zum Service

Moment mal, wieso ist der Körper gerade nach hinten gekippt? Peer Vollmer hatte die Stirn doch kaum berührt und auch den Rücken nur leicht abgestützt, mit der anderen Hand. Da war kein Drücken, kein Schieben, kein Ziehen. Und doch ist das Gleichgewicht plötzlich weg, aufgelöst von der Kraft weniger Worte, bevor ein schwarzer Ledersessel den Sturz auffängt. Magie? Hokuspokus? Oder doch nur eine ganz normale Entspannungsübung, angeleitet zwar, aber letztlich doch selbst gesteuert? Schwierig.

„Es ist gar nicht kompliziert“, versichert Vollmer. Und man braucht auch keinen Ledersessel wie in seiner Praxis für Hypnosetherapie am Bramfelder Dorfplatz. Am 17. April wird Vollmer auf der Marathonmesse wieder schlichte Stühle aufstellen und allen Läuferinnen und Läufern seine Dienste anbieten, zum fünften Mal nun schon. Ein einzigartiger Service in der deutschen Lauflandschaft. „Als ich 2012 beim Has­pa-Marathon angefangen habe, kam nur eine Handvoll Leute an meinen Stand“, erinnert sich Vollmer. Im vergangenen Jahr waren es schon 197 Teilnehmer. Wobei die Nachfrage nach Motivation vor dem Lauf wesentlich größer gewesen sei als die nach Regeneration danach. Für Vollmer ist der Grund dafür ganz einfach: „Die meisten hatten hinterher gar keinen Bedarf, weil sie nach unserer Behandlung ganz entspannt gelaufen waren.“

Zwei Minuten nur, länger brauche es nicht, um den Trancezustand herzustellen. Blitz- oder Schnellhypnose nennt Vollmer dieses Verfahren. Das Messegewimmel sei dabei gar nicht störend, im Gegenteil: „Je lauter die Geräuschkulisse, umso leichter lässt sie sich ausblenden.“ Stattdessen sollen nur die eigenen Ziele wahrgenommen werden, manifestiert in Bildern, Gefühlen oder Gedanken. Die würden dann mit einer bestimmten Geste „geankert“, etwa indem Daumen und Zeigefinger zusammengeführt werden, und könnten auf der Strecke bei Bedarf wieder abgerufen werden.

Auch körperliche Prozesse sollen durch Hypnose beeinflusst werden können

Es sind einfache Vorsätze, die Vollmer seinen Klienten mit auf den 42,195 Kilometer langen Weg gibt. Etwa: „Du machst es mit Leichtigkeit, mit Freude.“ Oder: „Du wirst dein Ziel locker erreichen.“ Man müsse sich diesen Prozess vorstellen „wie ein Reset an einem Computer: Das System wird heruntergefahren und neu gestartet mit allem, was man braucht, um eine optimale Leistung zu erzielen.“ Zweifel und Druck, Sorgen und Verspannungen sollen dabei auf der Strecke bleiben.

Vollmer, 48, kennt sie aus eigener Erfahrung. 2003 nahm er selbst erstmals am heutigen Haspa-Marathon teil. Als ihm an der Alster nach gut 15 Kilometern die ersten Läufer entgegenkamen, das Ziel bereits vor Augen, kamen die Zweifel: Schaffe ich das? „Alle Ängste oder auch Phobien haben ihre Berechtigung und basieren auf Erfahrungen, die im Unbewussten liegen“, sagt Vollmer. Die Resonanz unter seinen Marathonklienten sei durchweg positiv gewesen. Nicht alle hätten ihre Bestzeit verbessert. „Aber viele haben berichtet, sie seien entspannt wie nie.“

Die Liste der Wirkungen, die sich die Sporthypnose zuschreibt, ist lang. Da gibt es die rein psychischen Effekte: gesteigertes Selbstbewusstsein, Abbau von Versagensängsten und Leistungsdruck, Auflösung von Blockaden. Aber auch körperliche: schnellere Regeneration und Genesung, verbesserte Technik, Steuerung von Puls und Blutdruck. Vollmer glaubt auch für Gebrechen wie einen Beckenschiefstand die Lösung im Unbewussten finden zu können.

Auf die alternativen Heilmethoden ist er gestoßen, nachdem er 1998 einen Hörsturz erlitten hatte. „Die Ärzte sagten mir, ich müsse mit den Ohrgeräuschen leben. Damit habe ich mich nicht abgefunden.“ Vollmer, damals Rettungsassistent, begann sich fortzubilden, zum Heilpraktiker, Hypnoanalytiker, Hypnosetherapeuten. Die Beschwerden habe er längst überwunden. Von der Hypnose mache er heute auch bei Notfalleinsätzen im Rettungsdienst Gebrauch.

Auch immer mehr Leistungssportler vertrauen der Trance als Kraft­quelle. Fußballbundesligatorwart Sven Ulreich, der frühere Turnweltmeister Fabian Hambüchen, Schwimm-Olympiasiegerin Britta Steffen, Golfstar Tiger Woods, Formel-1-Rekordweltmeister Michael Schumacher: Sie alle versuchten schon mit Hypnose ihre Leistung ganz legal zu optimieren oder Krisen zu überwinden.

Zu Vollmers Kunden gehören Leichtathleten, Tennisspieler und Fußballer. Die Namen gibt er nicht preis. Es sind keine Langzeittherapien, die Zahl der Sitzungen, 90 Minuten zu 150 Euro, ist auf zwei begrenzt. „Ein Sportler weiß genau, was er braucht, um erfolgreich zu sein“, sagt Vollmer, „es geht darum, das herauszuarbeiten und sich darauf zu konzentrieren.“ Vollmer versucht die Termine möglichst kurz vor dem Wettkampf zu legen, dann sehe man gleich ein Ergebnis.

Allen könne er zwar nicht helfen, doch sei die Erfolgsquote „sehr hoch“. Bisweilen könne die Wirkung aber eine andere sein als die erwartete. So habe ihn eine junge Leistungssportlerin auf Drängen ihres Vaters aufgesucht. „Sie hat dabei festgestellt, dass sie gar keinen Sport mehr betreiben will“, erzählt Vollmer. Später hätten sich beide bei ihm für diese Erkenntnis bedankt.