Hamburg. Am Sonnabend steigt Felix Sturm wieder in den Ring. Nach seiner letzten Niederlage glaubte er selbst nicht daran.

Felix Sturm möchte wieder einmal Geschichte schreiben (Sa, 22.30 Uhr/Sat.1). In Oberhausen hat der 37 Jahre alte Supermittelgewichts-Boxprofi aus Köln die Chance, zum fünften Mal Weltmeister zu werden. Dafür muss er allerdings den Rückkampf gegen den starken Russen Fedor Chudinov, 28, gewinnen, dem er im Mai 2015 zwar nicht einstimmig, aber doch eindeutig nach Punkten unterlegen war.

Hamburger Abendblatt: Herr Sturm, was sind die wichtigsten Lehren, die Sie aus dem ersten Duell gezogen haben?

Felix Sturm: Dass der Russe ein enorm starker Newcomer ist. Dass ein Felix Sturm in Bestform aber trotzdem die Mittel hat, ihn zu schlagen. Dass wir einen ganz harten Fight erwarten dürfen. Und dass ich diesmal der Sieger sein werde.

Haben Sie die Gründe dafür gefunden, warum Chudinov Sie im ersten Duell so beherrschen konnte?

Sturm : Es gibt Tage, da geht einfach nichts. Wie kann Bayern eine Packung gegen Barcelona bekommen? Wie kann Wladimir Klitschko gegen Tyson Fury untergehen? Jeder Sportler der Welt erlebt solche Tage. Nur – die Guten kommen alle zurück. Ich gebe niemals auf und glaube, dass ich weiterhin zu diesen Guten zähle.

Es gibt eine Reihe an Kritikern, die das bezweifeln angesichts Ihrer letzten Auftritte. Was antworten Sie denen, die sagen, dass Sie in den zwölf Kämpfen, die Sie seit dem Schritt in die Selbstständigkeit im Jahr 2010 bestritten haben, nur zweimal wirklich überzeugt haben?

Sturm : Denen antworte ich, dass sie keine Ahnung vom Boxen haben. Ich habe IBF-Weltmeister Darren Barker ausgeknockt, Ronald Hearns ausgeknockt, Predrag Radosevic ausgeknockt. Robert Stieglitz hat gegen mich ein schmeichelhaftes Unentschieden bekommen. Gegen den australischen Weltmeister Daniel Geale habe ich einen großen Kampf geliefert und eine sehr knappe Niederlage kassiert. Sebastian Zbik und Giovanni Lorenzo habe ich überzeugend geschlagen.

Dennoch bleibt der Eindruck, dass Sie im Vergleich zu früheren Tagen an Beweglichkeit und technischer Variabilität verloren haben. Welcher der Tugenden, die Sie in Ihrer Anfangszeit so stark gemacht haben, trauern Sie am meisten nach? Und welche sind für den Sturm von heute noch wichtig?

Sturm : Meine Technik im Ring hat mich groß gemacht. Die ist auch heute noch da. Vielleicht war ich früher unverfrorener, habe weniger nachgedacht. Aber Denken ist für das weitere Leben sicher nicht das Schlechteste.

Denken Sie, dass Sie zu Recht den Rückkampf mit Chudinov austragen dürfen? Nach dem ersten Kampf sagten Sie, dass auch ein 3:0-Urteil durchaus gerecht gewesen wäre. Wundern Sie sich, dass die WBA ein Rematch angesetzt hat?

Sturm : Überhaupt nicht. Weil ich denke, dass die Herren von der WBA große WM-Kämpfe sehen wollen. Und so einen verspreche ich.

Sie können zum fünften Mal Weltmeister werden. Was würde Ihnen das bedeuten, auch wenn ein solcher Rekord beinhaltet, dass Sie auch viermal den Titel verloren haben?

Sturm : Das Wichtigste, nicht nur im Boxen, ist, nach einer Niederlage wieder aufzustehen. Im Boxen ist eine geläufige Redensart „They never come back“. Der Sturm ist schon dreimal zurückgekommen. Und er kommt auch zum vierten Mal zurück.

Gab es in Ihrer Karriere einen wichtigeren Kampf als den, der nun ansteht?

Sturm : Im Nachhinein hat mich die Niederlage gegen Oscar de la Hoya, die keine war, weil ich eigentlich klar gewonnen habe, in der ganzen Welt bekannt gemacht. Aber der nächste Kampf ist immer der wichtigste.

Wie oft haben Sie nach der Niederlage gegen Chudinov ans Aufhören gedacht?

Sturm : Ganz ehrlich? Ich habe gedacht, das war es.

Was wären die Alternativen gewesen zum Weitermachen?

Sturm : Ich manage schon jetzt eine große Firma. Mein Getränk „heavy1“ soll bald den europäischen Markt aufrollen. Ihr Jungs von Red Bull, zieht euch warm an!

Wer hat Sie darin unterstützt weiterzumachen, und wer hätte es lieber gesehen, wenn Sie aufgehört hätten?

Sturm : Meine Frau, mein Vater, ein paar wenige Freunde waren an meiner Entscheidung maßgeblich beteiligt. Sie wollten, dass ich weitermache.

Sportler denken nie darüber nach, was nach einer Niederlage passiert. Bitte sagen Sie trotzdem: Wenn Sie wieder verlieren, machen Sie dann Schluss, oder tritt ein Felix Sturm nicht mit einer Niederlage ab?

Sturm : Kommen Sie nach dem Kampf in die Pressekonferenz. In dieser Sekunde entscheide ich. Warum soll ich nicht nach einem großen Sieg aufhören? Obwohl ich weiß, dass ich noch sieben, acht Kämpfe in mir habe.

Mit Ihrem Sohn Mahir, der Ihnen manchmal im Training zusieht, stünde irgendwann vielleicht ein Nachfolger bereit. Was würden Sie ihm raten, wenn er Profiboxer werden will?

Sturm : Schwieriges Thema. Ich würde mich mehr freuen, wenn er fragen würde, wie er ein Weltklasse-Basketballer werden könnte. Aber egal – ich werde ihn immer unterstützen.

Zum Abschluss eine private Frage: Als Moslem und Sohn bosnischer Einwanderer haben Sie sicherlich einen besonderen Blick auf die Flüchtlingsthematik, die Deutschland beschäftigt.

Sturm : Für mich ist völlig klar, dass man Menschen, die um ihr Leben fürchten, helfen muss. Und ich bin zuversichtlich, dass Angela Merkel weiß, wann unser Boot voll ist.