Leipzig. Australian-Open-Siegerin Angelique Kerber genießt den Rummel und will beim Fedcup trotzdem in den Tennis-Alltag zurückfinden

Manchmal sind es die ganz kleinen Dinge, in denen sich große Ereignisse manifestieren. „Normalerweise kommen zwei Leute zu so einer Pressekonferenz, und dann führen wir das Gespräch auf dem Klo“, sagte An­drea Petkovic und ließ ihren Blick über die voll besetzten Stuhlreihen im Konferenzraum M1 der Leipziger Messe schweifen. Natürlich hatte die Darmstädterin übertrieben in ihrer charmant-schnoddrigen Art, immerhin sind die deutschen Tennisdamen schon seit einigen Jahren in der Weltspitze und entsprechend auch medial präsent. Aber die Nachwirkungen des Triumphes von Melbourne, die treffen auch die Fedcup-Mannschaft, die an diesem Wochenende in der sächsischen Metropole ihr Erstrundenmatch gegen die Schweiz bestreitet, mit voller Wucht.

Die Frau, die bei den Australian Open am vergangenen Sonnabend für den ersten deutschen Grand-Slam-Erfolg seit der Ära Steffi Grafs, die den letzten ihrer 22 Majortitel 1999 in Paris holte, gesorgt hatte, saß inmitten ihrer Teamkolleginnen auf dem Podium und lächelte still. Ihre Antworten sollte Angelique Kerber in einer eigenen Fragerunde geben, sodass sie sich zunächst an den Lobeshymnen erfreute, die ihre Mitspielerinnen Andrea Petkovic, Anna-Lena Grönefeld (Nordhorn), Annika Beck (Bonn) und Anna-Lena Friedsam (Neuwied) auf sie anstimmten. Allesamt hätten sie mitgefiebert, Tränen der Freude vergossen, als der Dreisatzsieg über die Branchenbeste Serena Williams (USA) festgestanden hatte. Und nein, Neid gebe es keinen, „wir alle gönnen es der Angie aus ganzem Herzen“, versicherte Petkovic.

Dass die für ihre Bescheidenheit bekannte Kielerin, die sich niemals selbst über die Mannschaft erheben würde, anschließend das Podium für sich hatte, ist Ausdruck eines Selbstverständnisses, dem sich Grand-Slam-Sieger stellen müssen. „Ich habe in den vergangenen Tagen einen unglaublichen Rummel erfahren, dennoch genieße ich das, was gerade passiert, sehr“, sagte die 28-Jährige, die in der aktuellen Weltrangliste an Position zwei geführt wird. Als Reaktion auf das sprunghaft angestiegene Tennisinteresse hat der TV-Exklusivpartner Sat.1 die Übertragung des ersten Kerber-Auftritts am Sonnabend (12.45 Uhr) von seinem Spartenkanal Sat.1 Gold ins Hauptprogramm verlegt.

Die Glückwünsche von Graf und Becker haben sie besonders gerührt

Effekte dieser Art wünscht sich Angelique Kerber noch viel häufiger. „Ich fände es toll, wenn mein Sieg dazu führen würde, dass in Deutschland wieder mehr Kinder zum Tennisschläger greifen. Ich hatte das Gefühl, dass das Land am Sonnabend aufgewacht ist, so viele Menschen haben mit mir gefiebert“, sagte sie. Die Glückwünsche von Steffi Graf, mit der sie nach dem Finale telefonierte, und Boris Becker, der als Trainer von Melbourne-Herrenchampion Novak Djokovic persönlich gratulierte, hätten sie am meisten bewegt. Und die am meisten gestellte Frage sei gewesen, was sie mit dem Preisgeld von 2,2 Millionen Dollar anstellen wolle. „Ich hatte noch keine Zeit, mir das zu überlegen“, sagte sie, „aber es tut gut, so eine Sicherheit im Rücken zu haben.“

Es ist diese Bodenständigkeit, die aus der gebürtigen Bremerin ein Vorbild für nachfolgende Generationen machen könnte. Dass aus ihrer neuen Rolle eine gesteigerte Verantwortung erwächst, die für zusätzlichen Druck sorgt, diese Erkenntnis hat sich auf der langen Rückreise aus Australien in ihr festgesetzt. Begegnen wolle sie dieser mit ihrer neu gewonnenen Lockerheit. „Ich habe mich früher oft selbst unter Druck gesetzt, weil ich unbedingt etwas erreichen wollte. Jetzt habe ich mir meinen Traum erfüllt und mir selbst bewiesen, dass ich in die Weltspitze gehöre. Deshalb glaube ich nicht, dass ich mir noch Druck machen muss.“

Das Ziel sei selbstverständlich, Nummer eins der Welt zu werden. „Ich glaube, dass ich das schaffen kann. Aber ich weiß auch, dass ich jetzt nicht jedes Turnier gewinnen werde, bei dem ich antrete“, sagte sie. Der Respekt der Gegnerinnen werde sicherlich noch zunehmen. „Aber ich bin seit vier Jahren in den Top Ten, die anderen wissen also, was ich kann. Deshalb sehe ich meinen Titel auch nicht als Sensation an, wie manche ihn bezeichnet haben. Ich habe lediglich nachgewiesen, dass ich dort oben hingehöre.“

Kerber glaubt, dass das deutsche Team den Fedcup gewinnen kann

Dass sie überhaupt in Leipzig für das Nationalteam im Fedcup-Viertelfinale antritt, rechnen ihr die Kolleginnen hoch an. „Dafür hat sie großen Respekt verdient. Sie muss aber auch aufpassen, dass sie nicht das Genießen vergisst“, mahnte Petkovic. Darauf will Kerber achten, dennoch habe sie nie in Erwägung gezogen, nach den Strapazen eine Auszeit zu nehmen. „Ich spiele immer gern für Deutschland, das ist eine Ehre. Und wir wollen den Fedcup unbedingt gewinnen“, sagte sie. Der mediale Marathon, dessen Startschuss am Sonnabend mit ihrer emotionalen Dankesrede nach dem Finale fiel, sollte am Mittwochabend beendet sein. „Dann gilt der Fokus nur noch dem Tennis“, sagte die Tochter polnischer Eltern – und es klang so, als wäre sie darüber nicht gerade unglücklich.

Teamchefin Barbara Rittner weiß, dass die Schweiz, die mit den Topspielerinnen Belinda Bencic und Timea Bacsinszky ein sehr harter Prüfstein sein dürfte, mit der Zusatzmotivation antreten wird, eine Grand-Slam-Siegerin bezwingen zu wollen. „Aber auch meine Mädels werden von Angies Erfolg angestachelt und motiviert sein“, sagte die 42-Jährige. Andrea Petkovic unterstrich dies: „Für mich ist die Angie eine wahnsinnige Inspiration, noch härter zu arbeiten“, sagte sie, bevor sie eines noch klarstellen wollte: „Wir haben sie auch schon gemocht, als sie noch kein Grand-Slam-Champion war.“ Soll heißen: Großes mag passiert sein, aber das Wesentliche ändert sich dadurch nicht. Für Angelique Kerber ist das die wichtigste Erkenntnis.