Krakau. Die Sensation ist perfekt: Deutschlands Handballer besiegen im EM-Finale Spanien mit 24:17 – Torhüter Andreas Wolff hält wieder überragend

Die Stimmen der deutschen Handballer dröhnten bereits durch die Gänge, bevor die Spieler überhaupt zu sehen waren. „Yeah, wir haben Gold – trinkt was“, brüllte Uwe Gensheimer. Dann kam er mit einer Lockenperücke in Schwarz-Rot-Gelb in die Mixedzone gerannt. Gensheimer? Moment mal, der Kapitän hatte sich doch verletzt und gar nicht an dieser Europameisterschaft teilgenommen. Doch auch er hat seinen Teil zum ersten Titelgewinn der deutschen Handballer seit dem Sieg bei der Heim-WM 2007 beigetragen, also bekam er auch eine Goldmedaille. Assistenztrainer Alexander Haase kämpfte mit den Tränen, als er sagte: „Es war einfach unglaublich schön, wieder zu sehen, dass jeder für jeden da ist in dieser Mannschaft.“ Auch Martin Strobel sah eher nachdenklich auf seine Medaille: „Das ist jetzt vielleicht der Lohn für jahrelange harte Arbeit.“

Seit anderthalb Jahren arbeitet die Mannschaft mit Bundestrainer Dagur Sigurdsson zusammen. „Wir haben in dieser ganzen Zeit nicht viele Spiele verloren, aber in so einem Turnier musst du auch Glück haben und die richtige Welle erwischen“, sagte der Isländer. Was am Sonntagabend auf dem Feld in der Tauron-Arena in Krakau geschah, war der bisherige Höhepunkt dieser Welle, die die deutsche Mannschaft von Spiel zu Spiel durch das Turnier getragen hat. 24:17 (10:6) besiegte Deutschland den zweimaligen Weltmeister Spanien überraschend deutlich und darf sich nun zum zweiten Mal nach 2004 Europameister nennen. Verbandspräsident Andreas Michelmann war davon derart begeistert, dass er mit der Schlusssirene auf die Stühle an der Seitenlinie hüpfte und beinahe die gesamte Stuhlreihe umwarf.

Noch nie hat eine deutsche Mannschaft ein solch erfolgreiches Turnier gespielt. Für die einzige Niederlage zum Auftakt gegen Spanien (29:32) revanchierte sich die junge Auswahl im Finale höchst eindrucksvoll: Nachdem Kroatien sich gegen Deutschlands Halbfinalgegner Norwegen die Bronzemedaille gesichert hatte (31:24) und damit wie Deutschland und Spanien für die WM 2017 in Frankreich qualifiziert ist, sahen die 14.000 Zuschauer eine unglaubliche Abwehrleistung der deutschen Handballer. Bereits nach acht Minuten musste Spaniens Trainer Manuel Fadenas die erste Auszeit nehmen, denn seinem Team war bis dahin erst ein Treffer gelungen.

Finn Lemke verließ in diesem Moment nickend und mit erhobenen Armen das Feld, dabei sah er schon fast siegessicher aus. Der neue deutsche Abwehrchef und seine Nebenmänner waren taktisch hervorragend eingestellt, verhinderten jegliche Anspiele auf den gefährlichen Kreisläufer Julen Aguinagalde und jedes Mal, wenn Spanien versuchte, die Mauer der Deutschen über die linke oder rechte Seite zu überlisten, war Wetzlars Torhüter Andreas Wolff zur Stelle. „Als er den zweiten oder dritten Ball gehalten hat, wusste ich, dass das sein Spiel wird und ich nicht mehr spielen muss“, sagte sein Kollege Carsten Lichtlein.

„Ich habe keine Worte für seine Leistung“, meinte Gensheimer später. Sechzehn Mal hielt Wolff am Ende und wurde als wertvollster Spieler ausgezeichnet. Sein Lehrmeister, der spanische Torhüter José Hombrados, muss zwischen Stolz und Reue geschwankt haben ob der Tatsache, dass Wolff seine Landsmänner derart auseinandernahm. „Wir haben alles versucht, aber auch alle guten Angriffe von uns hat Andi einfach gehalten“, sagte der ehemalige HSV-Profi Joan Cañellas.

„Das war heute das wichtigste aller wichtigen Spiele“, meinte Wolff. „Wir haben eine Euphorie in Deutschland entfacht, die hat auch uns überkommen.“ Während Kroatiens und Spaniens Mannschaften schon bei der Siegerehrung standen, duschten die deutschen Spieler noch in der Kabine – mit Champagner. „Endlich wieder Stoff“, freute sich Rune Dahmke. „Das war es dann aber, wir werden um acht Uhr ins Bett gehen, wir müssen ja morgen früh raus“, sagte Fabian Wiede augenzwinkernd. Am heutigen Montag geht es für ihn und seine Teamkollegen zu den Feierlichkeiten in die Berliner Max-Schmeling-Halle (ARD live ab 16.10 Uhr), dort spielt der 21-Jährige seit 2009 für die Füchse und hat bislang in jedem Jahr einen Titel geholt. „Ich weiß, dass ich in diesem Jahr mit meinem Verein keinen mehr gewinnen kann, daher bin ich froh, dass ich jetzt mit der Nationalmannschaft einen habe, so kann ich die Quote halten.“

Mit dem Titelgewinn haben die deutschen Handballer nicht nur eine starke Turnierleistung gekrönt, sie haben sich auch für die Olympischen Spiele im August in Rio de Janeiro qualifiziert – zum ersten Mal seit 2008 in Peking, als das Team nach der Vorrunde ausschied. Vor der EM in Polen hieß es noch, der DHB plane eine Bewerbung zur Austragung eines Qualifikations-Turnier im April. Das hat sich am Sonntagabend erledigt.