Hamburg. Vor den HSV-Handballern sind schon weitere Topclubs in die Drittklassigkeit abgestürzt. Trainer Biegler nach Uganda

Der Jubel von 10.206 Fans, der rauschende 36:24-Sieg gegen Göppingen, der Appell von Kapitän Pascal Hens, die ausgelassene Feier im Barclaycard-Club – ist all das wirklich erst einen Monat her? Die Erinnerung an das letzte Bundesligaspiel der HSV-Handball-Geschichte verblasst hinter den dramatischen Ereignissen, die seitdem den Club erschüttert haben: hinter den vielen Spielern, die die Mannschaft verlassen haben; der Eröffnung des Insolvenzverfahrens; dem gescheiterten Versuch von Insolvenzverwalter Gideon Böhm, Mäzen Andreas Rudolph zur rettenden Zahlung zu bewegen; dem Lizenzentzug; schließlich dem Rückzug vom Spielbetrieb, mitten in der Saison. Ob sich der frühere deutsche Meister und Champions-League-Sieger jemals von diesem Schock erholt?

Beim Tusem Essen sind nun schon zehn Jahre vergangen, seit das Schicksal zugeschlagen hat, aber die Erinnerung schmerzt Klaus Schorn immer noch: „Wenn man einmal so etwas erlebt hat, lässt einen das nicht los.“ 2005, der Club hatte gerade zum dritten Mal den Europapokal gewonnen, musste der damalige Manager für den Tusem Insolvenz anmelden. Ein Sponsor hatte eine Zahlung in Höhe von 2,7 Millionen Euro versprochen, aber nie geleistet. Er wurde später wegen Betrugs zu vier Jahren Haft verurteilt.

Die sportlichen Folgen sind denen beim HSV verblüffend ähnlich: Die Mannschaft fiel auseinander und startete in der Regionalliga, der damals dritthöchsten Spielklasse, einen neuen Anlauf. So nahe der Vergleich also läge, Schorn, 81, wehrt ihn ab: „Wir haben zwar keine Lizenz mehr beantragt, die Saison aber trotzdem durchgezogen, um den Wettbewerb nicht zu verzerren. Auch die Spieler haben wir bis zum Schluss bezahlt. Wenn man so etwas anfängt, muss man es sauber beenden.“ Das habe er auch Andreas Rudolph gesagt, der selbst einst beim Tusem und beim Lokalrivalen Phönix in der Bundesliga aktiv war.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Rudolph, 60, damals zu den Kritikern des Lizenzierungsverfahrens gehörte. Dieses müsse „transparenter und schärfer“ werden, forderte der Medizintechnik-Unternehmer. Passiert ist eher das Gegenteil. Zuletzt begnügte sich die Bundesliga offenbar mit einer Verpflichtungserklärung von Rudolph über 2,5 Millionen Euro, um über die Finanzierungslücke im HSV-Etat hinwegzusehen. Dann aber war es Rudolph selbst, der von diesem Obligo nichts mehr wissen wollte – und das Schicksal seines Clubs damit besiegelte. Zwei Millionen Euro fehlten, um den Spielbetrieb bis Saisonende zu sichern und die Perspektive Bundesliga für Hamburg zu erhalten.

Die Rückkehr ist möglich, doch die Vorbilder aus der jüngeren Geschichte sind nicht unbedingt ermutigend. Der Tusem kehrte nach zwei Aufstiegen 2007 zurück in der Bundesliga, ging dann aber erneut in die Insolvenz. Heute findet er sich, nach einem weiteren Bundesliga-Gastspiel 2012/13, in der Zweiten Bundesliga wieder. Dort spielt auch die HSG Nordhorn, seitdem der damalige Europapokalsieger 2009 wegen Insolvenz absteigen musste. Die SG Wallau-Massenheim hat sich ganz aus dem Leistungshandball zurückgezogen. Der zweimalige Meister war 2005 zusammen mit Essen in die Dritte Liga abgestürzt – auch hier waren Sponsorenzahlungen ausgeblieben.

Das Vereinsleben aber, darauf legt Schorn wert, habe unter den Wirrungen des Profihandballs nicht gelitten: „Der Tusem hat 3000 Mitglieder, wir sind eine lebendige Gemeinschaft. Und wir hatten immer einen stabilen sportlichen Unterbau.“ Viele Talente, die der Club auch später noch ausgebildet hat, spielen heute in der Bundesliga.

Der HSV Hamburg will seinen Neuaufbau auf der U-23-Oberligamannschaft begründen, die vor dem Aufstieg in die Dritte Liga steht. Vom Profikader, der noch vor einem Monat die Fans begeisterte, sind nur noch acht Spieler da. Am Dienstag wurden zwei weitere Wechsel bekannt gegeben: Der dänische Top-Rechtsaußen Hans Lindberg, 34, erhält bei den Füchsen Berlin einen Vertrag bis 2019 (s. Artikel unten), der Halblinke Tom Wetzel, 24, schließt sich dem Bundesliga-Tabellenletzten TuS N-Lübbecke an.

Auch Trainer Michael Biegler hat eine neue Aufgabe gefunden. Im Anschluss an die EM, bei der er mit Polens Nationalmannschaft am Mittwoch (20.30 Uhr/Sportdeutschland.tv) gegen Kroatien um den Einzug ins Halbfinale kämpft, führt ihn seine Karriere nach Uganda. Wie das „World Handball Magazine“ berichtet, wird Biegler dort die Trainer und Handballlehrer schulen. Das Entwicklungshilfeprojekt des Weltverbandes IHF läuft bis 31. August 2017. Biegler, 54, wird dreimal für ein bis vier Wochen nach Uganda reisen.