Breslau.

Carsten Lichtlein riss die Arme in die Höhe, blickte sich noch einmal um, als wollte er sich vergewissern, dass der Wurf von Dmitrii Zhitnikow gerade tatsächlich oberhalb des Tores entlang geschossen war, dann rannte er los und warf sich Bundestrainer Dagur Sigurdsson in die Arme. Die deutsche Nationalmannschaft hatte vor 6.200 Zuschauern in der Jahrhunderthalle von Breslau in einer Nerven aufreibenden Partie 30:29 (17:16) gegen Russland gewonnen. Es war der vierte Sieg in Serie. Mit einem weiteren Sieg am Mittwoch, (18.15 Uhr, ARD) gegen Dänemark stünde die junge Mannschaft im Halbfinale der Handball-Europameisterschaft. Aber das wird unglaublich schwer.

Wie stark die noch ungeschlagenen Dänen sind, zeigten sie am Abend beim 27:23 (11:14)-Erfolg über Spanien, durch den die DHB-Auswahl vor dem letzten Spiel Platz auf Platz zwei vorrückte. „Ich bin unheimlich stolz auf das Team“, sagte Sigurdsson. Auch der sonst so kühle Isländer war nach dem denkbar knappen Sieg in einen kurzen Jubel ausgebrochen. „Deshalb bin ich auch direkt zu ihm gelaufen“, sagte Lichtlein. „Wenn er sich schon mal so freut.“ Der 35-jährige Torhüter, der im bisherigen Turnierverlauf Andreas Wolff das Scheinwerferlicht überlassen musste, war ein wichtiger Faktor in der umkämpften Partie – genau wie Erik Schmidt und Christian Dissinger, die mit sechs und sieben Treffern die besten Torschützen der Deutschen waren. Dissinger, Schmidt und Lichtlein haben uns heute sehr geholfen“, sagte Sigurdsson. „Wir haben gezeigt, dass wir eine Mannschaft sind, die nicht nur von zwei Spielern abhängig ist.“

Fast in jeder Partie bei dieser EM ist ein anderer Spieler über sich hinaus gewachsen, gegen Dänemark werden zwangsläufig neue Kandidaten für diese Rolle gesucht, denn sowohl Dissinger Hüfte) als auch Kapitän Steffen Weinhold (Oberschenkel) haben sich am Sonntagabend verletzt. „Sie haben beide muskuläre Verletzungen“, sagte Bob Hanning, DHB-Vizepräsident Leistungssport. Sigurdsson ergänzte: „Es sieht nicht gut aus. Wir werden zur Sicherheit definitiv Julius Kühn und Kai Häfner nachnominieren und trotzdem hoffen, dass wie die Beiden bis zum Mittwoch fit bekommen.“

Die zwei Tage Pause kommen für die Mannschaft, in der die Hälfte der Akteure auch noch mit einer Erkältung zu kämpfen hat, nun wie gerufen. Die fünf vergangenen Partien waren der Auswahl am Sonntagabend deutlich anzumerken. „Wir hatten nicht so eine gute Beinarbeit, wie in den letzten Spielen“, sagte Schmidt. Nach drei Minuten lagen die deutschen Handballer schon 0:3 zurück. Dagur Sigurdsson beorderte Hendrik Pekeler vom Feld und redete vehement auf ihn ein. Nicht aggressiv genug ging ihm der Defensivspezialist zu Werke gegen die dynamisch aufspielenden Russen, die immer wieder zu freien Würfen kamen.

Besonders Mikhail Chipurin bekam die Deutschen einfach nicht in den Griff, zudem setzte ihnen das Tempo der russischen Auswahl zu. Russlands Kapitän Timur Dibirov brachte sein Team fünf Minuten später mit einem seiner gefürchteten Gegenstöße 7:4 in Führung. „Die haben die Bälle konsequent weitergegeben, da kann man sich noch etwas abschauen“, sagte Schmidt.

Der Mainzer, der bisher fast ausschließlich in der Abwehr gespielt hat, sorgte allerdings selbst in der Offensive für Entlastung. So kämpfte sich das deutsche Team zurück und ließ sich auch von einer der zahlreichen Fehlentscheidungen der portugisischen Schiedsrichter nicht beirren. „Da waren komische Entscheidungen dabei“, sagte Sigurdsson. Auch Dissinger fand im in der russische Deckung nun Lücken und sorgte so dafür, dass Deutschland mit einem knappen Vorsprung in die Pause gehen konnte (17:16).

Die Pause nutzte das Trainerteam, um der Mannschaft eine andere Abwehrstrategie mitzugeben. Mit einer 5:1-Deckung kam die deutsche Auswahl aus der Kabine. Der Plan, den Spielaufbau der Russen zu stören ging sofort auf und Deutschland 19:16 in Führung. Eine Viertelstunde vor Schluss bewies Schmidt dann, dass nicht nur Steffen Fäth Bälle ohne hinzuschauen zu ihrem Ziel bringen kann. Im Fallen warf er den Ball über seine Schulter ins Tor zur 25:20-Führung. Durch eigene Fehler glitt den deutschen Handballern die Partie aber beinahe doch noch durch die Finger. „Am Ende haben wir es durch Ballverluste unnötig spannende gemacht“, sagte Lichtlein. Allerdings wurden auch zwei Treffer der Deutschen nicht gegeben, obwohl sie die Torlinie klar überquert hatten. „Das war ein teurer Sieg“, sagte Hanning bezogen auf die beiden Verletzten. Stolz war aber auch er: „Wir sind jetzt unter den besten sechs Teams der Welt angekommen“, sagt er.