Belek. St. Paulis Torhüter Himmelmann, Heerwagen und Brodersen sprechen über ihr Verhältnis untereinander und die Sehnsucht nach dem Gefühl, einen Treffer zu erzielen

Torhüter sind nicht nur eine ganz besondere Spezies von Mannschaftssportlern, unter ihnen herrscht oft auch ein sehr ausgeprägter Konkurrenzkampf. Es kann speziell im Fußball immer nur einen geben, der spielt, Wechsel wie im Handball etwa gibt es kaum. Deshalb ist es nicht selbstverständlich, dass die drei Torhüter einer Mannschaft ein gemeinsames Interview geben. Die drei Keeper des FC St. Pauli, Robin Himmelmann, 26, Philipp Heerwagen, 32, und Svend Brodersen, 18, aber sprachen im Trainingslager in Belek mit dem Abendblatt ausführlich über den Reiz ihrer Position, ihre Rolle im gesamten Team, die Besonderheiten des FC St. Pauli und nicht zuletzt über das Vertrauen zu ihrem Torwarttrainer Mathias Hain.

Hamburger Abendblatt: Haben Sie nach einer Woche langsam schon genug vom Trainingslager?

Robin Himmelmann: Nein, überhaupt nicht. Es ist ja jetzt erst richtig losgegangen. Wir haben sehr gute Bedingungen und können die Zeit optimal nutzen.

Philipp Heerwagen: Es ist ein Traum, sich hier immer wieder auf den Teppich von Rasen werfen zu können. Das wäre jetzt in Hamburg ganz anders. Ich habe gerade zu unserem Torwarttrainer Ma­thias Hain beim Einzeltraining noch gesagt: „Das ist einfach so schön. Willst du nicht auch noch mal ins Tor gehen und das genießen?“ Ich habe ihn dann tatsächlich dazu überredet und ihm ein paar Bälle aufs Tor geschossen.

Svend Brodersen: Für mich sind solche Trainingsreisen mit den Profis immer noch etwas Besonderes, auch wenn ich jetzt das dritte Mal dabei bin. Es wird hier immer noch etwas intensiver trainiert als zu Hause. Ganz speziell ist jetzt für mich, dass ich noch nie in meinem bisherigen Leben so weit von zu Hause weg war wie jetzt.

Beschreiben Sie doch mal ihre beiden Torwartkollegen.

Himmelmann: Philipp hat viel Erfahrung mit ins Team gebracht. Von ihm kann jeder viel lernen, auch die Feldspieler übrigens. Svend ist jung und sprüht vor Elan. Privat haben wir drei allesamt ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Keiner wünscht dem anderen etwas Schlechtes. Mit unserem Torwarttrainer Matze Hain haben wir eine Vierer-Kombination, die allen guttut.

Heerwagen: Es ist auch deshalb sehr schön, mit den beiden zusammenzuarbeiten, weil es für mich eine Reise in die Vergangenheit ist. Die Karrierephasen, in denen die beiden sich jetzt befinden, habe ich ja auch erlebt. Wir sehen uns in erster Linie als eine Trainingsgruppe, auch wenn jeder sein Ding durchziehen muss, weil wir ja eben auf unserer Position Einzelkämpfer sind. Die ausgesprochen angenehme Arbeitsatmosphäre ist für mich ein ganz entscheidender Grund, warum ich mich bei St. Pauli so wohl fühle.

Brodersen: Philipp kenne ich noch aus meinen Bundesliga-Stickeralben, als er in Bochum in der Bundesliga spielte. Als Robin zu uns kam, war ich noch in St. Paulis U16. Da hat mir mein Vater schon gesagt: „Da ist ein super Keeper gekommen. Und der hat auch noch was in der Birne.“ Auf jeden Fall habe ich vor beiden einen sehr großen Respekt.

Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, ausgerechnet Torhüter zu werden? Früher mussten beim Kicken auf dem Schulhof immer die Dicken ins Tor, weil sie nicht laufen konnten.

Heerwagen: Ein Torhüter läuft heute in einem Spiel rund fünf Kilometer. Das wissen auch die wenigsten. Als ich in Unterhaching auf der Straße gebolzt habe, war ich nie im Tor. Ein Freund hat mich dann mit zum Verein genommen, weil es da schon einen Rasenplatz gab, auf dem man sich beim Grätschen keine Schürfwunden holte. Weil ich dort aber der Neue war, musste ich ins Tor. Das habe ich dann ganz gut gemacht.

Brodersen: Grundsätzlich sind heute die Anforderungen an einen Torhüter wesentlich umfangreicher als früher. Man muss den Ball gezielt ins Spiel bringen, als Anspielstation zur Verfügung stehen und aus dem Strafraum kommen, um Bälle abzufangen. Im Grunde sind wir heute eher normale Fußballspieler, die als Einzige auch die Hände benutzen dürfen. Ich selbst war in der Jugend auch Feldspieler und habe nur einmal beim ETV im Tor ausgeholfen, weil unser Keeper ausgefallen war. Da haben wir gegen den FC St. Pauli gespielt. Danach bin ich dann von St. Pauli angesprochen worden.

Himmelmann: Als Kind habe ich abwechselnd draußen und im Tor gespielt. Später gab es dann bei uns in der Region am Niederrhein Torwartcamps, an denen ich teilgenommen habe. Dort habe ich ein gewisses Faible für diese Position entdeckt.

Heerwagen: Trotzdem wäre es echt mal schön zu erfahren: Wie ist es, selbst ein Tor zu schießen?

Dann müssen Sie wahrscheinlich Elfmeterschießen trainieren und darin so gut werden wie es Hans-Jörg Butt war.

Heerwagen: Nein, ich meine, ein richtiges Tor schießen. Als Torwart ein Elfmetertor zu schießen ist wie alkoholfreies Bier zu trinken.

Was macht für Sie überhaupt den Reiz aus, im Tor zu stehen?

Himmelmann: Man kann als Torwart in der 90. Minute der Held, aber genauso gut auch der Depp des Spiels werden. Beides habe ich schon innerhalb nur einer Woche erlebt. Es ist immer ein besonderer Druck, ein Nervenkitzel, der aber eben auch reizvoll ist.

Heerwagen: Einen schweren Ball zu halten ist das Ergebnis einer langen Arbeit und Schufterei im Training. Deshalb fühle ich mich nach einem intensiven Training auch sehr gut. Ein Negativerlebnis spornt mich an, eher noch härter zu arbeiten.

Ihr Torwarttrainer Mathias Hain hat selbst rund zwei Jahrzehnte als Profi im Tor gespielt, zuletzt auch beim FC St. Pauli. Wie charakterisieren Sie ihn?

Brodersen: Er ist mir gegenüber im positiven Sinne unnachgiebig und gibt sich nicht zufrieden damit, dass ich nur einen Ball abwehre, sondern will dann auch noch eine Anschlussaktion sehen.

Heerwagen: Ich sehe ihn als einen verlässlichen Partner, auch wenn er natürlich mein Vorgesetzter ist. Wir haben ein sehr großes Vertrauen in ihn. Wenn er uns sagen würde, wir sollen Bungee-Jumping machen, weil das gut für uns ist, würden wir das auch tun.

Himmelmann: Matze hat auch ein sehr gutes Gefühl für das, was für die gesamte Mannschaft gut und welche Ansprache gerade passend ist.

Welche Fußball-Idole hatten Sie als Kind, waren das auch schon Torhüter?

Himmelmann: Ich weiß gar nicht mehr, von wem ich Bilder an der Wand hatte. Das war eher sportartübergreifend. Aber als ich 13 war, hat Oliver Kahn die überragende WM 2002 in Japan und Südkorea gespielt. Das ist hängen geblieben. Zuletzt haben mich natürlich Manuel Neuer und auch Iker Casillas beeindruckt. Edwin van der Sar hat schon früh so gespielt, wie es heute als modern angesehen wird.

Heerwagen: Ich habe mir keinen Torwart an die Wand gehängt, aber mich von einigen inspirieren lassen. Ich fand immer, dass der Italiener Gigi Buffon ein starker Charakter im Tor war.

Brodersen: Mich haben schon als Kind Arbeitertypen im Sport beeindruckt. Ich fand, dass Matze Hain so ein Typ war, der sich in jeden Ball warf. Ich erinnere mich da noch an seine Zeit in Bielefeld.

Was bedeutet der FC St. Pauli für Sie über die Rolle des Arbeitgebers hinaus?

Brodersen: Mein Vater hat mich ja zum ersten Mal mit ins Millerntor-Stadion genommen, als ich vier Jahre alt war. Und dann haben wir uns, als es dem Club wirtschaftlich so schlecht ging, lebenslange Dauerkarten gekauft. Wenn ich Zeit habe, stelle ich mich auch heute noch bei den Spielen zu meinen Freunden auf die Südtribüne und genieße dort einfach immer wieder die atemberaubende Atmosphäre.

Himmelmann: Ich bin jetzt im vierten Jahr hier. Der FC St. Pauli gibt jedem Spieler viele Möglichkeiten, sich auch neben dem Platz einzubringen. Ich finde zum Beispiel klasse, was Philipp im Zusammenhang mit Viva con Agua leistet. Ich selbst versuche auch an verschiedenen Stellen im Viertel zu helfen. Es macht Spaß, ein Teil davon zu sein. Seit dem vergangenen Sommer sind Jan-Philipp Kalla und ich Partner bei den Rabauken. Da freue ich mich schon auf die nächsten Aktivitäten. Wenn man sportlich erfolgreich ist, macht man das mit einem noch größeren Lachen.

Heerwagen: Mit meinen 15 Jahren Profierfahrung kann ich voller Überzeugung sagen, dass dieser Verein etwas anderes ist, was es sonst in Deutschland an Fußballclubs gibt. Es ist für junge Spieler auch gut für ihre Entwicklung, dass der FC St. Pauli ein Verein ist, der eine Botschaft hat und diese vorlebt.

Der FC St. Pauli hat das zweite Testspiel im Trainingslager in Belek nach einer konzentrierten Leistung mit 5:0 gegen den FC Vaduz aus der Ersten Schweizer Liga gewonnen. Mittelfeldspieler Marc Rzatkowski (14., 83.) – mit einem Schuss aus 56 Metern und einem direkten Freistoß – und Stürmer John Verhoek (73., 75.) trafen jeweils doppelt, das fünfte Tor steuerte Sturmkollege Lennart Thy (52.) bei.