Hamburg. Insolvenzverwalter Böhm sieht aktuell keine Perspektive für Spielbetrieb. Insolvenzverfahren eröffnet, Lizenzentzug droht, Profis wird Wechsel nahegelegt

Als Gideon Böhm Freitagmittag seine Kanzlei in Winterhude verließ, um sich auf den Weg zur Pressekonferenz am Dammtor zu machen, ließ er eine Gruppe ratloser junger Männer zurück. Alle in Hamburg verbliebenen HSV-Handballprofis hatte der Insolvenzverwalter zu sich eingeladen, um ihnen vorab die traurige Botschaft zu übermitteln: Das Gutachten über die Betriebsgesellschaft mbH & Co. KG, das er am Morgen beim Amtsgericht eingereicht habe, komme zu dem Schluss, dass die finanziellen Mittel nicht ausreichten, um den Spielbetrieb fortzusetzen.

„Die Spieler waren sprachlos“, berichtete Böhm den Medienvertretern später. Sie hätten noch in seinen Büroräumen ausgeharrt, um über die Situation zu beraten. Der für den Nachmittag angesetzte Trainingsauftakt wurde abgesagt. Auch die Mitarbeiter der Geschäftsstelle sind beschäftigungslos.

Ob die Bundesligamannschaft ihre Arbeit am Montag wieder aufnimmt, ist zweifelhaft. „Ich habe immer gehofft, dass es weitergeht“, sagte Kapitän Pascal Hens, 35, dem Sender Sky Sport News HD. Zu realisieren, dass es vorbei sein soll, falle ihm sehr schwer.

Noch ist der deutsche Meister von 2011 und Champions-League-Sieger von 2013 zwar nicht vom Spielbetrieb abgemeldet. „Aber ich gehe davon aus, dass ich das in Kürze mitteilen muss“, sagte Böhm. Das Insolvenzgeld ist aufgebraucht, die Gehälter können nicht mehr bezahlt werden – „trotz erheblichen Entgegenkommens der Spieler und hohen Engagements der Sponsoren und Förderer“, wie Böhm betonte.

Die Finanzierungslücke belaufe sich aktuell auf zwei Millionen Euro. Das Insolvenzverfahren, das Böhm am Vormittag beantragt hatte, ist bereits eröffnet, der promovierte Fachanwalt zum Verwalter bestellt worden. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis von Geschäftsführer Christian Fitzek ist damit erloschen. Ihm drohen nun offenbar auch rechtliche Konsequenzen (siehe nebenstehenden Artikel).

Fitzek hatte die Handball-Bundesliga (HBL) offenbar im Lizenzierungsverfahren darüber im Unklaren gelassen, dass Vereinsmäzen Andreas Rudolph seine Verpflichtungserklärung in Höhe von 2,5 Millionen Euro durch ein am selben Tag verfasstes Schreiben an den HSV massiv eingeschränkt hatte – das Abendblatt berichtete über den Vorgang am 11. Dezember. Darin soll Rudolph Sponsoringleistungen und weitere Einnahmen gegengerechnet haben. Der Medizinunternehmer selbst beharrte im Gespräch mit Böhm auf seiner Position, allen Verpflichtungen nachgekommen zu sein. Böhm kündigte einen Rechtsstreit an, doch auch im Erfolgsfall wäre das Problem nicht gelöst: „Wir benötigen das Geld aktuell.“

Böhm wollte der HBL noch am Freitag Rudolphs umstrittenes Schreiben übermitteln. „Wir können uns aber erst Anfang kommender Woche äußern, wenn wir die Unterlagen geprüft haben“, sagte HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann. Böhm räumte ein, dass die Lizenz „mit einem Makel behaftet“ sei und es „berechtigte Zweifel“ an ihrer Rechtmäßigkeit gebe. Sollte die HBL sie entziehen, würde der HSV nach Paragraf 8 der Satzung in die Dritte Liga zurückgestuft – allerdings erst am Saisonende.

Selbst wenn es dazu nicht kommt: Dass der HSV überhaupt so lange durchhält, ist laut Böhm nur denkbar, wenn es „klare Signale von Liga, Spielern und Förderern“ gebe, ob und mit welcher Mannschaft es weitergehe. Grundsätzlich sei es zwar möglich, dass der Tabellenvierte die verbleibenden 14 Spiele mit einer sehr viel kostengünstigeren Mannschaft bestreite. Doch gelte es, dies „innerhalb der kommenden 14 Tage“ zu klären. Bereits am 10. Februar müsste der HSV bei Pokalsieger Flensburg-Handewitt antreten. Böhm legte allen Profis indirekt nahe, sich innerhalb der bis 15. Februar laufenden Wechselfrist einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. „Ich habe für jeden großes Verständnis, der in dieser Situation einen solchen Schritt vollziehen will.“

Adrian Pfahl, Ilija Brozovic und Jens Vortmann haben dies bereits getan – aufgrund zweier ausgebliebener Monatsgehälter stand ihnen dieses Recht ohnehin zu. Auch Erfolgstrainer Michael Biegler, der am Freitag in seinem Hauptberuf mit Polens Nationalmannschaft in die Heim-EM startete, dürfte nicht länger finanzierbar sein.

Selbst die Heimspiele waren nach Angaben Böhms „defizitär“. Man habe zwar in Verhandlungen mit den Partnern ein Modell entwickelt, „das dies verhindert“. So soll die Barclaycard Arena dem HSV angeboten haben, die Hallenmiete von bis zu 56.000 auf 12.000 Euro pro Partie zu senken. Doch um die Spielergehälter zu finanzieren – zuletzt insgesamt 300.000 Euro monatlich –, sind laut Böhm weitere Sponsoring-Einnahmen unabdingbar.

Der sportliche Abstieg wenigstens wäre nicht zu befürchten. Zwar werden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens acht Pluspunkte aberkannt. Weitere vier Punkte kostet es, dass der HSV sein negatives bilanzielles Eigenkapital in den vergangenen drei Jahren nicht entscheidend abgebaut hat. Doch dürfte der Vorsprung bei 29:11 Zählern trotzdem zum Klassenerhalt reichen.

Böhm hält es in diesem Fall für möglich, dass der HSV im Sommer in eine 15. Bundesligasaison geht, dann mit einem neuen wirtschaftlichen Träger. Laut HBL-Satzung müsste dafür freilich das Insolvenzverfahren bis zum 10. April aufgehoben sein. Doch selbst wenn es gelingt, diesen Passus auszuhebeln: Dem HSV läuft die Zeit davon. Bis zum 1. März ist der Lizenzantrag einzureichen. Böhm bezifferte den Finanzbedarf für die kommenden drei Jahre auf insgesamt acht Millionen Euro: „Dieses Geld lässt sich einwerben, aber nicht in dieser kurzen Frist.“

Wahrscheinlicher ist daher, dass der Handball-Sport-Verein Hamburg einen Neuanfang in der Dritten Liga unternimmt. Die Oberligamannschaft hat den Aufstieg angesichts von fünf Punkten Vorsprung bereits vor Augen. „Für den HSV e. V. gibt es eine positive Fortführungsprognose, wir haben gute Gespräche geführt“, sagte Vereinsgeschäftsführer Gunnar Sadewater. Das sei an diesem „schwarzen Tag für den Handball in Hamburg ein wichtiges Statement“.