Interimscoach Adrian Wagner über die Situation der HSV-Handballer und die Bedeutung des jetzigen Cheftrainers für die Nachwuchsarbeit im Hamburger Handball

Der 15. Januar wird ein wichtiger Tag für die HSV-Handballer. Dann will der vorläufige Insolvenzverwalter Dr. Gideon Böhm seine Fortführungsprognose für das Bundesligateam abgeben. Zugleich ist am Freitag Trainingsauftakt für die zweite Saisonhälfte. In Abwesenheit von Erfolgscoach Michael Biegler, der das polnische Nationalteam bei der EM im eigenen Land betreut, soll Ex-Nationalspieler Adrian Wagner die Profis fit machen. Am Freitag fehlt der Landestrainer des Hamburger Verbands noch. „Da werde ich beim Länderpokal der Mädels in Stuttgart sein. Ich fange am Montag an“, sagt der 37-Jährige. Zunächst sind für die HSV-Profis Athletikeinheiten mit Rosario Cassara und Physiotherapeutin Jenny Köster angesetzt.

Hamburger Abendblatt: Sie sind Jugendtrainer beim HSV und Landestrainer des männlichen und weiblichen Nachwuchses. Sind Sie beim HSV angestellt oder beim Verband? Wer zahlt Ihr Gehalt?

Adrian Wagner: Ich bin nicht von der Insolvenz betroffen. Hauptamtlich bin ich Landestrainer. Und im Zuge einer Kooperation betreue ich auch beim HSV die B-Jugend, die den älteren Jahrgang (1999) der Hamburger Auswahl stellt.

Und nun werden Sie vom Verband für drei Wochen für die Profis abgestellt?

Wagner: Genau. Und ich finde, wenn Verband und Verein so eng zusammenarbeiten, dass der Verband in solch einer Situation auch mal helfen kann. Dann ist das nach außen hin ein tolles Bild. Ich bin mir nicht sicher, ob das auch in anderen Bundesländern derart entspannt abläuft. Das muss auch in Zukunft der Hamburger Weg sein.

Wie kam das HSV-Angebot zustande?

Wagner: Ich hatte vor zwei, drei Monaten ein Gespräch mit Michael Biegler. Er hatte mich angesprochen, ob ich mir diese Vertretung während der EM im Januar/Februar vorstellen könnte. Die Planung stand also schon länger fest.

Geht für Sie ein Traum in Erfüllung, mal Bundesligatrainer zu sein?

Wagner: Das ist hier keine Tätigkeit als Bundesligatrainer! Ich schließe nur ein Fenster für den speziellen Fall, dass ein Bundesliga- auch Nationaltrainer ist, und die Inhalte sind alle von Michael vorgegeben. Ich bin vor Ort und setze um, was er sich vorstellt. Das allein ist aufregend genug. Es ist klasse, mit solchen Vollprofis arbeiten zu dürfen.

Wie wird die Zusammenarbeit mit Biegler aus der Ferne in der Praxis sein?

Wagner: Jetzt werden wir die Trainingspläne besprechen, ich erhalte die Vorgaben und werde ihm regelmäßig Report geben. Und wenn etwas sein sollte, wird sich Michael schon melden.

Biegler hat seinen Abschied beim HSV zum Saisonende angekündigt. Nach dem Jahresabschluss gegen Göppingen (36:24) ließ er sogar offen, ob er im Februar zurückkehrt. Würden Sie sich im Fall der Fälle zutrauen, den Posten in der zweiten Saisonhälfte zu übernehmen?

Wagner: Es ist neben meiner hauptamtlichen Tätigkeit, mit der ich superglücklich bin, gar nicht möglich, eine Bundesligamannschaft zu trainieren. Ich gehe zudem davon aus, dass er zurückkommt. Bei dieser Superarbeit, die hier geleistet wurde und die sich auch in den Ergebnissen widerspiegelt, kann ich mir schwer vorstellen, dass ein Trainer diesen Weg abbricht. Und als jemand aus dem Nachwuchsbereich würde ich mich persönlich sehr freuen, wenn er bliebe, weil ich das Gefühl habe, dass Michael ein Trainer ist, der Interesse daran hat, junge Leute an die Bundes­liga heranzuführen.

Er saß ja auch schon bei Jugendspielen in der Volksbankarena.

Wagner: Und das sehen die Jungs! Die sehen, dass da der Bundesligatrainer ihnen zuguckt. Das fehlte in den letzten Jahren in Hamburg. Ich würde mich riesig freuen, wenn diese Toptalente – und davon hatten wir schon ein paar – zumindest die Chance bekämen, von so einem geschulten Auge gesehen und vielleicht gefördert zu werden, damit irgendwann ein paar Hamburger Jungs in der Bundesliga spielen. Dafür ist Michael genau der Richtige.

Wie haben Sie als Außenstehender die Entwicklung des HSV seit 2003 verfolgt?

Wagner: Das war ein kleines Märchen: 2005 aus dem Scherbenhaufen auferstanden, dann hat man sich mit dem Meistertitel und dem Champions-League-Titel die Krone aufgesetzt. Ich habe jedem diese Erfolge gegönnt, weil alle über Jahre an diesen Verein und dieses Team geglaubt haben. Es wäre eine Katastrophe, wenn das jetzt von heute auf morgen zu Ende ginge. Dieser Verein hat Hamburg nach außen hin toll repräsentiert. Der HSV zieht auch Kinder zum Handball. Fehlten diese Impulse, würde das Ganze bis zu mir durchschlagen – und wir hätten noch größere Nachwuchssorgen als ohnehin schon.

Sie haben als Profi selbst für krisengeplagte Bundesligaclubs gespielt: Dormagen und Gummersbach. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Wagner: Man darf auch Schwartau nicht vergessen. Mein Einstieg in das Profi­geschäft war mit Schwartau schon sehr negativ und danach auch die Erlebnisse 2002/2003 im ersten Jahr beim HSV. Ich habe von 17 Jahren Bundesligahandball mehr als zehn in schwierigen finanziellen Zeiten verlebt.

Gab es Situationen, in denen Sie Ihre Miete nicht mehr zahlen konnten?

Wagner: Das war ganz am Anfang so. Da hat man noch nicht die Verträge, die es einem ermöglichten, vorzuarbeiten für die nächsten Jahre. Das war gleich in Schwartau so, als alles auf der Kippe stand und dann 2002 der Umzug nach Hamburg passierte. Da war mein Konto am Limit. Das hat mich damals dazu getrieben, mich gegen Hamburg zu entscheiden, und das als Hamburger. So, denke ich, gehen manche Spieler auch jetzt mit dieser Situation um. Zwei HSVer (Jens Vortmann und Adrian Pfahl, die Red.) haben sich nun entschieden, diesen Druck nicht mehr durchstehen zu wollen. Das ist legitim.

Haben Sie auch positive Erinnerungen daran, wie Ihre Teams mit solchen Ex­tremsituationen umgingen?

Wagner: Die Gruppe ist ein gutes Ventil, da kannst du mit anderen Betroffenen sprechen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ein bisschen nach den finanziellen Ausgangssituationen der Einzelnen und ihrer Familien geguckt wird und denen geholfen wird, die am meisten Druck haben. Ich denke auch, dass in dieser Zeit Kommunikation und so viel Information wie möglich ganz wichtig sind. Das war jedenfalls früher bei mir persönlich der Fall. Ich habe gern geholfen, ich habe gern die Füße still gehalten und versucht, den Weg mitzugehen, wenn wir auf dem Laufenden gehalten wurden. Und ich glaube, das klappt auch hier ganz gut. Insgesamt kann so eine Situation eine Truppe zusammenschweißen. Dieses Gefühl habe ich beim HSV. Das ist ein gutes Zeichen für ein intaktes Team. Da gibt es andere Mannschaften, die daran zerbrechen würden. Hier sind alle daran interessiert, dass es weitergeht.