Belek. Im Interview über Demut spricht HSV-Überflieger Michael Gregoritsch von einem Spontanbesuch im alten Internat und das Leben als Dauer-Nesthäkchen

Die luxuriöse Lobby des Fünf-Sterne-Hotels Sueno Deluxe ist wohl der unpassendste Ort in ganz Belek, um ein Gespräch über Demut zu führen. Mit HSV-Profi Michael Gregoritsch haben wir es trotzdem probiert.

Hamburger Abendblatt: Herr Gregoritsch, was bedeutet Demut für Sie?

Michael Gregoritsch: Puh. Gerade vorhin hat mich Rudi (Artjoms Rudnevs, die Red.) gefragt, warum ich immer gute Laune hätte. Da habe ich geantwortet: Ich bin gesund, meine Familie ist gesund, und ich habe den Job, den ich als Kind schon immer haben wollte. Ich bin auf der Sonnenseite des Lebens – deswegen sollte man sich selbst daran erinnern, demütig zu bleiben.

Sie haben kürzlich gesagt, dass Sie sich für das neue Jahr vorgenommen hätten, an alle Aufgaben mit einer Portion Demut heranzugehen. Ist das so schwer?

Gregoritsch: Nee, aber kurz vor Silvester wurde ich von jemandem gefragt, was ich mir für das neue Jahr vorgenommen habe. Eigentlich habe ich mir vorgenommen, dass ich nicht immer die Klamotten auf den Boden schmeiße. Oder besser: Meine Freundin hat mir ganz nett gesagt, dass ich mir das mal vornehmen sollte. Das wollte ich dann aber lieber nicht antworten. Im Prinzip will ich in diesem Jahr genauso weitermachen wie im vergangenen – aber eben weiter mit der notwendigen Portion Demut. Jetzt sind wir zum Beispiel im Trainingslager in Belek gerade in einem Fünf-Sterne-Luxushotel, das man schätzen sollte ...

... und in dem Sie Ihre Klamotten noch eine Woche lang auf den Boden schmeißen können.

Gregoritsch: Statt meiner Freundin würde dann mein Zimmerpartner Andreas Hirzel Einspruch erheben (lacht).

Ganz im Ernst: Droht einem im Paralleluniversum Profifußball manchmal, eine gesunde Portion Demut zu verlieren?

Gregoritsch: Natürlich besteht die Gefahr. Man verdient gut, wahrscheinlich viel zu gut, wird umsorgt und hofiert. Irgendwann gewöhnt man sich dann an diesen Zustand. Aber dann muss man sich selbst in Erinnerung rufen, dass dieser Zustand eben alles andere als selbstverständlich ist.

Das klingt so einfach.

Gregoritsch: Ich bin ja nicht wie eine Rakete von heute auf morgen durchgestartet, sondern bin die Karrieretreppe langsam Stufe für Stufe hochgeklettert. In Kapfenberg hat es mir gut gefallen, in Hoffenheim, St. Pauli und in Bochum haben wir auch in ordentlichen Hotels gewohnt, und nun sind wir eben in einem Fünf-Sterne-Hotel mit dem HSV. Doch irgendwie war und bin ich jedes Mal aufs Neue begeistert. Das ist vielleicht auch entscheidend: Man sollte sich seine Begeisterung bewahren.

Das schafft nicht jeder.

Gregoritsch: Es klingt hochtrabend, aber man sollte nicht vergessen, wo man herkommt. Ich bin ja nicht in einem Slum oder unter der Brücke groß geworden, aber auch nicht in einem Fünf-Sterne-Hotel. Natürlich genieße ich den Luxus, aber ich kann auch ohne. Ich hatte zum Beispiel keine Lust, über die Feiertage mal in die Sonne zu jetten.

Sondern?

Gregoritsch: Ich bin in die Heimat nach Österreich geflogen, weil ich Silvester unbedingt mit meinen besten Freunden feiern wollte. Am 22. Dezember hat mich dann mein bester Kumpel, mit dem ich früher in Kapfenberg im Jugendinternat zusammengewohnt und gespielt habe, vom Flughafen abgeholt. Es war schon kurz nach 23 Uhr, als wir auf dem Weg nach Hause waren und uns überlegt hatten, ob wir nicht noch mal kurz in Kapfenberg an unserem alten Internat vorbei fahren wollten.

Und? Wie war es?

Gregoritsch: Nach fünf Minuten waren wir durch Kapfenberg durch und standen vor unserem Internat, einem neunstöckigen Gebäude, in dem die dritte bis sechste Etage für den Fußballnachwuchs reserviert war. Und als wir bemerkten, dass in einigen dieser Zimmer das Licht noch brannte, haben wir geklopft und zwei Jungs gefragt, ob wir unsere alten Zimmer noch mal sehen dürften. Genau wie die Jungs heute wohnten wir damals auch immer zu zweit in einem kleinen, spartanischen Drei-Zimmer-Appartement. Und es war wirklich alles wie früher. In meinem Zehn-Quadratmeter-Zimmer standen bis auf einen neuen Schreibtischstuhl noch genau dieselben Möbel. Ich fand sogar die gleichen Ritze im Bettgestell, die ich damals reingemacht hatte.

Haben die Jungs Sie gar nicht erkannt?

Gregoritsch: Doch. Aber die fanden das natürlich cool, dass da praktisch einer von ihnen, der es bis in die Bundesliga geschafft hat, plötzlich vor ihrer Tür stand. Die beiden, mein Kumpel und ich haben dann den ganzen Abend bis ein Uhr morgens Playstation gespielt. Und irgendwie war alles wie früher.

Hat Ihr Kumpel auch den Sprung in den Profifußball geschafft?

Gregoritsch: Nee. Er spielt mittlerweile in Österreichs fünfter Liga und studiert BWL. Aber er bereut überhaupt nichts, liebt das Studentenleben.

Glauben Sie nicht, dass er manchmal gerne mit Ihnen getauscht hätte?

Gregoritsch: Ich weiß nicht, ob er so denkt. Aber ich denke manchmal, dass ich gerne mit ihm tauschen würde.

BAFöG statt Millionengehalt?

Gregoritsch: Man kann nicht alles am Geld festmachen. Letztens hat er mich zusammen mit vier Kumpels besucht, da haben die fünf ein Wochenende lang die Nacht in Hamburg zum Tag gemacht. Es muss ein Mordsspaß gewesen sein. Los ging es am Freitagabend. Und gerade als die Jungs gegen 21.30 Uhr lustig wurden, musste ich mich mit meinem Wässerchen verabschieden. Auf der einen Seite vermisse ich das ...

... und auf der anderen Seite?

Gregoritsch: Auf der anderen Seite saßen die Jungs dann einen Tag später um 15.30 Uhr auf der Tribüne im Volkspark, ich stand unten auf dem Rasen. Und das ist jedes Mal wieder ein so unglaubliches Gefühl, dass ich genau weiß, dass ich demütig bleiben muss.

Trainer Bruno Labbadia hat nach dem Relegationsfinale im vergangenen Sommer mehrfach betont, dass sich der HSV endlich in Demut üben müsste.

Gregoritsch: Da hat er sicherlich recht. Ich war ja früher noch nicht dabei. Aber es fiel schon auf, dass beim HSV oftmals Anspruch und Wirklichkeit auseinandergingen. Dabei merkt man sehr schnell, ob eine Mannschaft die nötige Demut hat. In Hoffenheim habe ich die zum Beispiel auch mal vermisst, in Kapfenberg, bei St. Pauli und in Bochum hatte ich nie Zweifel.

Kann man auch zu demütig sein?

Gregoritsch: Man sollte Demut nicht mit Selbstbewusstsein verwechseln. Erst letztens haben wir uns mit der Mannschaft über die ordentliche Hinrunde unterhalten. Doch bei aller Demut sind wir auch selbstbewusst genug, dass wir mit dieser ordentlichen Halbserie nicht zufrieden sein wollen. Wir waren uns einig, dass wir viel zu viele Punkte liegen gelassen haben und eine noch bessere Rückrunde spielen wollen.

Vor Kurzem hat Clubchef Dietmar Beiersdorfer dem Magazin „Chrismon“ ein ganzes Interview über das Thema Demut gegeben. Haben Sie es gelesen?

Gregoritsch: Ich habe es überflogen. Besonders über die Passage, in der er erzählte, wie er vom HSV zu Werder gewechselt ist, musste ich schmunzeln.

Beiersdorfer sagte, dass Demut ein Führungsprinzip sei. Stimmen Sie zu?

Gregoritsch: Als demütiger Jungprofi würde ich nicht wagen, dem Präsidenten zu widersprechen.(lacht) Aber im Ernst: Natürlich sollte man als Führungspersönlichkeit Demut vorleben.

Als Bundesliganeuling standen Sie in der Hinrunde in 16 von 17 Spielen auf dem Platz. Können Sie als 21 alter Jungprofi schon den Anspruch haben, ein Führungsspieler zu sein?

Gregoritsch: Nein. Wenn ich bedenke, dass ich gerade mal 16 Bundesligaspiele absolviert habe, dann kann ich in einer Mannschaft mit René Adler, Johan Djourou, Emir Spahic oder Albin Ekdal natürlich kein Führungsspieler sein. Wahrscheinlich gibt es bei uns 15 Jungs, die zehnmal mehr Bundesliga auf dem Buckel haben als ich. Doch bei aller Demut kann ich auch selbstbewusst sein und versuchen, in der Rückrunde wieder in mindestens 16 von 17 Spielen auf dem Platz zu stehen.

Sie sind schon seit sechs Jahren Profi, waren aber bislang immer nur „der Kleine“. Nun ist mit Dren Feka, Finn Porath und Kerim Carolus die neue Generation in Belek dabei. Sind Sie froh, mal nicht „der Kleine“ zu sein?

Gregoritsch: Bei den Spielern, die um einen Stammplatz kämpfen, bin ich immer noch „der Youngster“. Das hat aber auch seine Vorteile. Gerade Ekdal, Adler und Djourou haben immer ein Auge auf mich geworfen. Mit diesen drei sitze ich auch beim Essen zusammen. Und wenn mir mal im Spiel oder Training eine Aktion misslingt, dann höre ich sofort, wie René über den ganzen Platz ruft: „Kopf hoch, Micha!“

Die etwas Älteren achten auf Sie. Achten Sie dann auf Feka, Porath und Co?

Gregoritsch: Klar. Das ist ja der ganz normale Kreislauf einer Fußballmannschaft. Noch gehöre ich auch zu denen, die nach dem Training die Bälle zusammensammeln oder die Tore tragen müssen. Aber bei aller Demut freue mich auch auf den Moment, an dem ich irgendwann mal „den Youngsters“ sagen kann: „Jungs, Tor tragen!“