Hamburg. Die Hamburgerin Laura Ludwig über sportliche Krisen, die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro und erste Gedanken an das noch ferne Karriereende

Laura Ludwig lässt sich auf den Korbstuhl im BeachCenter am Alten Teichweg in Dulsberg fallen und wirft ihre Sporttasche auf den freien Platz daneben. „Die ist noch von den Olympischen Spielen 2012 in London“, sagt die Beachvolleyball-Nationalspielerin des HSV und fügt mit einem Zwinkern hinzu: „Ich hoffe, wir bekommen im Sommer eine neue.“ Ludwig, 29, und ihre Partnerin Kira Walkenhorst, 25, sind die größte Medaillenhoffnungen des Deutschen Volleyball-Verbandes für die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro. Den deutschen Verfolgerinnen sind sie enteilt, als amtierende Europameisterinnen stehen Ludwig/Walkenhorst mit 5200 Punkten auf Platz drei der Weltrangliste. Die ersten 15 Teams dürfen in Rio antreten. Das letzte Qualifikationsturnier wird vom 7. bis 12. Juni am Hamburger Rothenbaum ausgetragen.

Noch vor wenigen Monaten war aber unklar, ob Ludwig/Walkenhorst weiter zusammenspielen können. Im Interview mit dem Abendblatt spricht Laura Ludwig über Reizüberflutung, fehlende Visionen, das Karriereende und den beruhigenden Einfluss ihres Cheftrainers Jürgen „Wanne“Wagner.

Hamburger Abendblatt: Frau Ludwig, stellen Sie sich vor, es ist August, Sie sind in Rio de Janeiro. Was sehen Sie dann?

Laura Ludwig: Ein geiles Stadion an der Copacabana mit ganz vielen coolen Leuten, Samba-Musik und ganz viel Beachvolleyball. Ich fühle mich total gut, auch aufgeregt. Ich denke mal, zunächst wird eine Reizüberflutung über mich hereinbrechen, weil das einfach viel Trubel sein wird, aber ich bin total glücklich, da zu sein. Es wären meine dritten Spiele, und ich hoffe, mit den ganzen äußeren Einflüssen professionell umgehen und Kira, für die es die ersten Spiele sind, bei der Verarbeitung der Eindrücke helfen zu können.

Die Qualifikation für Rio läuft noch bis Mitte Juni. Gehen Sie inzwischen davon aus, nach Brasilien fliegen zu dürfen?

Ludwig: Mittlerweile schon. Es ist nicht so, dass wir im Detail alles planen, aber schon so, dass man sich mal nach Appartements umguckt. Es ist noch ein langer Weg, aber irgendwie ist es greifbar. Wir müssen uns nichts vormachen, wenn wir jetzt gut weiterspielen und körperlich fit bleiben, können wir uns schon darauf vorbereiten.

Das sah vor acht Monaten noch anders aus. Ende April hatte sich Kira Walkenhorst im Training am Knie verletzt und musste operiert werden.

Ludwig: Das war ein herber Schlag, vor allem, weil es so kurz vor Saisonbeginn passierte und wir eine echt geile Vorbereitung hatten. Die Saison beginnt, wir müssen zwölf Turniere hinlegen und liefern. Und plötzlich ist alles vier, fünf Wochen nach hinten verschoben. Das war echt eine harte Zeit.

Sie konnten schon vorher ein knappes Jahr nicht zusammenspielen, weil Kira Walkenhorst an Pfeifferschem Drüsenfieber erkrankt war. Sie selbst waren die ganze Zeit fit, mussten aber auf Ihre Partnerin warten. Was hat sich da in Ihrem Kopf abgespielt?

Ludwig: Die Krankheitsphase davor, das Dreivierteljahr war schwer für den Kopf. Ich habe über viele Punkte nachgedacht, und für Kira war es einfach mal hart, sechs Monate auszusetzen. Aber da war noch Zeit. Wir wussten, im Winter fangen wir wieder an und haben noch eine ganze Vorbereitung vor uns. Die Verletzung im April war dagegen wie ein Schnitt. Ich habe auf einmal die Vision nicht mehr gesehen, wusste nicht mehr, wie es weitergehen soll. Ich war nicht mehr der fröhliche Mensch, der ich eigentlich bin. Dieser große Traum von Olympia stand plötzlich infrage, wer weiß, ob ich danach noch weiterspiele? Ohne unsere Trainer Jürgen Wagner, Helke Claasen und unsere Mentaltrainerin Annett Szigeti hätte ich es vom Kopf her nicht hingekriegt.

Haben Sie in der Zeit auch mal daran gedacht, es lieber mit einer anderen Partnerin zu versuchen?

Ludwig: Nee! Bis ich aufhöre, möchte ich auf jeden Fall zu den besten Teams der Welt gehören, und ich weiß, mit Kira schaffe ich das. Ich wollte keine Plan-B-Lösung. Ganz oder gar nicht. Ich kann jetzt nicht sagen, ich hätte nach der Verletzung nicht einmal daran gedacht, schließlich war erst nicht klar, ob sie wiederkommt, ob die Operation gut verläuft. Aber es ist alles gut gelaufen, und danach war einfach klar, das ziehen wir gemeinsam durch.

Nach der WM im Juni in den Niederlanden, die Sie mit einem enttäuschenden 17. Platz abschlossen, wirkten Sie ratlos.

Ludwig: Wir hatten eine krasse Krisenzeit nach der WM. Wir wussten einfach nicht mehr, woran es jetzt noch scheitert. Wir waren gesund, doch irgendwie funktionierte es nicht, und wir spielten echt schlecht. Da mussten wir uns mal zurückziehen, über uns nachdenken, und ob wir überhaupt den Weg weiter so gehen wollen.

Sie sind weitergegangen, haben drei Turniere der World Tour, die Europameisterschaft und die deutsche Meisterschaft gewonnen. Wie erklären Sie sich das?

Ludwig: Nach der WM haben wir uns alle zusammengesetzt und gesagt: Jetzt ziehen wir das durch. Dann hat es Klick gemacht. Ich kriege schon wieder Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke. Das A und O dabei war das Team ums Team. Die haben an uns geglaubt und uns immer wieder hochgeholt. Wir sind von Woche zu Woche besser geworden, haben mehr zueinander gefunden. Ich glaube, wenn man das durchsteht und auch, wenn man so verschieden ist wie Kira und ich, aber ein gemeinsames Ziel hat, kriegt man das auch hin.

Welchen Einfluss hat Ihr Trainer Jürgen Wagner, der Julius Brink und Jonas Reckermann 2012 in London zu Olympiagold geführt hat?

Ludwig: Jürgen ist ein Ruhepol, der hat eine Vision und kann alles so überzeugend vermitteln, dass du auch daran glaubst. Ich bin eher die Hektische, oder war es, ich habe mich hoffentlich ein bisschen geändert. Ich habe von ihm gelernt, nicht immer emotional auf Sachen zu reagieren, sondern auch mal mit Geduld. Es gibt Wege, die man gehen kann, Entscheidungen, die man treffen kann. Wenn ich Angst habe oder mit einem Gedanken nicht weiterkomme, rede ich mit ihm darüber, und die Angst ist weg.

Sie spielen seit zwölf Jahren professionell Beachvolleyball. Hatten Sie mal einen Plan B für den Fall, dass es mit der großen Karriere nicht geklappt hätte?

Ludwig: Nee. Ich bin kein Typ gewesen, der sich um die Zukunft Gedanken gemacht hat. Ich war sehr kindlich, habe nicht so erwachsen an die Zukunft gedacht, was vielleicht gar nicht schlecht war. Jetzt kommen manchmal diese Gedanken. Was machst du danach? Die stressen mich auch. Aber zum Glück kann ich sie noch zur Seite drängen.

Gibt es denn eine Tendenz für die Zeit nach Olympia?

Ludwig: Eigentlich will ich, was nach Olympia passiert, erst nach den Spielen planen. Aber natürlich muss es langsam eine Struktur für ein Danach geben. Vor allem will ich mich mal niederlassen, so weit das als Beachvolleyballerin möglich ist, mit meinem Freund zusammenleben (Mornefe Bowes, Trainer der niederländischen Beachvolleyball-Nationalmannschaft, die Red.) und eine Familie haben. Aber jetzt komme ich erst einmal in das beste Beachvolleyball-Alter und will endlich ganz vorne in der Weltspitze dabei sein.

Die dreimalige Olympiasiegerin Kerri Walsh aus den USA ist 38 Jahre alt, hat drei Kinder und spielt immer noch in der Weltspitze mit. Könnten Sie sich Ähnliches vorstellen?

Ludwig: Kerri ist für mich ein Wunder. Wie sie das alles unter einen Hut bringt, verstehe ich nicht. Aber vorstellen kann ich mir das schon.

38 werden Sie erst 2024, bis dahin sind noch zwei weitere Olympische Spiele.

Ludwig: Stimmt, und leider 2024 nicht hier. Wenn Olympia nach Hamburg gekommen wäre, hätte ich mir ganz stark überlegt, auf jeden Fall so lange zu spielen. Ich würde niemals nie sagen. Beachvolleyball ist echt mein Leben, und ich liebe es. Das ist einfach das, was ich am besten kann.