Oberstdorf . Der beste deutsche Skispringer ist wie Peter Prevc ein Top-Favorit für den Gewinn der 64. Vierschanzentournee – halten dieses Mal die Nerven?

Severin Freund ist bereit für den Gipfelsturm – und auch seine Teamkollegen können das erwartete Gigantenduell mit Sloweniens Überflieger Peter Prevc kaum erwarten. Angeführt vom Weltmeister wollen die deutschen Ski-Adler bei der 64. Vierschanzentournee das seit 14 Jahren andauernde Sieg-Trauma (nach dem Sieg von Sven Hannawald) beenden und sich mit dem 17. Triumph zur erfolgreichsten Nation aufschwingen. „Wir wollen mal zur Halbzeit aus Garmisch wegfahren und die Chance haben, um den Sieg mitzuspringen. Bisher hatte sich das Ding zu diesem Zeitpunkt immer erledigt“, formulierte Bundestrainer Werner Schuster das erste Etappenziel vor dem ersten Springen in Oberstdorf am Dienstag (17.15 Uhr, ARD und Eurosport).

Nach einem entspannten Weihnachtsfest sieht sich Freund für den Kampf um die Tournee-Krone, in den neben Weltcup-Spitzenreiter Prevc auch Titelverteidiger Stefan Kraft aus Österreich und die starken Norweger eingreifen möchten, gerüstet. „Ich fühle mich fit für das erste große Highlight des Winters“, verkündete der 27-Jährige. „Gerade der Tournee-Auftakt in Oberstdorf mit den vielen tausend Fans ist sehr emotional und löst auch nach vielen Starts immer wieder ein Gänsehaut-Gefühl aus. Ich freue mich sehr auf das erste Springen auf meiner Heimschanze.“

Nach etlichen Enttäuschungen will Freund endlich seinen Tournee-Fluch besiegen. Mehr als Platz sieben ist für den in Niederbayern geborenen 27-Jährigen in der Gesamtwertung bisher nicht herausgekommen. Alle hochfliegenden Träume vom Erfolg bei der Tournee platzten schon häufig in Oberstdorf, wo am Montag ab 17.15 Uhr die Qualifikation ansteht. „Ich habe für mich selber noch was gutzumachen“, sagte der Bayer. Dass er gegen Prevc zuletzt dreimal in Serie klar das Nachsehen hatte, beunruhigt ihn nicht: „Die Erwartungshaltung ist, dass wir gewinnen sollen, mehr Druck geht also nicht. Deshalb macht es keinen großen Unterschied, ob ich als Nummer eins oder zwei im Gesamt-Weltcup nach Oberstdorf anreise.“

Dass Freund in der Lage ist, Enttäuschungen zu verarbeiten, hat er in der vergangenen Saison bewiesen. Nach einem letztlich enttäuschenden Rang acht bei der Tournee 2014/15 holte er in Falun (Schweden) bei der WM die Goldmedaille auf der Großschanze und gewann im März als erst dritter Deutscher nach Jens Weißflog und Martin Schmitt – auch noch den Gesamt-Weltcup.

Der Bundestrainer weiß um die Schwere der Aufgabe, traut seinem Vorzeigeflieger aber eine Menge zu. „Es wäre schon ein Erfolg, Zweiter oder Dritter zu werden. Aber natürlich ist es sein Ziel, die Tournee zu gewinnen“, sagte Schuster über Freunds Ambitionen. „Mit jedem Erfolg wird er stabiler, gelassener und klarer in seiner Vorgehensweise. Er hat die Möglichkeit, ganz vorn zu landen.“

Mit einer modifizierten Vorbereitung und kleinen Psychotricks hat der Chefcoach seine Truppe, in der neben Freund vor allem Richard Freitag und Andreas Wellinger die Hoffnungen tragen, auf die Traditionstour mit den Springen in Oberstdorf (29. Dezember), Garmisch-Partenkirchen (1. Januar), Innsbruck (3. Januar) und Bischofshofen (6. Januar) eingeschworen.

„Wir haben drei Optionen, die für Furore sorgen können. Damit lässt es sich gut leben“, erklärte Schuster. „Wir blicken der Veranstaltung nicht angstvoll entgegen, sondern mit Freude. Wir sind neugierig, welche Geschichte dieses Mal geschrieben wird.“

Um es besser zu machen als bisher, wurde im Vorfeld nichts dem Zufall überlassen. „Wir haben uns mit der Tournee aktiver auseinandergesetzt als in den Vorjahren und sie im Sommer durchgespielt“, berichtete Schuster. „Wir haben die vier Schanzen innerhalb einer Woche gemacht, mit den gleichen Hotels. Das war ein hochinteressanter Kurs für die Jungs.“

Zudem wird der deutsche Tournee-Tross nach dem Auftakt im Allgäu nach Seefeld übersiedeln und von dort zu den Wettbewerben in Garmisch und Innsbruck anreisen. So soll der Reisestress minimiert werden. Während der Vorbereitung testeten die deutschen Springer auch intensiv im Windkanal von Audi, in dem normalerweise die neuen Modelle des Autobauers getestet werden.

Zum Erfolg tragen kann Schuster seine Schützlinge aber nicht. „Man muss versuchen, den Sportler mit kleinen Tricks einzustellen. Aber wenn er wirklich gut drauf ist, kann er bei der Tournee auch viermal im Zelt übernachten und trotzdem weit runterspringen“, sagte der Coach. „Wir müssen einen Weg finden, dass man das Thema Tournee nicht mystifiziert.“ Diese Botschaft ist bei den Sportlern offenbar angekommen. „Ich weiß, dass ich auf allen Schanzen gut springen kann“, sagte Freitag. „Wir sollten einfach versuchen, das Ding zu rocken.“

Auch der Japaner Noriaki Kasi ist mit seinen 43 Jahren wieder am Start

Der Modus bei den Springen: Anders als bei den Weltcups wird der erste Durchgang im K.o.-Modus ausgetragen. 50 Athleten bilden 25 Paarem dabei springt der Erste der Qualifikation des Vortages gegen den 50., der Zweite gegen den 49. usw. Die Sieger schaffen es in den zweiten Durchgang, wie auch die fünf besten Verlierer. Bei Punktgleichheit qualifiziert sich der Springer mit der niedrigeren Startnummer für den zweiten Durchgang.

Zum 25. Mal an den Start geht der Japaner Noriaki Kasai, der auch mit 43 Jahren noch auf den Gesamtsieg hofft: „Ich möchte bei allen Wettkämpfen auf dem Podest stehen.“ In Engelberg sprang er zuletzt auf Platz drei. Gut möglich, dass er noch in zehn Jahren von der Schanze abhebt – Sapporo hat sich für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2026 beworben.