Hamburg. Seit Sommer ist Sven Neuhaus Projektmanager beim „Hamburger Weg“. Für den früheren HSV-Torhüter ist es mehr als „nur“ die Karriere nach der Karriere

Die Fußballerkarriere von Sven Neuhaus beim HSV ist schnell erzählt. Drei Jahre lang stand der gebürtige Essener in Hamburg als Ersatztorhüter unter Vertrag. Im April 2012 wurde der 1,94 Meter große Keeper einmal (gegen Nürnberg) eingewechselt, zweimal (gegen Mainz und gegen Augsburg) durfte er den damals verletzten Jaroslav Drobny von Anfang an vertreten. In drei Jahren kassierte Neuhaus in gerade mal 219 Bundesligaminuten zwei Gegentore für den HSV. „Ich bin mir schon bewusst, dass ich nicht die ganz großen Fußstapfen beim HSV hinterlassen habe“, sagt Neuhaus, Schuhgröße 42,5.

Während seiner Profikarriere hat er das nicht. Nach seiner Profikarriere dafür umso mehr.

Sven Neuhaus sitzt im Café Elbgold im Schanzenviertel, hat seinen zweiten Latte Macchiato bestellt und spricht über sein derzeitiges Lieblingsthema: Flüchtlinge. „Manchmal ist es wirklich zum Verzweifeln“, sagt der Wahl-Norderstedter. „Wir haben wirklich viele gute Ideen, aber um auch nur einen Bruchteil davon umzusetzen, darf man sich beim Gang durch den Behördendschungel einfach nicht verrückt machen lassen. Wir müssen dranbleiben.“

„Wir“, das sind Neuhaus und seine neue Mannschaft. Keine elf Freunde, aber immerhin fünf Kollegen. Das Quintett arbeitet in der Marketingabteilung des HSV und kümmert sich ausschließlich um die im Sommer neu gegründete HSV-Stiftung „Hamburger Weg“. Geschäftsführer der neuen Stiftung wurde HSV-Marketing-Leiter Stefan Wagner. Schirmherr ist Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. Ex-Profi Marcell Jansen ist eines der Gesichter des „Hamburger Wegs“. Doch der Projektmacher, das ist Sven Neuhaus.

Um Neuhaus’ späte Karriere zu verstehen, sollte man seine frühe Karriere kennen. Seinen ersten Profivertrag hatte der heute 37-Jährige bereits mit 17 Jahren vorliegen. „Frank Mill, damals Manager von Fortuna Düsseldorf, saß bei meinen Eltern im Wohnzimmer und legte den Vertrag auf den Tisch“, erinnert sich Neuhaus. Ich hatte bereits den Stift in der Hand, da legten meine Eltern ihr Veto ein.“ Eine Fußballerkarriere? Schön und gut. Aber zunächst sollte der Junior etwas lernen. Etwas Anständiges.

Statt seines ersten Profivertrags unterzeichnete Neuhaus wenig später einen Ausbildungsvertrag als Versicherungskaufmann. Axa Colonia statt Fortuna Düsseldorf. „Zunächst war das eine harte Entscheidung“, sagt Neuhaus. „Aber nach drei Jahren als fertig ausgebildeter Versicherungskaufmann war ich auch irgendwie stolz.“

Trotzdem unterschrieb Neuhaus noch am Tag der Gehilfenprüfung – quasi mit dreijähriger Verspätung – dann doch bei Fortuna Düsseldorf. Später bei Greuther Fürth, beim FC Augsburg, RB Leipzig und zum Ende seiner Karriere mit 33 Jahren eben beim HSV. „Meine Fußballerkarriere ging wie im Rausch vorbei. Eben war ich noch ein Talent, plötzlich nur noch ein alternder Ersatztorwart.“

Dass Neuhaus aber eben nicht nur Fußballer und ein baldiger Ex-Fußballer ist, das haben die Verantwortlichen beim HSV relativ schnell mitbekommen. Als Beleg dafür hätte wahrscheinlich schon Neuhaus’ erster Tag beim HSV gereicht. Da kam der neue Torhüter mit einem gebrauchten, in die Jahre gekommenen und von einem früheren Mitspieler geschenkten Opel Corsa zum Training. Als Neuhaus dann den Fuhrpark seiner Kollegen sah, entschied er spontan, sein Vehikel in sicherer Entfernung zum offiziellen Spielerparkplatz abzustellen. „Ich wollte nicht gleich am ersten Tag wie eine Witzfigur in der Kabine wirken“, sagte Neuhaus, der den Parkplatz zunächst zwar wechselte, nicht aber sein Auto.

Die Sorge war ohnehin unbegründet. Trainer, Spieler und Sportchefs kamen und gingen, doch Neuhaus blieb. Nicht nur beim HSV, sondern auch als Führungsspieler, bei dem gerade die jüngeren Profis Halt fanden. Das fiel nicht nur den wechselnden Trainern, sondern auch in der Chefetage auf.

Marketing-Vorstand Joachim Hilke war es schließlich, der Neuhaus noch vor seinem Karriereende fragte, was der bisherige Ersatztorhüter eigentlich nach seiner Fußballkarriere machen wolle. Und: Ob er nicht weiter beim HSV bleiben wolle.

Neuhaus wollte. Allerdings dauerte es eine ganze Weile, ehe er selbst eine passende Aufgabe beim HSV finden sollte. Torwarttrainer der U23? Nein danke. Kidsclub? Wollte er nicht. Irgendwas mit dem Campus. Irgendwie nichts für ihn. Doch das soziale Engagement beim „Hamburger Weg“, darauf hatte er Lust. Das könnte sein Weg werden, der Neuhaus-Weg.

„Ich fand die Aktionen vom Hamburger Weg schon immer als Profi gut“, sagt Neuhaus, der sich allerdings schwer tat, die konkrete Richtung des „Hamburger Wegs“ zu benennen.

Das wollte er ändern. Und das sollte er ändern. Nach der Gründung der Hamburger Weg Stiftung im Sommer, wurde das Profil geschärft. „Wir kümmern uns nun primär um den Nachwuchs in Hamburg. Drei Dinge sind uns dabei wichtig“, sagt Neuhaus, und zählt auf: „Bildung, Soziales und Sport.“

Statt auf dem Trainingsplatz ist Neuhaus nun im fünften Stock des Volksparkstadions in der Marketingabteilung zu finden. Bundfaltenhose statt kurzer Sporthose. Ganz nebenbei studiert er noch an der Fernuni Schmalkalden Sportökonomie. „Der Anfang war schon hart für mich“, sagt der Ex-Keeper, der den grünen Rasen aber nicht so ganz abhaken kann. Montags trainiert er als DFB-Stützpunkttrainer nebenbei Torwarttalente, mittwochs spielt er mit der Geschäftsstellenmannschaft des HSV. In der Abwehr oder im Mittelfeld. Nur nicht im Tor.

Doch der Weg von Tor zu Tor ist jetzt nur noch Hobby. Der „Hamburger Weg“ sein Beruf. „Besonders beschäftige ich mich derzeit mit der Flüchtlingsthematik“, sagt Neuhaus, der mindestens einmal pro Woche selbst in der Zeltstadt an der Schnackenburgallee vorbeischaut. Sein Wunsch: Regelmäßiger Schulunterricht für junge Flüchtlinge in den Räumlichkeiten des Volksparkstadions. Doch zunächst müsse er noch einen Weg durch den Behördendschungel finden, sagt er.

Der frühere Torhüter wird ihn finden. Den Hamburger Weg.

Der Artikel ist auch im aktuellen Magazin „Der Hamburger“ abgedruckt worden..