Hamburg. Wimbledonsieger Michael Stich über die Fehler der Befürworter, die Gründe für die Ablehnung der Olympia-Pläne und die Konsenquenzen für den Hamburger Sport

1992 war er Olympia-Sieger im Doppel an der Seite von Boris Becker, und natürlich hätte Tennisidol Michael Stich, 47, alles dafür getan, um die Spiele 2024 in seiner Heimatstadt zu erleben. Nun allerdings mahnt der Direktor des Herrenturniers am Rothenbaum, die Zukunft des Hamburger Sports nicht zu schwarz zu malen.

Hamburger Abendblatt: Herr Stich, können Sie mit einer Nacht Abstand schon eine Prognose wagen, was das Olympia-Aus für Hamburg bedeutet?

Michael Stich: Olympia wäre die große Chance gewesen, in Hamburg viele Veränderungen anzustoßen, die viel schneller hätten umgesetzt werden können, als es ohne die Spiele möglich ist. Diese Chance haben wir vertan, und sie wird nie wiederkommen. Deshalb bin ich als Bürger Hamburgs sehr traurig über die Abstimmung. Als Sportler dagegen bin ich vor allem sauer, weil ich einschätzen kann, um was für ein Erlebnis alle Hamburger gebracht wurden. Es wäre für Sportdeutschland die Chance gewesen, den Stellenwert zu bekommen, den der Sport verdient. Wir werden auf viele Jahre hinaus die Auswirkungen dieser Entscheidung spüren.

Muss man nicht selbstkritisch feststellen, dass es den Befürwortern der Bewerbung leider nicht gelungen ist, die emotionale Ebene Olympischer Spiele sowie die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft ausreichend herauszuarbeiten?

Stich: Das muss man tatsächlich so sagen. Der Sport, das habe ich oft angemerkt, ist in der Bewerbung zu kurz gekommen. Die Stadt hat ein tolles Konzept präsentiert, der Finanzplan war absolut transparent und überzeugend. Aber es war am Ende zu technisch und faktengetrieben. Der Sport hätte deutlicher machen müssen, dass er als Instrument von Inklusion und Integration unverzichtbar ist, wenn es um die Entwicklung einer Gesellschaft geht.

Warum ist diese Bedeutung vielen Menschen nicht klar? Es rennen Woche für Woche Zehntausende zum Fußball, bei den großen Sportevents in der Innenstadt stehen Hunderttausende an den Strecken. Wo waren die denn alle, als es zur Abstimmung kam?

Stich: Das frage ich mich auch. Es reden alle von toller Wahlbeteiligung. Ich finde es eher alarmierend, dass die Hälfte der Wahlberechtigten keine Meinung zu so einem wichtigen Zukunftsprojekt hatte, obwohl es so einfach wie nie war, die Meinung zu äußern. Letztlich hat ein Viertel der Bevölkerung Olympia verhindert, und das ist schade.

Kann es sein, dass es den Menschen in Hamburg zu gut geht und sie deshalb den Status quo wahren wollen? Oder glauben Sie auch, dass die vielen Krisen auf der Welt dazu geführt haben, dass die Olympia-Gegner vorn lagen?

Stich: Das ist Kaffeesatzleserei. Ich denke aber, dass das Abstimmungsverhalten den Zeitgeist widerspiegelt. Wir wollen eine Sportstadt sein, wir wollen, dass unsere Sportler Medaillen holen. Aber woran es uns fehlt, das ist eine Vision, hinter der sich alle versammeln können, weil es zu viele gibt, die Angst haben, dass eine Entscheidung in die Hose gehen könnte. Es wird sehr viel über mögliche negative Auswirkungen und zu wenig über die Chancen gesprochen, die ein Risiko bietet. Natürlich spielen die schlimmen Ereignisse der vergangenen Wochen eine Rolle. Aber in Paris, das jedes Recht hätte, nach dem Terror seine Bewerbung zurückzuziehen, heißt es stattdessen: Jetzt erst recht! Diese Mentalität fehlt uns.

Fürchten Sie, dass der Sport in Hamburg nun weniger gefördert wird?

Stich: Nein, ich denke, dass sich nicht viel ändern wird. Allerdings werden die Unternehmen, die in die Bewerbung investieren wollten, ihr Geld nun mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht in den Sport stecken, weil die Vision fehlt. Das ist schade. Dennoch gilt es, auf den positiven Aspekten, die die Bewerbungsphase gebracht hat, aufzubauen. Wir leben in einem tollen Land und brauchen Olympia nicht für unsere Glückseligkeit. Aber wir sollten uns weiter um Großveranstaltungen bemühen, kommende Olympiasieger suchen und alles dafür tun, um den Sport seinem Stellenwert entsprechend in der Stadt zu verankern. (bj)