Hannover. Das Länderspiel zwischen der deutschen Nationalmannschaft und den Niederlanden soll zum Symbol des Zusammenhalts in Europa werden

Auf dem Kröpcke, dem zentralen Platz in der Innenstadt, sind Bauarbeiter am Montagvormittag damit beschäftigt, eine überdimensionale Weihnachtspyramide mit mannsgroßen Figuren aufzubauen. Fast unbemerkt von den vorbeihastenden Geschäftsleuten und wenigen Ein­kaufslustigen steht da ein Mann mit seiner Oboe. „Schau’ mich bitte nicht so an“, spielt der Straßenmusikant, den früheren Hit der französischen Sängerin Mireille Mathieu. Eigentlich ein Liebeslied, aber melancholisch vorgetragen. Traurig.

Eine Szene, fast schon so kitschig, dass man sie sich nicht hätte ausdenken können drei Tage nach den Terroranschlägen in Paris. Das Leben scheint nur oberflächlich wieder in die Alltagsspur einzubiegen. „Paris“, „Standpunkt vertreten“, „Zeichen setzen“, diese Wortfetzen von Passanten sind zu hören, wenn man sich nur fünf Minuten in die Fußgängerzone stellt. Als um zwölf Uhr die Menschen mit einer Schweigeminute den Opfern gedenken sollen, stellen Cafés die Musik ab, zum Innehalten und Nachdenken.

Im Fanshop von Hannover 96 nebenan in der Rathenaustraße ist schon ordentlich Betrieb. „Die Nachfrage für das Länderspiel hat angezogen“, sagt eine Verkäuferin. 300 Meter weiter wirbt der Fanbus der deutschen Nationalmannschaft für das Länderspiel am Dienstag gegen die Niederlande (20.45 Uhr/ZDF) und verteilt Gutscheine. 25 statt 50 Euro für eine Eintrittskarte, wenn man in den Fanclub der Nationalmannschaft eintritt. Am Sonnabend kamen nur einige Menschen, die ihr Ticket zurückgeben wollten. Aber das ist die Minderheit. Ein Ehepaar aus Hildesheim verlässt gerade zufrieden den Laden. „80 Euro inklusive Rentnerrabatt pro Karte“, freut sich der Mann und sagt augenzwinkernd: „Direkt über der Angela, Block O3 auf der Haupttribüne. Wir werden auf sie aufpassen.“ Zum Abschied beruhigt die Fanshop-Angestellte noch: „Das Stadion ist doch am Dienstag der sicherste Ort, den man sich vorstellen kann. Ein Hochsicherheitstrakt.“

An der HDI-Arena herrscht ruhige Betriebsamkeit am Tag vor dem Spiel. Polizei? Oder sogar Militär? Fehlanzeige. Nichts zu sehen. Zu erfahren ist aber, dass die Beamten kurzfristig im Stadion eine ausführliche Sicherheitsbegehung angesetzt haben. „Ich habe keine Bedenken“, sagt Ingo Cramer, der Leiter des Stadionfanshops, fast trotzig. „Seien wir ehrlich: Es kann doch überall etwas passieren. Wir erledigen hier ganz normal unseren Job.“

An Tor 3, bei der Einlasskontrolle, sitzt Michael G. Ohne Ausweis darf niemand den Stadionbereich betreten, das gilt vor allen Spielen. „Aber es ist schon ein merkwürdiges Gefühl, ein normaler Spieltag wird das nicht“, glaubt er.

Kurz darauf bestätigt der Polizeipräsident von Hannover, Volker Kluwe, dass sowohl am Stadion als auch in der Stadt und der Region Hannover am Dienstag deutlich mehr Polizisten eingesetzt werden als bei einem normalen Fußballspiel. Die Beamten seien auch mit Maschinenpistolen bewaffnet. Für eine erhöhte Gefahrenlage gebe es derzeit keine Hinweise. Genaue Angaben über das Aufgebot werden nicht gemacht. Auch das Teamquartier, das Sporthotel Fuchsbachtal in Barsinghausen, ist noch extremer gesichert. Spürhunde suchen vor dem Eintreffen der Spieler nach Gefahrenquellen.

Um 13 Uhr haben Joachim Löw und Oliver Bierhoff ins Rittergut Eckerde 1 bei Barsinghausen geladen. In dem Veranstaltungsraum, einem umgebauten Kuhstall, versuchen Bundestrainer und Teammanager die Bedeutung des Länderspiels herauszuarbeiten. „Die sonstige sportliche Rivalität zwischen beiden Nationen sollte an diesem Abend in den Hintergrund rücken. Dieses Länderspiel hat eine klare Botschaft und ein Symbol – für Freiheit und Demokratie. Wir wollen die Trauer und Solidarität mit unseren französischen Freunden in Europa und in der ganzen Welt ausdrücken“, sagt Löw. „Wenn wir es schaffen, das Spiel in den Kontext dieser Werte zu verstehen, dann haben wir unabhängig vom Ergebnis gewonnen.“

Der Fußballtrainer wirkt noch immer tief betroffen, emotional aufgewühlt. Der schwarze Pullover scheint die dunklen Schatten unter seinen Augen noch zu betonen. Offen beschreibt Löw, wie er nach der Ankunft in Frankfurt noch geglaubt hatte, dass das Spiel abgesagt werden müsse. „Aber mit einer Nacht Abstand war uns allen klar, dass wir ein Zeichen setzen und dieses Spiel mit voller Überzeugung angehen wollen.“ Vom Publikum erhofft sich der Bundestrainer einen sensiblen Umgang: „Die La Ola, Gesänge oder Partystimmung sind sicher nicht angebracht. Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen im Stadion eine Einheit bilden, Zusammenhalt demonstrieren.“

Bierhoff schildert, dass die Nationalmannschaft eine Fülle an Mails erreicht habe mit Vorschlägen für mögliche Aktionen: „Das ging vom gemeinsamen Singen der französischen Hymne bis zum Tragen der Trikots der Equipe tricolore.“ Der DFB werde, so Bierhoff weiter, die Symbolik des Spiels mit entsprechenden Maßnahmen aufgreifen. Welche das sein werden, dazu bedarf es am Montag noch einiger Gespräche. Fest steht nur, dass eine Lichterkette am Stadion geplant ist, zu der die Stadt, die Kirchen und weitere Religionsgemeinschaften aufgerufen haben.

Gesprochen wird bis zum Abend auch ausgiebig mit den Spielern. Am Nachmittag tauscht sich Löw mit dem Teampsychologen Hans-Dieter Hermann aus, schließlich müssen Betreuer und Fußballer einen Spagat hinbekommen: sich der Vorbildfunktion, nicht nur in Deutschland, bewusst zu sein und dennoch professionell und konzentriert in die Partie zu gehen. „Ich weiß nicht, ob das jedem Spieler gelingen wird“, gibt Löw zu.

Dass nach der Nacht des Terrors auch für den Sport nichts mehr ist wie vorher, ist auch Bierhoff klar: „Dieses Spiel wird kein einmaliges Event bleiben. Der Fußball mit seinen vielen Vereinen ist gefordert, seinen Beitrag bei den Themen Flüchtlinge und Integration zu leisten.“ Und welche integrative Kraft der Fußball hat, das wird das Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden eindrucksvoll zeigen. Ganz sicher.