Wolfgang Niersbach ist als DFB-Präsident zurückgetreten. Der 64-Jährige erklärte erneut, nichts von den Zahlungen gewusst zu haben.

Wolfgang Niersbach ist im Zuge der WM-Affäre als DFB-Präsident zurückgetreten. „Ich habe für mich erkannt, dass der Zeitpunkt gekommen ist, die politische Verantwortung zu übernehmen“, sagte Niersbach am Montag nach einer Präsidiumssitzung des Deutschen Fußball-Bundes.

Satzungsgemäß werden zunächst die Vizepräsidenten Rainer Koch und Reinhard Rauball, der auch Ligapräsident ist, das Amt übernehmen. Es gebe Punkte in der Affäre um die WM 2006, bei denen er sich „selber nicht in der Verantwortung fühle“, betonte Niersbach. Aber es seien Dinge passiert, die in den vergangenen Tagen aufgedeckt wurden, die ihn zu diesem Schritt veranlassen würden. „Das Amt des DFB-Präsidenten darf damit nicht belastet werden.“

Auf der DFB-Seite gab Wolfgang Niersbach eine Erklärung zum Rücktritt ab.

"Ich war vom ersten Tag der Bewerbung für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 an bis hin zur Schlussdokumentation des Sommermärchens dabei und habe in all den Jahren zu jedem Zeitpunkt nicht nur mit großer Leidenschaft, sondern auch immer sauber, vertrauensvoll und korrekt gearbeitet. In den mir zugeteilten Bereichen Marketing, Medien, Akkreditierungen und Veranstaltungsorganisation kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ich mir persönlich absolut nichts vorzuwerfen habe.

Umso deprimierender und schmerzhafter ist es für mich, neun Jahre später mit Vorgängen konfrontiert zu werden, in die ich damals nicht einbezogen war und die auch für mich viele Fragen offen lassen. Ich bleibe dabei und möchte noch einmal unmissverständlich klarstellen, dass ich von den Hintergründen der im Raum stehenden Zahlungsflüsse keinerlei Kenntnis hatte. Umso schwerer ist mir die Entscheidung gefallen, die politische Konsequenz daraus zu ziehen.

27 Jahre DFB waren für mich immer viel mehr als ein Beruf. Die Arbeit in den unterschiedlichen Funktionen war für mich eine Herzensangelegenheit. Ich liebe den Fußball und diesen Verband, in dem ich wunderbare Momente erleben und mit großartigen Menschen zusammenarbeiten durfte. Um diesen DFB und das Amt zu schützen, trete ich schweren Herzens als DFB-Präsident zurück. Gleichwohl werde ich auch danach alles für eine umfassende Aufklärung der Vorgänge beitragen."

Niersbach wollte alle Fragen beantworten

Die Daten der WM-Affäre

Der WM-Skandal

Mit einem Bericht über angeblich gekaufte Stimmen bei der Vergabe der WM 2006 erschüttert der „Spiegel“ den deutschen Fußball. Für diese Behauptung gibt es weiter keine Beweise, doch ein dubioser Millionentransfer bringt besonders DFB-Chef Wolfgang Niersbach in Bedrängnis. Was geschah bislang im WM-Skandal

16. Oktober

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) räumt in einer Pressemitteilung Ungereimtheiten rund um eine Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro an den Weltverband Fifa ein.

16. Oktober

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet, dass für den Zuschlag der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 Geld aus einer schwarzen Kasse des Bewerbungskomitees geflossen sei, um damit vier entscheidende Stimmen im Fifa-Exekutivkomitee zu kaufen. Das Geld soll vom ehemaligen Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus gekommen sein. Der DFB weist den „Spiegel“-Bericht als haltlos zurück.

17. Oktober

Erstmals äußert sich DFB-Präsident Niersbach: „Ich kann versichern, dass es im Zusammenhang mit der Bewerbung und Vergabe der WM 2006 definitiv keine schwarzen Kassen beim DFB, dem Bewerbungskomitee noch dem späteren Organisationskomitee gegeben hat.“

18. Oktober

Franz Beckenbauer meldet sich zu Wort und dementiert den „Spiegel“-Bericht: „Ich habe niemandem Geld zukommen lassen, um Stimmen für die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Deutschland zu akquirieren. Und ich bin sicher, dass dies auch kein anderes Mitglied des Bewerbungskomitees getan hat.“ 

19. Oktober

Die Staatsanwaltschaft prüft einen Anfangsverdacht für ein Ermittlungsverfahren. Als mögliche Tatbestände nennt eine Sprecherin Betrug, Untreue oder Korruption.

19. Oktober

Niersbach weist die Korruptionsvorwürfe erneut zurück, räumt aber erstmals „den einen offenen Punkt“ ein: „Dass man die Frage stellen muss, (...) wofür diese Überweisungen der 6,7 Millionen verwendet wurden.“

19. Oktober

Ex-DFB-Boss Theo Zwanziger äußert Zweifel an der internen Aufarbeitung des DFB.

21. Oktober

Die DFB-Landesverbände fordern von Niersbach eine schnelle Aufklärung der Korruptionsvorwürfe.

22. Oktober

Niersbach tritt in Frankfurt sichtlich erschöpft vor die Presse und bringt nur wenig Licht ins Dunkel um die WM 2006.

23. Oktober

Das DFB-Präsidium stärkt Niersbach den Rücken, hält aber „strikt daran fest [...], dass lückenlos aufgeklärt wird.“

23. Oktober

Zwanziger bezichtigt Niersbach der Lüge und berichtet im „Spiegel“ von der vermeintlichen Existenz einer schwarzen Kasse „in der deutschen WM-Bewerbung“. Es sei „ebenso klar, dass der heutige Präsident des DFB davon nicht erst seit ein paar Wochen weiß, wie er behauptet, sondern schon seit mindestens 2005“.

26. Oktober

Beckenbauer räumt in der Affäre erstmals einen „Fehler“ ein. Das Organisationskomitee hätte nicht auf einen Vorschlag der Fifa-Finanzkommission eingehen dürfen, um einen Finanzzuschuss zu bekommen, teilte der damalige OK-Präsident mit.

27. Oktober

Die vom DFB beauftragte Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer erklärt, mit Ergebnissen in der Affäre sei nicht schnell zu rechnen.

28. Oktober

Zwanziger sagt vor den externen Ermittlern der Anwaltskanzlei aus.

3. November

Die Staatsanwaltschaft führt beim DFB in Frankfurt/Main eine Steuer-Razzia durch. Zudem durchsucht sie die Wohnungen von Niersbach, Zwanziger und dem ehemaligen DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt. Die Beamten ermitteln im Zusammenhang mit 6,7-Millionen-Euro-Zahlung wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall.

6. November

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ veröffentlicht angeblich von Niersbach stammende handschriftliche Notizen auf einem Schreiben des WM-OK an die Fifa aus dem Jahr 2004. Diese sollen belegen, dass er nicht erst 2015 von den Vorgängen Kenntnis hatte.

9. November

Am Nachmittag trifft sich das DFB-Präsidium zu einer außerordentlichen Sitzung mit Niersbach. Der 64-Jährige erklärt seinen Rücktritt: „Ich habe für mich erkannt, dass der Zeitpunkt gekommen ist, die politische Verantwortung zu übernehmen.“

1/18

Zuvor hatte in der Frankfurter DFB-Zentrale die erste mit Spannung erwartete Sitzung stattgefunden. Zunächst trafen sich am Montagnachmittag um kurz nach drei Uhr das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes, danach erwarteten auch die Vertreter der Regional- und Landesverbände Antworten des angeschlagenen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach in der WM-Affäre.

„Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich den Kollegen im Präsidium und anschließend auch den Präsidenten der Landesverbände alle Fragen beantworten kann, Antworten geben kann, die jetzt erwartet werden und die auch die Öffentlichkeit erwartet“, sagte Niersbach dem TV-Sender N24 am Nachmittag.

In der vergangenen Woche durchsuchte die Steuerfahndung sowohl die Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt als auch Niersbachs Privatwohnsitz in Dreieich. „Ich denke, dass wir in aller Offenheit diskutieren werden“, sagte Ligaverbandspräsident und Präsidiumsmitglied Reinhard Rauball vor der Sitzung. „Ich erwarte eine zwei- bis dreistündige Sitzung. Ja, ich habe Fragen.“

Vor der Sitzung gab es keine Anzeichen, dass die Funktionäre Niersbach zum Rücktritt auffordern werden. Nun hat Niersbach selbst den Rücktritt verkündet.

Zuletzt hatten handschriftliche Notizen auf einem Briefentwurf aus dem Jahr 2004 für erneuten Wirbel in der WM-Affäre gesorgt. Sollten diese tatsächlich von Niersbach stammen, wäre klar, dass er nicht wie behauptet erst diesen Sommer von den Millionentransfers im Zuge der Vorbereitungen für die Weltmeisterschaft 2006 erfahren hätte. Zu diesem Dokument wollte sich der DFB-Chef vor der Sitzung öffentlich nicht äußern.

Löw reagiert überrascht und traurig

Bundestrainer Joachim Löw hat „sehr betroffen“ auf den Rücktritt von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach reagiert. Der 55 Jahre alte Löw erfuhr von der Nachricht am Montagabend im Kreise der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in München. Er sei „überrascht und sehr traurig“, sagte Löw in einer ersten Reaktion vor dem Teamhotel. „Unabhängig von allen juristischen Fakten, die es gibt, denke ich einfach, dass der Wolfgang ein fantastischer Mensch war und ein fantastischer Präsident für uns“, erklärte der Bundestrainer.

„Er hat den Fußball geliebt. Er hat für den Fußball alles getan. Er war für uns jederzeit ein hervorragender Ansprechpartner. Deswegen tut es mir persönlich sehr, sehr leid, dass er zurückgetreten ist“, sagte Löw. Der Bundestrainer hatte mit Niersbach während dessen dreieinhalbjähriger Amtszeit als Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Der größte Erfolg der gemeinsamen Arbeit war der Gewinn des WM-Titels im vergangenen Jahr in Brasilien.