Frankfurt. Wolfgang Niersbach hat sich am Donnerstag erstmals im Detail zu einer ominösen Millionen-Zahlung im Vorfeld der WM 2006 geäußert.

Es war als großer Befreiungsschlag gegen die Korruptionsvorwürfe rund um die WM 2006 gedacht - und geriet für Wolfgang Niersbach zu einem Desaster. Sichtlich angeschlagen und fahrig äußerte sich der DFB-Präsident am Donnerstag zum ersten Mal im Detail zu der ominösen Zahlung von 6,7 Millionen Euro an die FIFA ein Jahr vor der WM. Aber er warf damit deutlich mehr Fragen auf, als er tatsächlich beantwortete. Am Nachmittag widersprachen der Weltverband und sein mittlerweile gesperrter Präsident Joseph Blatter den Darstellungen von Niersbach komplett. In der Affäre um das deutsche Sommermärchen vor neun Jahren wird es um den DFB-Chef immer einsamer.

Als Kernbotschaft wiederholte er auch bei dieser Pressekonferenz in Frankfurt am Main noch einmal, was ihm und dem Deutschen Fußball-Bund besonders wichtig ist: „Es ist bei der WM-Vergabe 2006 alles mit rechten Dingen zugegangen. Es hat keine schwarzen Kassen gegeben, es hat keinen Stimmenkauf gegeben.“ Eine Woche nach den entsprechenden „Spiegel“-Anschuldigungen stehe fest: „Das Sommermärchen war ein Sommermärchen und bleibt ein Sommermärchen.“

Die viel diskutierten 6,7 Millionen Euro seien nicht zur Bestechung von Entscheidungsträgern geflossen, sondern als Bedingung dafür, dass man von der FIFA „eine Organisationsunterstützung in Höhe von 250 Millionen Schweizer Franken gewährt bekam“, erklärte Niersbach. „Ich kenne diese Vorgänge erst seit kurzem und immer noch nicht vollständig“, sagte der 64-Jährige. Alles was er dazu vortrug, habe er erst am Dienstag bei einem Besuch bei Franz Beckenbauer, dem damaligen Chef des WM-Organisationskomitees (OK), erfahren.

Beckenbauer will sich nicht äußern

Laut Niersbach hätten unmittelbar nach der WM-Vergabe im Juli 2000 die Verhandlungen über diesen gewaltigen Zuschuss des Weltverbandes begonnen. Die zogen sich angeblich monatelang ergebnislos hin, bis sich Beckenbauer im Januar 2002 mit dem mittlerweile gesperrten FIFA-Präsidenten Joseph Blatter getroffen hätte.

„Im Zuge dieses Vier-Augen-Gesprächs hat der FIFA-Präsident einen Zuschuss in Höhe von 250 Millionen Schweizer Franken (umgerechnet 170 Millionen Euro) in Aussicht gestellt“, erzählte Niersbach. „Dann tauchte die Forderung auf, im Gegenzug müssten die zehn Millionen Schweizer Franken (umgerechnet 6,7 Millionen Euro) an die Finanzkommission der FIFA überwiesen werden.“ Beckenbauer sei damals bereit gewesen, „für diese zehn Millionen mit seinem Privatvermögen geradezustehen“. Von seinem im selben Jahr verstorbenen Manager Robert Schwan sei dann aber die Idee gekommen, zu diesem Zweck den damaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus zu fragen. Der Franzose habe „gegenüber Robert Schwan die Zusage gegeben, diese zehn Millionen an die Finanzkommission der FIFA zu überweisen.“

2005 wurde das Geld über ein FIFA-Konto an den 2009 gestorbenen Louis-Dreyfus zurückgezahlt - deklariert als Beitrag des Organisationskomitees für eine große Eröffnungsfeier in Berlin, die dann später nie stattfand.

Beckenbauer wollte sich zu dem gesamten Thema nicht äußern. Er werde „zunächst der Bitte der externen Untersuchungskommission des DFB entsprechen und diesem Gremium Rede und Antwort stehen“, stellte sein Management auf Anfrage klar. Die FIFA dagegen wies Niersbachs Äußerungen am Donnerstag umgehend zurück.

"Entspricht in keinster Weise den FIFA-Standardprozessen"

„Nach heutigem Kenntnisstand wurde keine derartige Zahlung von zehn Millionen Schweizer Franken bei der FIFA im Jahr 2002 registriert“, heißt es in einer Stellungnahme. „Es entspricht in keinster Weise den FIFA-Standardprozessen und Richtlinien, dass die finanzielle Unterstützung von WM-OKs an irgendwelche finanziellen Vorleistungen seitens des jeweiligen OKs oder seines Verbandes gekoppelt ist.“ Die Finanzkommission sei „weder berechtigt, Zahlungen irgendwelcher Art in Empfang zu nehmen, noch verfügt sie über ein eigenes Bankkonto“, Auch der skandalumwitterte Blatter ließ über einen Sprecher mitteilen: „Ich bin mit diesem Vorgang nicht vertraut.“

Niersbachs großes Problem bei der Pressekonferenz war, dass er auf keine der sich zwangsläufig ergebenden Fragen eine Antwort hatte. Warum ist das Organisationskomitee statt zu Louis-Dreyfus nicht zu einer Bank gegangen und hat sich einen ganz normalen Kredit besorgt? „Das kann ich nicht beantworten“, meinte der DFB-Chef. „Das OK hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine eigenen Finanzmittel.“

Warum muss man als WM-Ausrichter erst zehn Millionen Schweizer Franken an den Weltverband zahlen, um dann später einen Zuschuss von 250 Millionen zu erhalten? Und warum werden Entscheidungen solcher Tragweite allein zwischen Beckenbauer und Blatter eingefädelt, ohne dass ein damaliges OK-Mitglied wie Niersbach davon wusste? „Auch da bin ich überfragt“, sagte dieser. „Da bin auch ich darauf angewiesen, wie Franz Beckenbauer das am Dienstag dargestellt hat.“

„Der Spiegel“ hatte zuvor geschrieben, das Darlehen von Louis-Dreyfus sei bereits vor der WM-Vergabe vermutlich in eine schwarze Kasse geflossen und von dort aus zur Bestechung von vier Mitgliedern des FIFA-Exekutivkomitees verwendet worden. Das wies Niersbach schon einen Tag später zum ersten Mal und dann am Donnerstag erneut zurück.

Lesen Sie hier die Erklärung im Wortlaut

Der DFB-Chef musste aber auch eingestehen: Was genau die FIFA mit dem Geld des Franzosen gemacht hat, wisse er nicht. Dass sich hinter dem Etatposten FIFA-Gala 2005 tatsächlich die Rückzahlung des Darlehens an den damaligen Adidas-Chef verbarg, „war mir nicht bewusst“.

„Ich habe 2002 nur etwas über den Zuschuss der FIFA erfahren, von den 250 Millionen. Von dieser, sagen wir mal Bedingung, habe ich nichts erfahren. Den Zusammenhang zwischen dem bewilligten Zuschuss der FIFA und dem 10-Millionen-Darlehen habe ich so erst in diesem Sommer nach einigen Gesprächen zusammenbringen können“, sagte Niersbach. Er habe zwar „schon mitbekommen, dass da irgendetwas war, das mit Robert Louis-Dreyfus zu tun hat. Aber wenn Sie nach meinem exakten Kenntnisstand fragen, muss ich passen.“