Hamburg. Eishockey-Stürmer David Wolf gibt am Sonntag sein Comeback für die Hamburg Freezers. Er will den Imagewechsel vom Raubein zum Anführer vollziehen

Björn Jensen

Da gab es diese Szene, Ende August beim Testspiel der Hamburg Freezers in Dresden. David Wolf kam mit seinen auf 190 Zentimeter verteilten 102 Kilogramm Kampfgewicht angerauscht. Er sah, dass Eislöwen-Kapitän Marcel Rodman ihm den Rücken zukehrte, bremste aber nicht ab und rammte den Gegner in die Bande. Mit einer Wirbelsäulenverletzung wurde der Slowene auf einer Trage vom Eis gebracht. Ungeschickt sei der Check gewesen, sagen die, die den Hamburger Linksaußen mögen. Für die anderen war er wieder da, der böse Wolf.

Gut drei Wochen später sitzt David Wolf für ein Gespräch mit dem Abendblatt im Loungebereich der Barclaycard-Arena. An diesem Sonntag (17.45 Uhr/Servus TV live) bestreitet der 26-Jährige im Auswärtsspiel bei Red Bull München sein Comeback für die Freezers nach seinem einjährigen Intermezzo in Nordamerika. Unter seinem T-Shirt zeichnen sich Muskelberge an den tätowierten Oberarmen ab, Wolf trägt gegen die Hamburger Herbstkälte aber immerhin eine Wollmütze. „Ich habe daraus gelernt, dass ich in meinen ersten Jahren in Hamburg immer im September krank wurde“, sagt er.

Dass er lernfähig ist, bezweifeln die, die in dem gebürtigen Düsseldorfer die Ausgeburt des unfairen Spiels sehen. Bei denen vor allem Wolfs bislang letzte Aktion für die Freezers in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) haften geblieben ist: Der Fausthieb im vierten Spiel der Halbfinalserie 2013/14, mit dem er Ingolstadts Benedikt Schopper dessen künstliche obere Zahnreihe ausschlug. Schopper hatte bei dem Angriff keinerlei Kampfhaltung eingenommen, der Schlag traf ihn ungedeckt. Zuvor hatte er Wolf allerdings mehrfach zum Kampf herausgefordert. Die Eishockey-Szene tobte, Wolf wurde für sieben Spiele gesperrt, was der Grund dafür ist, dass er erst an diesem Sonntag sein Comeback geben darf. Und die Frage, die sich viele stellen, lautet: Wann David Wolf wohl das nächste Mal ausrastet? Wann, nicht ob.

Serge Aubin hat keine große Lust, über diese Facette seines Topstürmers zu sprechen. Für ihn steht fest, dass die Rückkehr der Nummer 89 ein großer Gewinn für die Mannschaft sein wird. „David ist mit seiner Präsenz auf dem Eis und in der Kabine ein absoluter Anführer“, sagt der Cheftrainer, „und ich bin beeindruckt von seinem Reifeprozess. In dem einen Jahr Nordamerika ist er zum Mann geworden.“

David Wolf grinst sein schiefes Lausbubengrinsen, als er diesen Satz hört. Die vergangene Saison, in der er vier Partien für den NHL-Club Calgary Flames und weitere 59 für dessen Farmteam Adirondack Flames in der zweitklassigen AHL absolvierte, habe tatsächlich einen Entwicklungsschub bewirkt. Vor allem aber hat sie ihm die Augen geöffnet für das, was wirklich zählt in seinem Leben: die Bindung zu Familie und Freunden und der Spaß an seinem Sport. Er hätte problemlos einen neuen Zweiwegevertrag unterschreiben können, „in jedem Team in Nordamerika“, aber er wollte die Sicherheit, nicht mehr in die AHL abgeschoben zu werden – und die wollte niemand bieten. Auf den langen Busreisen, oder wenn er wieder vor nur 200 Fans auflaufen musste, „da habe ich mich schon gefragt, ob es das wert ist. Letztlich war die Rückkehr eine Entscheidung für die Lebensqualität.“

Gerechnet hatten damit die wenigsten. Einer wie Wolf, der sein Selbstbewusstsein bisweilen wie eine Mons­tranz vor sich herträgt, würde nicht nach einem Jahr aufgeben, seinen Traum zu leben. Aber genau das ist das Spannende an David Wolf: Dass hinter der Fassade des Raubeins ein sensibler, nachdenklicher Mensch steckt. Einer, der sich und seine Leistungen ständig hinterfragt, der Emotionen zulässt und sich derer nicht schämt. Und der Entscheidungen trifft, die viele überraschen, die ihn nicht richtig kennen.

Wolf war anfangs wie ein Stück Holz – hart, kantig; er führte ein wildes Leben

Als Wolf 2011 aus Hannover kam, war er wie ein ungehobeltes Stück Holz. Hart, kantig, er lebte ein wildes Leben mit langen Nächten auf der Reeperbahn oder an der Playstation. Doch das ist Vergangenheit. „Heute gehe ich um 23 Uhr ins Bett und versuche neun Stunden zu schlafen“, sagt er. Schon in seiner dritten Saison war ein Umdenken zu erkennen, eine Abkehr vom Immer-feste-druff hin zu spielerischen Lösungen auf dem Eis und weniger Scharmützeln. Dass vielen nur der „Schopper-Klopper“ in Erinnerung geblieben ist, Wolfs erst zweiter Fight der damaligen Saison, wirkt angesichts seiner Bilanz von 14 Toren und 26 Vorlagen aus 48 Spielen fast tragisch.

Wolf hatte die Wandlung vom Kämpfer zum Leistungsträger fast geschafft, bevor er mit einem Schlag wieder in der alten Schublade steckte. Es wäre vermessen zu glauben, ihm das Kämpfen austreiben zu können. Es ist so wie mit dem alten Spruch, man könne einen Boxer zwar aus dem Ghetto holen, das Ghetto aber nicht aus dem Boxer. Sich körperlich zu behaupten war das, was Wolf in seiner Kindheit lernte, als die Trennung seiner Eltern und eine schwere Erkrankung der Mutter ihm arg zusetzten. Die Härte gegen sich und andere, die er auf dem Eis auslebt, rührt daher, und er will sie auch nicht verdrängen aus seinem Leben. „Dass ich immer an meine Grenzen gehen musste, hat mir geholfen, der zu werden, der ich bin“, sagt er.

Und trotzdem wäre es unfair, ihn zur Kampfmaschine zu reduzieren. Er hätte es nicht in die NHL geschafft oder würde in der DEL nicht in der ersten Sturmreihe spielen, wenn er nicht auch ein großartiger Eishockeyspieler wäre. Einer, der Tore schießen, Chancen kreieren und gut eislaufen kann. Die Fähigkeit, sich im Faustkampf zu behaupten, hat ihm allerdings die Tür nach Nordamerika geöffnet, „weil mich das zu einem kompletten Paket gemacht hat“, sagt er.

Und so wird er auch in dieser Saison wieder die Handschuhe fallen lassen, wenn es nötig ist. Eishockey ist ein Sport, in dem Faustkampf ein geduldetes Mittel ist, um einem Spiel eine Wende zu geben. Und nur das sei für ihn – schon immer – der Beweggrund, sich zu schlagen. „Ich mache es nur für die Mannschaft, wenn ich glaube, dass ich ihr damit helfe. Nicht für mein Image“, sagt er. Er könne es sowieso nicht ändern, dass einige in ihm nur den Schläger und über seine vielen anderen Qualitäten hinweg sähen.

Er hat ja auch lange genug damit kokettiert, ein „Tough Guy“ zu sein. Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, das nur noch dosiert einzusetzen. „Ich werde mich nicht mehr von jedem provozieren lassen. Ich bin ruhiger geworden“, sagt er. Der verletzte Dresdner tue ihm sehr leid, „es war ein Fehler, da so reinzugehen, ich hätte vorsichtiger sein müssen.“ Da spricht er, der gereifte Mann, der Wolf in letzter Konsequenz aber gar nicht sein will. „Ich will mir den kindlichen Spaß am Eishockey bewahren und noch mindestens zehn Jahre spielen“, sagt er. Sein Vertrag bei den Freezers läuft bis 2018. „In dieser Zeit will ich alles dafür tun, um den Titel nach Hamburg zu holen.“ Für dieses Ziel ist vor allem eins wichtig: die richtige Balance zu finden zwischen dem guten David und dem bösen Wolf.