Novalaise. Der Deutschlandachter verpasst zum dritten Mal hintereinander bei einer Ruder-WM Gold, rundet aber eine gute Bilanz ab

Als seine neun Männer barfuß über den grünen Teppich zur Siegerehrung schritten, um sich von IOC-Präsident Thomas Bach die Silbermedaillen aufhalsen zu lassen, versuchte Ralf Holtmeyer alles, um eine gute Miene aufzusetzen. Er zog die Mundwinkel weit nach außen, entblößte seine Zähne, presste sich bei der Frage, ob der Deutsche Ruderverband jetzt eine Streckenverlängerung beantragen würde, ein Lachen aus dem Hals. Aber die Enttäuschung ließ sich einfach nicht aus dem Gesicht des Bundestrainers herausbekommen.

Wieder hatten die Briten dem Deutschlandachter bei der Weltmeisterschaft die Goldmedaille weggeschnappt. Nach 2000 Metern trennten das Olympiasiegerboot diesmal nur 18 Hundertstelsekunden vom Titel, 2013 in Chungju (Südkorea) und 2014 in Amsterdam hatte der Rückstand noch mehr als eine halbe Sekunde betragen. Aber das machte es ja nicht besser. Der deutsche Endspurt war wirklich furios gewesen, er hatte die Zuschauer aufspringen lassen. Aber die Briten hatten zuvor dank ihrer körperlichen Überlegenheit Fakten geschaffen, die sich nicht mehr umkehren ließen.

Der leichte Gegenwind, der von den malerischen Gebirgszügen der Savoyen auf den Lac d’Aiguebelette herunterwehte, mag sie dabei begünstigt haben. „Sie sind uns auf den mittleren 1000 Metern davongefahren, genau das wollten wir vermeiden“, sagte Eric Johannesen vom RC Bergedorf, einer von vier verbliebenen Olympiasiegern im Prestigeboot. Er leitete daraus einen klaren Arbeitsauftrag ab: „Wir müssen unsere Ergometerleistungen bis zu den Spielen in Rio weiter verbessern. Nach dem knappen Ergebnis kann das Ziel nur sein, nächstes Jahr Gold zu gewinnen.“ Holtmeyer gab sich sogar überzeugt, „dass wir noch zulegen können“.

Das ist allerdings auch Jürgen Grobler. Der Magdeburger ist seit einem Vierteljahrhundert als Trainer für die britischen Rudererfolge verantwortlich. Und das Potenzial, aus dem er schöpfen kann, scheint größer zu sein als das des Teams Deutschlandachter in Dortmund. Auf dem Lac d’Aiguebelette gewannen alle seine Riementeams eine Medaille. Am Ende stellte das Vereinigte Königreich die erfolgreichste WM-Nation, gefolgt von Neuseeland, das ebenfalls fünf Goldmedaillen gewann. Dahinter folgte Deutschland auf Platz drei mit insgesamt neun Medaillen, davon vier in den olympischen Klassen.

Marcus Schwarzrock, der Hamburger Chef-Bundestrainer, war mit der Bilanz zufrieden: „Sie entspricht unserer Zielsetzung. Zudem sind in manchen Bootsklassen die Rückstände bis Rio aufholbar. In drei olympischen Klassen haben wir um Gold gekämpft.“

Dass es schließlich der männliche Doppelvierer war, der den einzigen bedeutenden Titel gewann, hätte man fast erwarten können – aber nur fast. Seit 2011 war das Boot beim Jahreshöhepunkt stets auf einen Medaillenrang gefahren, 2012 sogar zum Olympiasieg. Weltmeister aber waren Karl Schulze, Philipp Wende, Lauritz Schoof und Hans Gruhne noch nie geworden. Und jetzt hatten sie sogar eineinhalb Sekunden Vorsprung auf die zweitplatzierten Australier, was bei den vielen knappen Einläufen dieser WM schon einer Deklassierung gleichkam. „Dass es eine solche Demonstration der Stärke von uns wird, hätte keiner geglaubt“, sagte Schulze. Wende ordnete die Leistung sogar in der Nähe der Perfektion ein: „Viel stärker geht es gar nicht.“

Nach dem gemischten Saisonverlauf hätten sie sich wohl sogar über Silber gefreut. Annekatrin Thiele, Carina Bär, Marie-Cathérine Arnold und Lisa Schmidla hingegen gelang dies nicht. 2014 in Amsterdam war ihr Doppelvierer überlegen Weltmeister geworden, in dieser Saison war er ungeschlagen. Doch im WM-Finale ließen sich die vier auf der zweiten Streckenhälfte noch von den USA überraschen. „Auf sie hatten wir gar nicht geachtet“, gestand Schmidla, „die Niederlage ist frustrierend. Wenigstens werden wir in Rio jetzt nicht mehr die Gejagten sein.“

Auch im Doppelzweier waren die Geschlechterverhältnisse am Ende umgekehrt als erwartet. Julia Lier und Mareike Adams gewannen eher unverhofft die Bronzemedaille. Die schienen auch Altmeister Marcel Hacker und Stephan Krüger sicher zu haben, bevor sie auf den letzten zwei Schlägen von den Neuseeländern Robert Manson und Christopher Harris noch vom Podest gestoßen wurden. Immerhin: Auch ihr Boot ist als eines von neun deutschen für Olympia qualifiziert.

Für Lars Wichert dagegen ist Rio in weiter Ferne. Der zweimalige Weltmeister vom RC Allemannia gewann mit dem Leichtgewichtsvierer zum Abschluss zwar wenigstens das C-Finale, statt des 13. hätte es aber des elften Rangs bedurft, um dem Boot einen olympischen Startplatz zu sichern. Bleibt nur die Hoffnung auf einen der beiden Quotenplätze, die Ende Mai 2016 in Luzern ausgerudert werden.

Der Deutschlandachter hat schon am Wochenende Gelegenheit zur Revanche: am Sonnabend beim Hansewerk-Alstercup auf der Binnenalster über 280 Meter, am Sonntag dann beim SH-Netz-Cup auf dem Nord-Ostsee-Kanal über 12,7 Kilometer.