Peking. Der deutsche Stabhochspringer kann seinen Titel bei der WM in Peking nicht verteidigen, ist aber dennoch zufrieden

Als sich Raphael Holzdeppe um 21.16 Uhr Ortszeit im Pekinger Olympiastadion noch einmal kräftig in die Hände spuckte und seinen härtesten Stab griff, hätte er sich nach 2013 in Moskau zum erneuten goldenen Sprung über die Latte katapultieren können. Doch an diesem Montagabend war die aufgelegte Höhe von sechs Metern auch im dritten Versuch eine zu knifflige Aufgabe für den 25-Jährigen. Während sich Holzdeppe sofort mit einem artigen Diener für die Unterstützung des Publikums bedankte, reckte einige Meter neben ihm ein Rotschopf die Fäuste in die Luft und sprang vor unbändiger Freude über sein Gold in die Höhe. Nicht ganz so hoch, wie er es kurz vorher bei seinem Siegessprung über 5,90 Meter mit seinem Stab getan hatte. Shawnacy Barber aus Kanada heißt der Überraschungssieger im Stabhochsprung, der das Duell des Titelverteidigers Holzdeppe gegen den Olympiasieger und Weltrekordler, Renaud Lavillenie aus Frankreich, zu einem Dreikampf machte und diesen auch noch gewann. Weil der erst 21-jährige die 5,90 Meter im ersten und Holzdeppe erst im dritten Versuch überquerte, landete der Zweibrücker auf dem Silberplatz. Es bleibt dabei: „Air France“ kann bei Weltmeisterschaften seine Flugkünste nicht wie gewohnt zur Geltung bringen, Lavillenie blieb mit 5,80 Metern gemeinsam mit den beiden Polen Pawel Wojciechowski und Piotr Lisek nur Bronze.

„Vor meinen dritten Versuch über sechs Meter gingen mir zwei Dinge durch den Kopf”, erzählte Holzdeppe später in den Katakomben des Vogelnestes. „Du musst da jetzt irgendwie drüber, dann hast du Gold. Gleichzeitig wusste ich, irgendwie gibt das der Körper nicht mehr her. Aber ich bin super zufrieden.“

Stabhochsprung ist nicht nur die schwierigste und komplexeste Disziplin aller Sportarten, in der eine Vielzahl von Bewegungen in kürzester Zeit gemeistert werden müssen. Beim Stabhochsprung muss man auch pokern können. Im Stadion sieht ein gutes Blatt so aus: weniger Sprünge als die Konkurrenz zu machen, um so Kraft für die wichtigen Höhen zu sparen.

„Das Wettkampfgericht hat uns hier das Pokern leider abgenommen“, erklärte Holzdeppe. Da sich 16 Springer für das Finale qualifiziert hatten, gab es ungewöhnlich große Steigerungen der Höhen. So ging es von 5,80 gleich auf 5,90 und sechs Meter. „Eine Zwischenhöhe von 5,95 Metern hätte Möglichkeiten zum Pokern gegeben, aber wir haben uns alle damit einverstanden erklärt“, sagte Holzdeppe.

Für den Zweibrücker war Silber fast so wertvoll wie das Gold vor zwei Jahren, weil er im vergangenen Jahr überhaupt nicht zurechtgekommen war. Für Holzdeppe war es eine Selbstbestätigung, dass er wieder ganz oben angekommen ist. Seine Nervenstärke bewies er, als er sich im dritten Versuch noch über die 5,90 Meter schlängelte und so statt Fünfter noch Vize-Weltmeister wurde. „Ich hätte es gern weniger nervenaufreibend gemacht. Auch für meine Eltern daheim”, schmunzelte er und verriet sein Rezept, wie er zum Silber sprang: „Ich wollte zunächst mit aller Gewalt über die Latte, aber so geht es nicht im Sport. Das habe ich rechtzeitig umgesetzt.”

Der große Verlierer des Abends war Renaud Lavillenie, der es auch im vierten Versuch nicht schaffte, das WM-Gold, den einzigen ihm noch fehlenden Titel in seiner Erfolgssammlung nach Clermont-Ferrand mitzunehmen. „Ich kann meine Enttäuschung nicht verbergen”, sagte der Olympiasieger, der mit 6,16 Metern den Weltrekord hält: „So ist Stabhochsprung. Wenn es nicht läuft, dann läuft es eben nicht.“

Der Franzose wird es in zwei Jahren wieder versuchen. Dem Leverkusener Tobias Scherbarth, der Siebter mit 5,65 Metern wurde, tat Lavillenie fast schon leid: „Er war blockiert, aber er wird es irgendwann schaffen. Lavillenie ist der Beste, der unseren Sport je ausgeübt hat. Er ist der Usain Bolt des Stabhochsprungs.“

Einen besonderen Wettkampf wird Lavillenie am 4. September in Salzburg bestreiten. Dann ist er beim Benefizspringen für die schwer verunglückte Österreicherin Kira Grünberg dabei, die im Training stürzte und seitdem querschnittsgelähmt ist. In Peking ist alles gut gegangen. Das Risiko kennen alle Springer. „Es ist tragisch für sie, aber als Athlet lässt du so etwas nicht an dich heran. Wenn ich am Start stehe und den Stab in die Hand nehme, darf keine Zweifel bestehen“, sagt Holzdeppe: „Sobald ich Zweifel habe, wird der Stabhochsprung für mich gefährlich.“