Hamburg. Der Ahrensburger Amateur Michael Jeglinski bezwingt in der Herren30-Bundesliga sein Idol Michael Stich

Nach dem Match seines Lebens suchte Michael Jeglinski einen Augenblick Ruhe. Er hatte die ersten Glückwünsche entgegengenommen, noch eine Runde allein über den Platz gedreht – wie einst der Fußball-„Kaiser“ in Rom –, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Jetzt wollte der 35-Jährige mal runterkommen. Er setzte sich auf eine baumbeschattete Bank etwas abseits von Platz zehn und zündete sich eine Siegerzigarette an. Zwei Züge, dann kam Michael Stich. Und rauchte eine mit, Amateursportler unter sich. „Geil gespielt“, sagte die Nummer drei des Uhlenhorster HC noch einmal zur Nummer drei des THC Ahrensburg, „hast mich ein paarmal schön passiert.“

7:6 (9:7), 6:3 lautete das Ergebnis eines Klassespiels – für den Außenseiter. Über zwei Stunden hatten sich die beiden Spieler im dritten Einzel des Herren30-Bundesligamatches zwischen dem UHC und Ahrensburg gegenübergestanden. Der Nobody aus Stormarn gegen den 46 Jahre alten Wimbledonsieger aus Elmshorn. Stich ist schon länger für den UHC gemeldet, hatte aber noch nie in dem Team mitgespielt. Wenig Zeit, Termine, der Job. Am Sonntag war es nun so weit, der UHC musste die Begegnung unbedingt gewinnen, um noch eine theoretische Chance auf den Klassenerhalt zu haben, und Stich wollte Spielpraxis für sein Showmatch am 26. Juli am Rothenbaum gegen Goran Ivanisevic sammeln. „Ich wollte der Mannschaft helfen, mich ein bisschen auf Goran vorbereiten. Es hat Spaß gemacht, und ich habe auch gut gespielt“, sagte Stich. „Obwohl: Verlieren ist immer Scheiße.“

Knapp 600 Zuschauer mögen es gewesen sein, die den Weg zur Anlage des UHC in Hummelsbüttel gefunden hatten. Zwischen zwei Bäumen, schräg gegenüber vom Clubhaus, hing auch ein Plakat für das Profiturnier. Ein Zufall war das sicher nicht. Der Unterhaltungswert dieses Tennisnachmittags bei freiem Eintritt war jedoch kaum geringer, wenn überhaupt.

Denn nicht nur Stich und Jeglinski lieferten sich ein Klasseduell, auch die anderen Matches waren emotional und ausgeglichen. 3:3 stand es nach den Einzeln, nach den drei Doppeln hatte der UHC 6:3 gewonnen, auch weil Ahrensburgs Spitzenspieler Felipe Parada in seinem Doppel einen Hitzschlag erlitt. Stich konnte an der Seite von Nicklas Timfjord 6:1, 6:1 gegen Jeglinski und Jaska Matthias Krüger gewinnen und damit wenigstens eine kleine Revanche feiern.

„Papa, ist der Michael Stich gut?“, fragte ein etwa Sechsjähriger vor der Seitenwahl. Der Junge hatte natürlich mitbekommen, wie viel mehr als sonst rund um die Plätze 8, 9 und 10 los war. Der Club hatte frühzeitig damit geworben, dass Stich diesmal aufgestellt würde. „Uns hat man Anfang der Woche gesagt, dass Michael spielt“, sagte Ahrensburgs Teamkapitän Lars Borg­stede, „für uns ist das ja auch cool.“ Letztes Jahr hatten sie bereits eine ähnliche Erfahrung gemacht, als der Gegner aus Ratingen mit Nicolas Kiefer aufkreuzte, der Ahrensburgs Kasper Warming bezwang. Diesmal traf also Jeglinski das große Los der großen Partie. „Für mich ist es eine Riesenehre, überhaupt einmal gegen den zweitbesten Tennisspieler aller Zeiten spielen zu dürfen. Dass so etwas passiert, damit rechnet man doch nie. Mehr geht doch nicht“, sagte Jeglinski vor dem Match. Und zündete sich schon da eine an.

Wie im „Tunnel“ tigerte er zu diesem Zeitpunkt über die Anlage, während die ersten drei Einzel liefen. Stich war auch schon da, coachte hier ein wenig, ließ sich dort für ein Handyfoto ablichten, talkte small mit den Zuschauern. Ganz entspannt im Hier und Jetzt. Ein Tennisspieler unter Tennisspielern, das fand er gut, das nahm er locker. „Du bist so lange Gegner wohl nicht gewohnt“, rief Stich seinem Gegenüber beim Einspielen zu, als zwei hohe Bälle für die Schmetterschläge zu kurz blieben. Jeglinski gab zu, am Anfang „unfassbar nervös“ gewesen zu sein. Sein Handtuch hatte er vergessen, musste es während des zweiten Spiels aus der Tasche holen, der Start war holprig. Aber der starke Aufschlag kam und dann auch die Winner-Vorhand, und schließlich die Rückhand. „Ich hatte ja wirklich nichts zu verlieren“, sagte er. Die Leichtigkeit setzte ein.

Und Stich machte Fehler, vor allem mit der Rückhand, vergab den letzten von drei Satzbällen im ersten Satz mit einem Volley ins Netz. „Wenn er zuletzt regelmäßiger gespielt hätte, dann macht es bumm, bumm, und es ist vorbei. Und er ist ja auch elf Jahre älter“, sagte Je­glinski. „Er ist der bessere Tennisspieler. Aber heute ging es halt. Es war das Spiel meines Lebens.“

Praktisch täglich steht Jeglinski in Ahrensburg auf dem Platz, ist angestellter Tennistrainer. Der Verein ist seine zweite Heimat, das Spiel tatsächlich sein Leben. „Als Michael mit Boris Becker 1992 Olympia gewann, habe ich als Kind vor dem Fernseher geweint“, erzählte er. Nach dem Match umarmten sich die beiden Spieler mit der so unterschiedlichen Sportlergeschichte lange am Netz. „Er hat mich für mein Spiel gelobt“, erzählte Michael Jeglinski, „und ich habe mich bei ihm für ein einmaliges Erlebnis bedankt. Ich werde das immer in meinem Herzen tragen.“ Darauf noch eine Zigarette.