Montreal. Die deutschen Fußball-Frauen zeigen sich vor dem Viertelfinalspiel der WM in Kanada von allen Widrigkeiten unbeeindruckt.

Die Bundestrainerin persönlich hatte alles vorbereitet. Schritt für Schritt zählte Silvia Neid ab, um die blauen Hütchen auf dem weichen Kunstrasenplatz vor dem längst noch nicht fertiggestellten Stade de Soccer von Montreal auszulegen. Ein weiteres merkwürdiges Areal, auf das die deutsche Frauen-Nationalmannschaft entsandt wurde, um ihre Trainingseinheiten abzuhalten. Überall Bretterzäune, Baugerüste und Bagger, denn das Prestigeprojekt mit seinem verglasten Hauptgebäude an der Avenue Papineau hinkt dem Zeitplan hinterher.

Was wiederum nun dazu geführt hat, dass eine Übungsstunde vor dem Viertelfinale zwischen Deutschland und Frankreich an diesem Freitag (22 Uhr MESZ/ZDF live) erst mit einiger Verzögerung beginnen konnte. Obwohl ja alles vorbereitet war. Doch nach einer halbe Stunde Busfahrt aus der City von Montreal auf der sechsspurigen Ausfallstraße verspürte die halbe deutsche Mannschaft ein dringendes Bedürfnis. Doch was tun, wenn die halb fertige Umkleide nur eine einzige Toilette hat? Eine lange Schlange bilden. Ganz hinten standen Anja Mittag und Lena Lotzen, die dabei ganz besonders gequält schaute.

Immerhin: Ohne peinlichen Zwischenfall haben die deutschen Fußballerinnen auch das Problem gemeinsam lösen können, weil sich niemand länger als gerade nötig in dem Räumchen aufgehalten hat. Letztlich haben sich die meisten ziemlich amüsiert über diese Begebenheit. Es soll ja Zeiten gegeben haben, da ging es beim zweifachen Weltmeister nicht immer so unverkrampft zu.

Popp ist eine gute Zeitzeugin für die Entwicklung

Beispielsweise hat Alexandra Popp ziemlich konkret erklärt, was sich im Vergleich zu dem Viertelfinal-Aus vor vier Jahren – ein 0:1 nach Verlängerung gegen Japan – geändert habe. Nämlich eigentlich alles. Das aktuelle Aufgebot sei mental stärker, intern gefestigter und fußballerisch besser. „Es sind all diese Komponenten“, sagt die „Fußballerin des Jahres“. Die 24-Jährige taugt als gute Zeitzeugin für die Entwicklung, denn bei der Heim-WM 2011 war Sturmtalent Popp ja diejenige, die damals in Wolfsburg sehr spät anstelle von Birgit Prinz eingewechselt wurde und dann auch nichts mehr bewirken konnte.

Jetzt hat die Tierpflegerin, die wegen der Frauen-WM in Kanada eigens ihre Prüfung in den Winter verschoben hat, ein völlig anderes Gefühl. Und sie sagt: „Wir müssen zeigen, dass wir von Anfang an die Chefs auf dem Platz sind.“ Die Devise ist klar: den filigranen Französinnen mit aggressivem Vorgehen gleich mal wehtun. Linksaußen Popp bildet gemeinsam mit Simone Laudehr und Anja Mittag jene lauf- und einsatzfreudige Dreierreihe, die den Gegner bereits früh unter Druck setzt. Ob dieses kraftraubende Pressing sich gegen ein solch spielintelligentes Team durchhalten lässt? Popp kann das schwer abwägen: „Wir dürfen die Klappe nicht zu weit aufreißen. Frankreich hat eine hochkarätige Mannschaft.“

DFB-Frauen fürchten Frankreichs Kombinationsspiel

„Wir müssen von Anfang an Präsenz zeigen und mit Leidenschaft auftreten. Es wird entscheidend sein, dass wir Frankreich nicht ins Spiel kommen lassen“, verlangt Neid, die anstelle der gesperrten Saskia Bartusiak in der Innenverteidigung Babett Peter aufbieten wird. Die 51-Jährige preist den Gegner bei jeder Gelegenheit: „Wenn sie ihr Kombinationsspiel aufziehen können, wird es ganz schwer.“ Im Frühjahr gab es in Offenbach ein Freundschaftsspiel, in dem ihr Ensemble gegen den Nachbarn fast alles falsch machte. Es setzte eine ernüchternde 0:2-Niederlage, bei dem der Europameister nur Ball und Gegner hinterherlief.

Auf dem vor der Weltmeisterschaft ganz neu verlegten Kunstrasen des Olympiastadions von Montreal wird sich die DFB-Auswahl so gewiss nicht abkochen lassen, muss sich aber auf ein fast absurd anmutendes Ambiente einstellen. Der Oberrang in dem baufälligen, notdürftig überdachten Monument im Olympiapark bleibt aus baulichen Gründen komplett gesperrt, der Unterrang wird weitgehend von frankophonen Unterstützern besetzt sein. Dies macht aber alles nichts. „Das hat etwas von Indoor-Soccer“, glaubt Torjägerin Celia Sasic. „Ist doch cool, wenn ein ganzes Stadion gegen uns ist“, meint Popp.

Und beinahe lässig wischte Simone Laudehr beiseite, dass Frankreichs Frauen angekündigt haben, ihre Männer für die vor einem Jahr bei der WM in Brasilien erlittene 0:1-Niederlage im Viertelfinale von Rio de Janeiro rächen wollen. „Da denke ich jetzt zum ersten Mal drüber nach“, erklärte die Dauerläuferin überrascht. „Hier haben wir die Frauen-WM. Gucken wir doch mal, wie das ausgeht.“ Vielleicht ja genauso gut wie vor der einzigen Toilette am Trainingsplatz.