Baku. Seit einer Woche laufen in Baku die ersten Europaspiele der Sportgeschichte. Die Gastgeber mühen sich, aber es gibt zwei Probleme.

Nikolai Arutjunow wusste, dass die Masse ihn verlieren sehen wollte. Es überraschte ihn kaum, dass er auf dem Weg zum Boxring ausgebuht wurde, schließlich war es all seinen Landsleuten zuvor auch so ergangen, egal, in welcher Sportart sie angetreten waren und woher ihr Gegner stammte. Der armenische Halbschwergewichtler gab sein Bestes, unterlag aber dem Polen Jordan Kulinski verdient nach Punkten, und als der DJ nach der Urteilsverkündung „That’s the way I like it“ einspielte, war auch der letzte Rest von Neutralität durch die Boxen der Crystal Hall verhallt.

So geht es tagein, tagaus in Baku, der Hauptstadt der von Staatsoberhaupt Ilham Alijew totalitär regierten Republik Aserbaidschan, die seit vorvergangenem Freitag Gastgeber der ersten Europaspiele der Sportgeschichte ist. Wenn ein Mitglied der 25 Athleten umfassenden armenischen Mannschaft antritt, wird gebuht und gepfiffen, was die Lunge hergibt. Das mag der olympischen Idee von Frieden und Fairplay zwischen den Völkern der Welt entgegenstehen, angesichts der Historie zwischen Aserbaidschan und Armenien aber hält sich die Abneigung in Grenzen, die in westeuropäischen Fußballstadien bei brisanten Derbys oft deutlich überschritten wird.

Deutschlands Medaillengewinner von Baku

Krönender Abschluss: Die Volleyballler bescherten Deutschland das 16. Gold
Krönender Abschluss: Die Volleyballler bescherten Deutschland das 16. Gold © Getty Images for BEGOC | Richard Heathcote
Silber ging noch einmal an die Judoka - dank des Frauen-Teams um die Hamburgerin Martyna Trajdos (2.v.l.)
Silber ging noch einmal an die Judoka - dank des Frauen-Teams um die Hamburgerin Martyna Trajdos (2.v.l.) © dpa | Robert Ghement
Paul Hentschel (M.) schwamm über 400 M Freistil zu Gold
Paul Hentschel (M.) schwamm über 400 M Freistil zu Gold © Witters
Monika Karsch schoss sich mit der Pistole aus 25 Metern zu Bronze
Monika Karsch schoss sich mit der Pistole aus 25 Metern zu Bronze © Witters
Schön synchron aus drei Metern zu Silber: Saskia Oettinghaus (l.) und Louisa Stawcynski
Schön synchron aus drei Metern zu Silber: Saskia Oettinghaus (l.) und Louisa Stawcynski © Witters
Die 16 Jahre alte Hamburgerin Maxine Wolters gewann Schwimm-Gold über 200 Meter Lagen
Die 16 Jahre alte Hamburgerin Maxine Wolters gewann Schwimm-Gold über 200 Meter Lagen © Getty Images for BEGOC | Robert Prezioso
Judoka Martyna Trajdos vom Eimsbüttler TV in Hamburg erkämpfte sich die Goldmedaille in der Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm und darf bei der Abschlussfeier die deutsche Fahne tragen
Judoka Martyna Trajdos vom Eimsbüttler TV in Hamburg erkämpfte sich die Goldmedaille in der Gewichtsklasse bis 63 Kilogramm und darf bei der Abschlussfeier die deutsche Fahne tragen © AFP | JACK GUEZ
Christian Reitz (l.) holte sich beim Schießen mit Monika Karsch die Gold-Medaille. Oliver Geis holte Bronze (Schießen, Schnellfeuerpistole 25 m)
Christian Reitz (l.) holte sich beim Schießen mit Monika Karsch die Gold-Medaille. Oliver Geis holte Bronze (Schießen, Schnellfeuerpistole 25 m) © Getty Images for BEGOC | David Ramos
Bronze für Martin Gromowski (r.) und Kyrylo Sonn (Trampolin, Synchron)
Bronze für Martin Gromowski (r.) und Kyrylo Sonn (Trampolin, Synchron) © dpa | Bernd Thissen
Leonie Kullmann (l.) sicherte sich Silber im Schwimmen (200 m Freistil)
Leonie Kullmann (l.) sicherte sich Silber im Schwimmen (200 m Freistil) © dpa | Vassil Donev
Max Rendschmidt (l.) und Marcus Groß freuen sich über Silber im Kajak-Doppel über 1000 Meter
Max Rendschmidt (l.) und Marcus Groß freuen sich über Silber im Kajak-Doppel über 1000 Meter © Getty Images for BEGOC | Robert Prezioso
Laura Kelsch holte die Silber-Medaille über 50 Meter Brust
Laura Kelsch holte die Silber-Medaille über 50 Meter Brust © dpa | Robert Ghement
Silber für Schwimmerin Maxine Wolters (200m Rücken)
Silber für Schwimmerin Maxine Wolters (200m Rücken) © Getty Images for BEGOC | Harry Engels
Bronze im Synchronspringen: Frithjof Seidel (l.) und Nico Herzog
Bronze im Synchronspringen: Frithjof Seidel (l.) und Nico Herzog © Getty Images for BEGOC | Paul Gilham
Bronze für Schwimmer Marek Ulrich (r., 100 m Rücken)
Bronze für Schwimmer Marek Ulrich (r., 100 m Rücken) © dpa | Vassil Donev
Die 15 Jahre alte Frankfurterin Julia Mrozinski sicherte sich in überlegener Manier den Titel über 200 Meter Schmetterlin
Die 15 Jahre alte Frankfurterin Julia Mrozinski sicherte sich in überlegener Manier den Titel über 200 Meter Schmetterlin © dpa | Sergey Dolzhenko
Paul Hentschel holte Gold über 400 Meter Freistil
Paul Hentschel holte Gold über 400 Meter Freistil © dpa | Robert Ghement
Medaillenbank Sportschützen: Monika Karsch und Christian Reitz holten Gold im Mixed-Wettbewerb mit der Luftpistole
Medaillenbank Sportschützen: Monika Karsch und Christian Reitz holten Gold im Mixed-Wettbewerb mit der Luftpistole © dpa | Bernd Thissen
Völlig synchrones Duo: Louisa Stawczynski and Saskia Oettinghaus (Mitte) sicherten sich Gold vom 3-Meter-Brett. Auch einzeln zeigten sich die jungen Damen stark: Oettinghaus holte Bronze vom 3-Meter-Brett, Louisa Stawczynski Silber vom Einer
Völlig synchrones Duo: Louisa Stawczynski and Saskia Oettinghaus (Mitte) sicherten sich Gold vom 3-Meter-Brett. Auch einzeln zeigten sich die jungen Damen stark: Oettinghaus holte Bronze vom 3-Meter-Brett, Louisa Stawczynski Silber vom Einer © dpa | Srdjan Suki
Die frühere Weltmeisterin Karina Winter holte die Goldmedaille im Bogenschießen
Die frühere Weltmeisterin Karina Winter holte die Goldmedaille im Bogenschießen © dpa | Bernd Thissen
Dimitrij Ovtcharov wurde erster Europaspiele-Sieger im Tischtennis-Einzel
Dimitrij Ovtcharov wurde erster Europaspiele-Sieger im Tischtennis-Einzel © dpa | Bernd Thissen
Christian Reitz triumphierte mit der Schnellfeuerpistole
Christian Reitz triumphierte mit der Schnellfeuerpistole © dpa | Bernd Thissen
Silber am Boden! Fabian Hambüchen turnte sich im Einzel-Finale von sechsten auf den zweiten Platz vor
Silber am Boden! Fabian Hambüchen turnte sich im Einzel-Finale von sechsten auf den zweiten Platz vor © Getty Images for BEGOC | Matthias Hangst
Elena Wassen (r) holte Bronze vom Turm
Elena Wassen (r) holte Bronze vom Turm © dpa | Srdjan Suki
Nach der Silbermedaille am Vormittag, gewann Hambüchen in seiner Paradedisziplin am Reck Gold
Nach der Silbermedaille am Vormittag, gewann Hambüchen in seiner Paradedisziplin am Reck Gold © dpa | Bernd Thissen
Sophie Scheder flog am Stufenbarren zur Silbermedaille
Sophie Scheder flog am Stufenbarren zur Silbermedaille © dpa | Bernd Thissen
Sportschützin Monika Karsch freute sich am Sonnabend über die Bronzemedaille über 25 Meter mit der Luftpistole
Sportschützin Monika Karsch freute sich am Sonnabend über die Bronzemedaille über 25 Meter mit der Luftpistole © Getty Images for BEGOC | Tom Pennington
Sportschütze Henri Junghänel bescherte dem deutschen Team die fünfte Goldmedaille
Sportschütze Henri Junghänel bescherte dem deutschen Team die fünfte Goldmedaille © Getty Images
Freistil-Ringer Marcel Ewald profitierte von der Disqualifikation zweier Kontrahenten und holte Silber
Freistil-Ringer Marcel Ewald profitierte von der Disqualifikation zweier Kontrahenten und holte Silber © dpa | Bernd Thissen
Strahlender Doppelsieger: Kanute Max Hoff holte auch Gold über die Marathondistanz 5000 Meter
Strahlender Doppelsieger: Kanute Max Hoff holte auch Gold über die Marathondistanz 5000 Meter © dpa
Levent Tuncat (r.) erkämpfte sich Bronze im Taekwondo
Levent Tuncat (r.) erkämpfte sich Bronze im Taekwondo © Getty Images
Ronald Rauhe (l.) und Tom Liebscher holten im Kajak-Zweier über die olympische 200-m-Distanz Silber
Ronald Rauhe (l.) und Tom Liebscher holten im Kajak-Zweier über die olympische 200-m-Distanz Silber © dpa
Sportschützin Barbara Engleder erreichte im 10 m Luftgewehr-Finale mit 186,0 Ringen den Bronzeplatz
Sportschützin Barbara Engleder erreichte im 10 m Luftgewehr-Finale mit 186,0 Ringen den Bronzeplatz © Getty Images
Sophie Scheder (v.l.), Elisabeth Seitz und Leah Griesser turnten sich im Teamwettbewerb zu Silber
Sophie Scheder (v.l.), Elisabeth Seitz und Leah Griesser turnten sich im Teamwettbewerb zu Silber © dpa
Freistil-Ringerin Aline Focken freute sich über Bronze in der 69-Kilo-Klasse
Freistil-Ringerin Aline Focken freute sich über Bronze in der 69-Kilo-Klasse © dpa
Kanute Max Hoff (M.) freut sich über das erste deutsche Gold bei den Europaspielen in Aserbaidschan
Kanute Max Hoff (M.) freut sich über das erste deutsche Gold bei den Europaspielen in Aserbaidschan © dpa
Platz zwei im Vierer-Kajak über 500 Meter: Franziska Weber (v.l.), Conny Wassmuth, Verena Hantl und Tina Dietze
Platz zwei im Vierer-Kajak über 500 Meter: Franziska Weber (v.l.), Conny Wassmuth, Verena Hantl und Tina Dietze © Getty Images
Mannschaftskollege Sebastian Brendel triumphierte über 1000 Meter
Mannschaftskollege Sebastian Brendel triumphierte über 1000 Meter © dpa
Peter Kretschmer (2.v.r.) und Michael Müller (r.) mussten sich im Canadier-Zweier über 1000 Meter nur knapp den Russen und Weißrussen geschlagen geben. Der Lohn: Bronze
Peter Kretschmer (2.v.r.) und Michael Müller (r.) mussten sich im Canadier-Zweier über 1000 Meter nur knapp den Russen und Weißrussen geschlagen geben. Der Lohn: Bronze © dpa
Petrissa Solja (v.l.), Ying Han und Xiaona Shan holten Gold im Tischtennis
Petrissa Solja (v.l.), Ying Han und Xiaona Shan holten Gold im Tischtennis © dpa
Ringer Ramsin Azizsir (hinten) beendete den Wettbewerb im riechisch-römischen Stil mit der Bronzemedaille
Ringer Ramsin Azizsir (hinten) beendete den Wettbewerb im riechisch-römischen Stil mit der Bronzemedaille © dpa
Frank Stäbler rang sich ebenfalls auf Rang drei
Frank Stäbler rang sich ebenfalls auf Rang drei © dpa
Dem Karateka Jonathan Horne (r.) blieb nach der Finalniederlage gegen den Türken Enes Erkan Silber
Dem Karateka Jonathan Horne (r.) blieb nach der Finalniederlage gegen den Türken Enes Erkan Silber © dpa
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Seit 1988 kommt es in der Region Berg-Karabach, die sich zwar für unabhängig erklärt hat, aber von keinem Staat der Welt anerkannt wird, immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Armeniern und Aseris. Dass überhaupt eine armenische Delegation in Baku am Start ist, würdigen hochrangige Vertreter des Sports wie Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), regelmäßig als große Errungenschaft.

Armeniens Teilnahme befürworten selbst die verfeindeten Nationen

Die verfeindeten Nationen empfinden ebenso. Der armenische Betreuer Karen Gilojan stellt „eine Annäherung in kleinen Schritten“ fest, man fühle sich in Baku sicher, „auch wenn wir das Athletendorf nur für Training und Wettkampf verlassen“. Der aserbaidschanische Journalist Elgiz Nabili, der für den unabhängigen Privatsender ANS TV arbeitet, sagt: „Wir halten die Armenier für schwach, weil sie mithilfe der Russen unser Land in Karabach geraubt haben. Aber dass sie teilnehmen, das finde ich gut und wichtig.“ Sogar ein Interview mit Mitgliedern des armenischen Teams habe er geführt.

Überhaupt fällt das Bemühen auf, mit dem die Gastgeber Annäherung an ihre internationalen Gäste suchen. Ein Heer von Helfern – der Zusatz „freiwillig“ ist bei Zwölfstundenschichten und täglichem Wechsel von Tag- und Nachtdienst immerhin infrage zu stellen – steht bereit, um Fragen zu beantworten, Wege zu weisen oder einfach nur freundlich zu grüßen. Dennoch gibt es zwei Probleme: Der größte Teil der Einheimischen spricht kein Englisch, was das Beantworten von Fragen deutlich verkompliziert, sofern der Fragende des Russischen nicht mächtig ist. Und: Außer den rund 800 akkreditierten Medienvertretern, die meisten davon aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion, und den Delegationen der 50 teilnehmenden Nationalen Olympischen Komitees sind internationale Gäste kaum auszumachen. Baku hat auf Schlachtenbummler anscheinend keinen Reiz ausgeübt.

Gleiches gilt in Bezug auf die Einheimischen auch für die meisten Sportarten. Trotz moderater Eintrittspreise zwischen einem und fünf Manat (80 Cent bis 4,30 Euro) bleiben beim Bogenschießen, Volleyball oder Tischtennis viele Plätze in den hochmodernen – und bei Außentemperaturen von 34 Grad angenehm temperierten – Arenen frei. Nur wenn Kampfsport ansteht, sind die Aseri Feuer und Flamme für ihre Europaspiele. Die beste Stimmung herrscht beim Ringen, dem bei den zehn Millionen Einwohnern des Landes beliebtesten Nationalsport. Angefeuert werden grundsätzlich nur einheimische Athleten – oder die Sportler aus der Türkei, dem ebenfalls mit den Armeniern verfeindeten Brudervolk.

Sechs der 20 in Baku vertretenen Disziplinen sind Kampfsportarten

Sechs der 20 Sportarten in Baku – neben den olympischen Disziplinen Ringen, Boxen, Taekwondo und Judo schafften es auch Karate und das in der Sowjetarmee entwickelte Sambo ins Programm – sind Kampfsportarten. „Wir sind eine heißblütige Nation, der Kampf ist seit jeher Teil unserer Geschichte“, sagt Journalist Nabili, „jeder Mann muss so mutig und stark sein, um seine Familie verteidigen zu können. Deshalb lieben wir alle den Kampfsport.“ Das schließt auch Frauen ein, die im muslimisch geprägten Aserbaidschan (85 Prozent der Bevölkerung hängt dem schiitischen Islam an) keine Unterdrückung wie in Mullah-Staaten zu beklagen haben und beim Kampfsport auf den Tribünen lautstark mitgehen.

Die Organisatoren haben die Kampfsportarten geschickt über die gesamten 16 Wettkampftage verteilt, um Stimmung und Medaillenchancen für Aserbaidschan auf konstant hohem Niveau zu halten. Eine Rechnung, die bislang aufgeht. Mit zwölf Gold-, fünf Silber- und zwölf Bronzemedaillen belegt der Gastgeber im Medaillenspiegel nach sieben Wettkampftagen Rang zwei. Russland (27/11/10) führt, Deutschland (6/7/8) ist Vierter.

„Die Spiele sind sehr gut organisiert, erfüllen diesbezüglich olympischen Standard“, sagt Dirk Schimmelpfennig, Chef de Mission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), „wir haben uns bislang gut präsentiert und wollen die zweite Woche genauso erfolgreich und sinnvoll nutzen.“ Eine offizielle Zwischenbilanz will der DOSB am Sonntag ziehen.