Hamburg. Der Gegner des HSV kämpft gegen den Bruch mit den eigenen Fans. Auch sportlich geht es noch um viel

Es war eine groteske Stimmung in der Schalker Veltins-Arena am vergangenen Sonnabend. Die Fans der Gelsenkirchener jubelten der Mannschaft aus Paderborn zu, drehten ihrem eigenen Team demonstrativ den Rücken zu. Sie beschimpften die Spieler trotz des 1:0-Sieges und der sicheren Qualifikation für die Europa League. „Außer Fährmann könnt ihr alle gehen“, skandierten sie. Und sie forderten den Rauswurf von Aufsichtsratschef Clemens Tönnies. Auch Sportchef Horst Heldt bekam die Wut zu spüren. „169 Zentimeter Inkompetenz“ war in Anlehnung an Heldts Körpergröße auf einem Spruchband zu lesen.

Man ist es fast schon gewohnt, dass sich die Schalker Fans in Zeiten sportlichen Misserfolgs von ihrer Mannschaft abwenden. So gespenstisch wie jetzt, wenige Tage vor dem Saisonfinale beim HSV am kommenden Sonnabend, war es auf Schalke aber noch nie. Die Szenen vom Wochenende sind das Ergebnis eines Entfremdungsprozesses zwischen den Anhängern und dem Team, das zuletzt durch blutleere Auftritte den Rückhalt der Fans verlor. „Ich übernehme die Verantwortung“, rief Horst Heldt den aufgebrachten Anhänger nach dem Spiel gegen Paderborn entgegen. Aber was ist eigentlich passiert auf Schalke, dass die Stimmung so schlecht ist wie selten zuvor?

Im Zentrum des Streits steht der suspendierte Kevin-Prince Boateng. Mit der Attitüde eines abgehobenen Superstars hatte der Nationalspieler Ghanas die Mannschaft in zwei Lager geteilt. Der ehemalige Trainer Jens Keller soll die Sonderwünsche stets toleriert haben. Sein Nachfolger Roberto Di Matteo ließ sich Boatengs Verhalten, der unter anderem eine Autogrammstunde verweigert haben soll, nicht gefallen. Auf Druck von Tönnies suspendierte Heldt daher vor Wochenfrist den ehemaligen Mailänder, Ex-HSV-Profi Sidney Sam sowie Marco Höger.

Während es für Boateng und Sam kein Zurück gibt, wurde Höger wieder begnadigt. Nach einem Gespräch mit der sportlichen Leitung darf er wieder mit der Mannschaft trainieren. Am Stimmungstief auf Schalke dürfte diese Maßnahme aber so schnell nichts ändern. Die Fans vermissen Spieler, die sich mit dem Verein identifizieren und machen dafür die Clubführung verantwortlich. Ein Synonym für den sportlichen Abwärtstrend, der beinahe in der verpassten Teilnahme am Europapokal gemündet wäre, ist der ehemalige HSV-Stürmer Eric Maxim Choupo-Moting. In der Hinrunde mit neun Treffern noch bester Schalker Torschütze, wirkt er in der Rückrunde wie ein Fremdkörper ohne Bindung zum Spiel, seine negative Körpersprache drückt das Schalker Seelenleben aus.

Der HSV dürfte das Treiben auf Schalke mit Interesse verfolgen. Die Hoffnung, am Sonnabend auf eine unmotivierte Mannschaft zu treffen, wird sich jedoch nicht erfüllen. Bei einer Niederlage in Hamburg könnte Schalke noch auf Platz sechs abrutschen und wäre nicht direkt für die Gruppenphase der Europa League qualifiziert.