Berlin. Die HSV-Handballer verpassen im EHF-Cup-Finale gegen Berlin die Chance, die Saison zu einer legendären zu machen. Stattdessen haben sie neue Sorgen

Einige HSV-Handballer hatten genug gesehen, sie wollten nur noch weg von dieser Stätte des Grauens, dem Inneren der Max-Schmeling-Halle. Doch die Zeremonienmeister der Endrunde im europäischen EHF-Pokal erinnerten sie nachdrücklich an das Protokoll: Es galt zunächst, dem neuen Titelträger persönlich zu gratulieren, der sich bereits auf dem Podest ausgebreitet hatte. Doch als dann Iker Romero, der Kapitän der Füchse Berlin, die Trophäe nach oben stemmte und das unvermeidliche „We Are The Champions“ in einer Livefassung angestimmt wurde, verließen die Hamburger fluchtartig die Halle.

Viel hatte ja nicht gefehlt, und sie hätten im Konfettiregen gestanden. Mit 27:30 (13:16) hatten sie das Finale verloren, und bis zum entscheidenden Tor von Berlins Jungnationalspieler Paul Drux 30 Sekunden vor dem Ende hatten sie hoffen können, auch diesen letzten unter den bedeutenden Pokalen im Vereinshandball der HSV-Sammlung hinzufügen zu können. So aber tat es einfach nur weh: die Berliner beim Feiern zu sehen – und die Körper nach zwei anstrengenden Spielen binnen 24 Stunden. Und das Wissen darum, an diesem Wochenende außer einer Silbermedaille nichts gewonnen, aber dafür zwei Spieler verloren zu haben.

„Wir sind alle unglaublich traurig“, sagte Hamburgs Trainer Jens Häusler, „Wir haben uns dreieinhalb Wochen intensiv auf dieses Turnier vorbereitet und im Halbfinale ein sehr gutes Spiel gemacht. Heute hat uns einfach das Glück gefehlt.“ Und wer wollte ihm da widersprechen?

Schon beim 27:23-Halbfinalsieg gegen Skjern hatte Häusler den ersten Verlust zu beklagen gehabt. Ohne Fremdeinwirkung war der reaktivierte Rechtsaußen Johan Petersson, 42, bei einem Antritt plötzlich zusammengesackt. Der Verdacht auf Achillessehnenriss sollte sich bei einer Untersuchung in der Charité bestätigen. Ein hoher Preis für ein Comeback, das nur sechs Spielminuten dauerte.

Im Finale dann traf es Davor Dominikovic. Nach einem Berliner Fehlpass wollte der kroatische Abwehrchef den Ball mit einem Hechtsprung sichern, als ihm der wuchtige Füchse-Kreisläufer Evgeni Pevnov auf den ausgestreckten Arm krachte. Unter großen Schmerzen musste Dominikovic ins Krankenhaus. Sicher war am Abend nur: Die Schulter ist ausgekugelt. Möglicherweise sind auch Bänder und Gelenkpfanne in Mitleidenschaft gezogen. Es dürfte somit auch Dominikovics letzter Einsatz für den HSV gewesen sein, bei dem er nur noch bis Juni unter Vertrag steht.

Im Moment des Unfalls hatten die Hamburger gerade durch zwei Kontertore von Matthias Flohr mit 7:6 die Führung übernommen, es sollte ihre einzige in diesem Spiel bleiben. Dominikovics Missgeschick mag nachgewirkt haben, auch psychisch. Aber selbst als Alexandru Simicu nach 36 Minuten aufgrund der dritten Zeitstrafe die Rote Karte sah und der Hamburger Mittelblock somit nicht mehr existierte, klammerten sich die Verbliebenen an die Chance, diese wech­selhafte Saison noch zu einer legendären zu machen. Die Ausfälle seien „natürlich ein Schock“ gewesen, sagte Häusler: „Aber ich bin sehr stolz darauf, wie wir mit harter Arbeit immer wieder ins Spiel zurückgekommen sind.“

Hätte dann noch Torwart Johannes Bitter nicht nur neun, sondern wie gegen Skjern 19 Würfe pariert und Kapitän Pascal Hens sich etwas weniger als fünf Ballverluste geleistet – müßig, darüber zu spekulieren. Hens übte sich jedenfalls in Selbstkritik: „Leider haben einige von uns heute auch nicht die gewünschte Leistung gebracht – ich ganz besonders.“ Kevin Herbst gehörte nicht zu denen, an die dieser Vorwurf zu richten war. Der 20 Jahre alte Rechtsaußen hatte schon im Halbfinale mit fünf Toren die Gelegenheit wahrgenommen, das ihm nachgesagte Talent nachzuweisen. Insgesamt aber mussten wohl doch zu viele Spieler Verantwortung übernehmen, die sie ansonsten nur selten übertragen bekommen, und das in einer Auswärtsatmosphäre, wie man sie von Pokalendrunden sonst nicht kennt.

Kentin Mahé war der einzige Hamburger, der eine Trophäe mitnehmen durfte: ein raumkapselförmiges Plexiglasgebilde für den wertvollsten Spieler des Turniers. „Kennys Entwicklung über die Saison ist phänomenal, er ist zu einem echten Führungsspieler herangewachsen“, sagte Häusler, „auch darauf können wir stolz sein.“ Aber nicht lange. Am Mittwoch steht beim Bergischen HC das viertletzte Spiel der Bundesligasaison an. Noch gibt es eine vage Chance, den fünften Europapokalplatz zu erreichen. Aber ohne Abwehrchef und mit nur zwei Linkshändern, je einen für Rechtsaußen (Herbst) und den Rückraum (Adrian Pfahl)?

Das ganze Personalelend auf Rechtsaußen war beim Finale hinter der HSV-Bank zu besichtigen. Dort hatten Hans Lindberg, Stefan Schröder und Petersson neben Clubmäzen An­dreas Rudolph Platz genommen. Lindberg war eigens an den Ort zurückgekommen, an dem er sich am 1. April so schwer an der Niere verletzt hatte, dass er sogar um die Fortsetzung seiner Karriere bangen muss. Es gehe ihm „so weit gut“, sagte Lindberg, der immer noch eine Dränage braucht. Ein Comeback ist aber noch nicht abzusehen.

Schröder hatte sich im Trainingslager einen Sehnenriss im Fuß zugezogen, weitere Einsätze in dieser Saison ausgeschlossen. In der Not hatte der HSV kurzfristig Petersson, 42, aus dem Ruhestand zurückgeholt. „Ich bin jahrelang nicht gesprungen und jetzt eine Woche total intensiv. Offenbar habe ich meinem Körper damit zu viel zugemutet“, sagte der frühere Kieler. Jetzt steht ihm eine Operation bevor, am Dienstag in Hamburg oder am Mittwoch in seiner schwedischen Heimat.

Tore, Berlin: Igropulo 6, Nenadic 6, Zachrisson 4, Drux 4, Wiede 4, Petersen 3 (2 Siebenmeter), Horak 2, Pevnov 1; HSV Hamburg: Mahé 10 (7), Pfahl 5, Toft Hansen 3, Flohr 2, Herbst 2, Djordjic 2, Hens 2, Schmidt 1 (1). Schiedsrichter: Eliasson/Palsson (Island). Zuschauer: 8206. Zeitstrafen: 4; 4.
Rote Karte:
Simicu (HSV) nach 3 Zeitstrafen (37.).