Die Handballerinnen des Buxtehuder SV trennt nur noch ein Sieg beim Thüringer HC vom ersten nationalen Titel der Clubgeschichte.

Eigentlich ist der Balkon des historischen Rathauses von Buxtehude ja einsturzgefährdet. Aber für die erste Meisterparty der BSV-Vereinsgeschichte würde Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt eine Ausnahme machen: „Das sind leichte junge Damen, das kriegen wir schon hin“, verspricht die Politikerin (55, parteilos).

Schließlich hätten die Handballerinnen in der Hansestadt eine „Welle der Begeisterung“ entfacht, und als Meisterinnen müssten sie sich den Bürgern zeigen, sagt Oldenburg-Schmidt, die einst als Basketballerin des HSV und des VfL Pinneberg auf Korbjagd ging. Vor dem Saisonshowdown des Tabellenführers beim Thüringer HC am Sonnabend (14 Uhr/Livestream im MDR) steigt nach ihren Worten „so langsam die Anspannung, im positiven Sinne“. Auf der Buxtehuder Baumesse werde extra ein Public Viewing aufgebaut, betont sie.

„Buxte“-Spielführerin und Nationalmannschaftskapitänin Isabell Klein findet das Balkon-Angebot der Bürgermeisterin „verlockend. Das wäre großartig“, sagt die 30-Jährige, die aber lieber noch nicht zu viel an den Titel denkt. Sie muss sogar ihren Mann Dominik Klein, den THW-Kiel-Profi, im Hintergrund fragen: „Sag mal, gibt’s bei uns Frauen einen Meisterpokal und bei euch eine Schale?“ Ja, er sagt ja.

„Aller guten Dinge sind drei“

Es wäre der erste nationale Titel für den BSV in 26 Jahren Bundesligazugehörigkeit. Isabell Klein sagt über den Liga-Evergreen: „Der BSV war immer mit dabei und hat immer vernünftig gewirtschaftet.“ Andere wie Bayer Leverkusen, der HC Leipzig, der 1. FC Nürnberg und Thüringen waren eben nicht immer da. „Wir hätten es verdient, dafür belohnt zu werden.“

Als Motto für das Gastspiel in Bad Langensalza gibt der Club auf seiner Homepage aus: „Aller guten Dinge sind drei“, denn schon zweimal verpasste man dort im Play-off-Finale die Meisterschaft „um Millimeter“ (Coach Dirk Leun) – in den Spielzeiten 2011 und 2012 war das. 2011 entschied gar nur die Auswärtstorregel (Hinspiel: 29:34/Rückspiel: 28:23). Das traumatische Rückspiel sitzt auch noch bei Nationalkeeperin Jana Krause, 27, damals „Buxte“, seit 2013/14 beim Thüringer HC, tief. „Dieses Gefühl in den letzten Sekunden war unbeschreiblich, das werde ich nie im Leben vergessen.“ Der BSV hatte schon komfortabel mit 28:19 geführt.

Nur nicht verlieren

„Aber eigentlich mussten wir uns damals nicht ärgern, weil Thüringen Goliath war und wir David“, sagt Klein in ihrer pragmatischen Art. Diesmal ist es anders. Der BSV ist am vorletzten Spieltag Erster mit 44:4 Punkten vor Titelverteidiger THC (41:5), der noch eine Nachholpartie zu spielen hat. Die Ausgangssituation: Mit einem Sieg hätte der BSV den Titel schon sicher (egal, wie das Heimspiel gegen Göppingen am 23. Mai ausgeht), bei einem Unentschieden alles noch selbst in der Hand.

Vor der Atmosphäre in der engen Salza-Halle ist das Team gewarnt. „Man kann von einer Hölle sprechen“, sagt Leun. „Da wird aggressiv angefeuert, und wir bekommen direkte Worte an den Kopf geschmissen“, sagt Klein. Kein Wunder, dass der BSV-Fanbus „pickepackevoll“ ist, wie Clubsprecher Thorsten Sundermann berichtet.

Mit Krause verbindet den BSV noch eine Freundschaft: „Mit Antje Lenz, Jana Podpolinski und Randy Bülau treff’ ich mich immer mal privat – auch unsere Männer verstehen sich“, erzählt Krause. Aber: „In dieser Woche ist der Kontakt mal abgebrochen.“

Was macht Buxte so stark?

Die sehr ehrgeizige Torhüterin, die in Erfurt ihren Master in Finance and Accounting macht, sagt über die Stärke des Überteams der vergangenen Jahre: „Der THC hat einen unbändigen Siegeswillen.“ Den lebe Trainer Herbert Müller, den die Münchnerin seit gemeinsamen Nürnberger Tagen kennt, in jedem Training vor. BSV-Coach Leun stellt heraus: „Thüringens beste Waffe ist der unglaubliche Tempohandball.“

Und was macht „Buxte“ so stark? „Das Team ist gereift, es gab keine große Fluktuation, die Abläufe sind eingespielt“, meint Krause. Klein verweist auf „Zugang“ Stefanie Melbeck, 38, die in der Abwehr überragende reaktivierte BSV-Legende, „die spielt, als wäre sie nie weggewesen“, und die momentane Fließband-Torschützin Jessica Oldenburg. „Jessi hat einen Riesensprung in ihrer Konstanz gemacht“, sagt Leun. Der 51-Jährige freut sich auch über die „tolle Mischung aus Jung und Alt“ (man denke nur an Supertalent Emily Bölk, 17) und die „absolute Breite und Ausgeglichenheit im Kader“.

Zudem habe sich der Verletzungsfluch verabschiedet. Ein möglicher Grund: Der BSV beendete zu dieser Saison die Zusammenarbeit mit Athletikcoach Øyvind Rønhovde, der suboptimal von Norwegen aus auch das deutsche Nationalteam beriet. Nun arbeitet man in Eigenregie im Balance-Medical-Studio im Nachbarörtchen Jork mit schonendem Sling-Training, bei dem Arme und Beine in Schlingen hängen. Resultat: keine Knieverletzung.

Chancen auf das Double

Auch der unaufgeregte Dirk Leun, der lieber dem BSV treu blieb, als Bundestrainer zu werden, wird im an sich unaufgeregten Buxtehude derzeit noch öfter auf der Straße angesprochen als sonst. „Das liegt wohl an den 16 Siegen nacheinander“, mutmaßt er nüchtern. Damit hatte man mal eben den Clubrekord von 2000/01 torpediert (als die ersten acht Spiele gewonnen wurden).

Im Hinspiel gegen den THC gelang ein 28:25-Coup, Thüringens erste Liganiederlage seit zwei Jahren. Nicht auszudenken, was in „Buxte“ abgeht, wenn das Team am Sonnabend wieder gewinnt. Und womöglich beim Pokal-Final-Four am 15./16. Mai in der Sporthalle Hamburg das Double holt. Torhüterin Lenz, bei der Stadt für Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Kultur zuständig, könnte auf kurzem Dienstweg ein zweites Mal den Balkon buchen. Ein Balkon-Problem hat übrigens auch der THC. Krause: „Bad Langensalza hat einen klitzekleinen Balkon, auf den gefühlt zwei Leute passen.“