Hamburg. Sabrina Mockenhaupt dominiert seit einem Jahrzehnt die Langstrecke in Deutschland. Sonntag debütiert sie in Hamburg beim Marathon.

So gut wie am Mittwoch hat Sabrina Mockenhaupt die Spinatlasagne ihrer Mutter lange nicht mehr geschmeckt. Drei Tage lang hatte sie zuvor auf die Einnahme von Brot, Reis, Kartoffeln und eben Nudeln verzichtet. Saltindiät heißt die Methode, auf die viele Ausdauersportler schwören: Erst werden die sogenannten Glykogenspeicher in der Muskulatur geleert, um dann die Kohlenhydratzufuhr in den letzten Tagen vor dem Wettkampf drastisch zu erhöhen.

Schon daran mag man ermessen, dass es Mockenhaupt ernst ist mit ihrer Premiere beim Haspa-Marathon am Sonntag. Sie hat die Diät 2013 in New York vor ihrem bis dato letzten beendeten Marathon ausprobiert und gute Erfahrungen gemacht. Aber Deutschlands Vor-Läuferin von der LG Sieg kennt ihren Körper nach 34 Jahren gut genug, um zu wissen, dass es für eine bessere Zeit als jene 2:26:21 Stunden vor fünf Jahren in Berlin diesmal nicht reichen wird: „Dafür war die Vorbereitung zu stark von Verletzungen und Erkrankungen beeinträchtigt.“ Unter 2:30 Stunden bleiben, egal wie knapp, damit wäre Mockenhaupt schon zufrieden.

Der Familienrekord dürfte also noch nicht in Gefahr geraten. Ihr Vater Fred hat ihn 1988 aufgestellt: 2:24:59 Stunden, gelaufen in Hamburg. Mutter Hildegard schaffte es vier Jahre später hier sogar auf den zweiten Platz. Beide haben ihrer Tochter Tipps gegeben, sie beruhigt, ihr Mut gemacht. Nach Hamburg begleiten aber werden sie sie nicht: „Die würden das vor Aufregung gar nicht aushalten.“

Ohne Konkurrenz an der Spitze

Daran hat sich auch nach 40 deutschen Meistertiteln nichts geändert. Sabrina Mockenhaupt hat sie alle mitgezählt. Der letzte, im Zehn-Kilometer-Straßenlauf im September in Düsseldorf, sei ihr besonders wichtig gewesen: „Ich wollte unbedingt einen versöhnlichen Saisonabschluss.“ Es war ja nicht ihr bestes Jahr gewesen, eher ein etwas zu aufregendes mit der Trennung von ihrem Freund, dem Umzug, den sportlichen Rückschlägen. Bei der EM im August in Zürich musste sie den Marathon nach der Hälfte der Strecke unter Schmerzen und Tränen aufgeben.

„Nach der Enttäuschung habe ich für Hamburg noch etwas gutzumachen“, sagt Mockenhaupt. Nicht, dass sie irgendjemandem irgendetwas schuldig wäre. Mockenhaupt dominiert den Langstreckenlauf in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt. Einzig Irina Mikitenko konnte lange mit ihr Schritt halten, bevor sie die Bahn verließ und sich mit großem Erfolg nur noch dem Straßenlauf zuwandte.

Mockenhaupt hat nie erwogen, es ihrer einstigen Dauerrivalin gleichzutun. Zwei Marathonstarts im Jahr und die übrige Zeit nur Training, nein, das wäre nichts für sie: „Ich zeige mich einfach gern auf Wettkämpfen. Dafür trainiert man doch letztlich auch.“ Im Übrigen fehle ihr die Grundschnelligkeit, um etwa Mikitenkos deutschen Marathonrekord (2:19:19) ernsthaft in Angriff zu nehmen. Mit dieser Erkenntnis hat sie sich anfreunden müssen nach unzähligen großen Meisterschaften, in denen sie oft lange vorn mitmischen, die letzte Tempoverschärfung aber nicht mehr mitgehen konnte. Zwei sechste Plätze bei Europameisterschaften, je einer über 5000 und 10.000 Meter, stehen als größte Erfolge zu Buche. Die Bronzemedaille bei der Hallen-EM vor zehn Jahren hat sie erst nachträglich zuerkannt bekommen, nachdem die Zweitplatzierte des Dopings überführt worden war.

Eine internationale Medaille ist das Ziel

Und doch gehört Sabrina Mockenhaupt zu den bestvermarkteten deutschen Leichtathletinnen. Die nationalen Titel sind das eine, aber nicht sie haben Mockenhaupt zu dem gemacht, was man eine Marke nennt: zu „Running Mocki“, so der Name, unter dem sie ihre Fans in den sozialen Netzwerken über sich auf dem Laufenden hält. Sie hat sich nie gescheut, andere an ihrer Gefühlswelt teilhaben zu lassen: mal rheinische Frohnatur, dann wieder hemmungslos weinend, ein 45 Kilogramm leichtes Häufchen Elend. Immer ungefiltert, immer authentisch. Sie nötigt ihre Umwelt dazu, eine Haltung zu sich zu beziehen. Das ist selten und kommt an bei den Menschen.

Mockenhaupt hat der Lust am Laufen über die Jahre ein Gesicht gegeben. Sie darf in Fachzeitschriften Tipps zum richtigen Krafttraining geben oder für Sportbrillen werben. Sie ist gut im Geschäft, und sie würde es gern über ihre Karriere hinaus bleiben, von der sie noch nicht absehen kann, wie lange sie andauern wird. Das Ziel, eine internationale Medaille zu gewinnen, treibe sie immer noch an, vielleicht bis zur EM 2018 in Berlin. Ein solcher Erfolg würde helfen, sich ein zweites Berufsleben im Laufsport aufzubauen, ob nun als Trainerin oder in anderer Funktion. Auch eine Rückkehr in ihren erlernten Beruf als Industriekauffrau kann sich Mockenhaupt vorstellen. Angst vor der Zeit danach hat sie jedenfalls nicht: „Ich freue mich sogar ein bisschen auf die Zeit, in der ich laufen gehe, weil ich Lust habe, und nicht, weil ich muss.“

Mockenhaupt konzentriert sich mehr auf sich

An diesem Sonntag muss sie nicht laufen. Sie will, Formschwäche hin oder her. Mockenhaupt sagt: „Ich will mich dieser Herausforderung stellen.“ Vom Veranstalter bekommt sie einen Pacemaker zur Seite gestellt, der ihr das richtige Tempo vorgeben soll. Auf keinen Fall will sie den Fehler begehen, zu schnell anzugehen. „Vielleicht wird es auch eine Variante sein, mich an die zweite Frauengruppe zu hängen, bevor bei Kilometer 30 die Arbeit beginnt.“

Bis dahin gilt es, Kräfte zu sparen, auch vor dem Rennen. Mockenhaupts Rahmenprogramm fürs Wochenende: Pressekonferenz, ein kurzer TV-Dreh, ein kleiner Fototermin auf der Messe. Keine Autogrammstunde, keine großen Interviews. Stattdessen Erholung und Physiotherapie. Sabrina Mockenhaupt hat gelernt, auf ihre Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, das zu tun, was ihr gut tut. Die Kompressionsstrümpfe, die einst ihr Markenzeichen waren, hat sie abgelegt. Sie wollte den Sponsoringvertrag nicht verlängern, weil sie die Wahl haben wollte, die Strümpfe nur noch dann zu tragen, wenn ihr danach ist.

Und sie ist im Herbst zu ihrem langjährigen Trainer Heinz Weber zurückgekehrt. „Unterm Strich war ich mit ihm am erfolgreichsten“, sagt Mockenhaupt. Letztlich sei der Sport eben ein ewiger Lernprozess. Den perfekten Lauf habe sie bislang noch nicht erlebt. Das wird am Sonntag wohl so bleiben.