Hamburg. Ausgeliehen, aussortiert – und plötzlich auserwählt. Eine ganz normale HSV-Karriere. Kacar ist eine Art Prototyp des HSV-Profis.

Einen Bummel durch Hamburgs Innenstadt hat sich Gojko Kacar selbst verboten. „Ich verbringe gerne einen freien Tag in der City“, sagt der Serbe im Gespräch mit dem Abendblatt, „aber in diesen Tagen fällt mir das nicht leicht.“ Wo er auch hinschaut, überall sehe er Zeitungen liegen, auf denen die HSV-Raute in Scherben abgebildet ist. „Ich weiß nicht, wie andere das machen. Aber wirklich mal abschalten, das kann ich nicht“, sagt Kacar, „der HSV ist einfach überall.“

Fünf Spiele lang wird das noch so sein, eventuell sogar sieben. „Natürlich glaube ich noch an die Rettung – und wenn es über die Relegation geht“, sagt Kacar, der im defensiven HSV-Mittelfeld höchstpersönlich dafür sorgen soll. Valon Behrami rot-gesperrt, Lewis Holtby gelb-gesperrt, Marcelo Díaz angeschlagen – und plötzlich ist der 28 Jahre alte Serbe der zentrale Mann in der Zentrale. „Gojko ist in den letzten Tagen konzentriert aufgetreten, er ist klar im Kopf“, lobte Trainer Bruno Labbadia, dem spontan Kacars Auftritt beim 1:1 gegen Gladbach einfällt. „Da hat er ein sehr gutes Spiel gemacht.“

Zwei Monate ist dieses gute Spiel her. Danach durfte Kacar gegen Frankfurt starten, dann noch mal insgesamt 50 Minuten gegen Dortmund und Hoffenheim spielen. Der damalige Trainer flog, Kacar hoffte. Der nächste Trainer flog, Kacar hoffte noch immer. Nun also Labbadia. Und Kacar hofft wieder. „Ich weiß ja, dass ich im Sommer gehen muss. Aber ich will mich auf keinen Fall mit dem Abstieg verabschieden.“

In fünf Jahren hatte Kacar elf Trainer, vier Manager und drei Clubchefs

Gojko Kacar ist so eine Art Prototyp des HSV-Profis. Er erlebte elf Trainer in Hamburg, vier unterschiedliche Sportchefs, drei Clubchefs. Er wurde teuer verpflichtet, zum Hoffnungsträger erklärt, fallengelassen und verschmäht. Er wurde verliehen, ausgemustert und nun sogar auserwählt. Wer all dieses Hin und Her um Kacar versteht, der versteht auch den HSV.

Dabei fing alles so gut an.

Erstes HSV-Training unter Labbadia

Bruno Labbadia ist neuer Trainer beim HSV
Bruno Labbadia ist neuer Trainer beim HSV © Witters | TayDucLam
Am Mittwochvormittag leitete er seine erste Einheit
Am Mittwochvormittag leitete er seine erste Einheit © WITTERS | TayDucLam
Als wäre er nie weg gewesen: Bruno Labbadia
Als wäre er nie weg gewesen: Bruno Labbadia © Witters | TayDucLam
Der 49-Jährige führte gleich mal ein intensives Gespräch mit Dolmetscher Edson Büttner
Der 49-Jährige führte gleich mal ein intensives Gespräch mit Dolmetscher Edson Büttner © WITTERS | TayDucLam
Labbadia gab deutliche Ansagen auf dem Platz
Labbadia gab deutliche Ansagen auf dem Platz © WITTERS | TayDucLam
Immer wieder korrigierte Labbadia die HSV-Profis, sorgte aber zugleich für gute Laune auf dem Platz
Immer wieder korrigierte Labbadia die HSV-Profis, sorgte aber zugleich für gute Laune auf dem Platz © WITTERS | TayDucLam
Labbadia beobachtet das Training in nachdenklicher Pose. Kann er den HSV noch vor dem Abstieg bewahren?
Labbadia beobachtet das Training in nachdenklicher Pose. Kann er den HSV noch vor dem Abstieg bewahren? © Witters | TayDucLam
Labbadia feuert den sprintenden Nicolai Müller an
Labbadia feuert den sprintenden Nicolai Müller an © Witters | TayDucLam
René Adler bekommt eine klare Einweisung von Labbadia
René Adler bekommt eine klare Einweisung von Labbadia © Witters | TayDucLam
Als Co-Trainer begleitet Eddy Sözer den 49-Jährigen. Der erst vor 19 Tagen verpflichteter Co-Trainer Peter Hermann beendet sein Kurz-Engagement in Hamburg
Als Co-Trainer begleitet Eddy Sözer den 49-Jährigen. Der erst vor 19 Tagen verpflichteter Co-Trainer Peter Hermann beendet sein Kurz-Engagement in Hamburg © WITTERS | TayDucLam
Bruno Labbadia und Heiko Westermann beim Training
Bruno Labbadia und Heiko Westermann beim Training © WITTERS | TayDucLam
Labbadia beobachtet Pierre-Michel Lasogga akribisch
Labbadia beobachtet Pierre-Michel Lasogga akribisch © WITTERS | TayDucLam
Klare Ansprache von Labbadia an Ivo Ilicevic und Pierre-Michel Lasogga
Klare Ansprache von Labbadia an Ivo Ilicevic und Pierre-Michel Lasogga © WITTERS | TayDucLam
Für Rafael van der Vaart hat Labbadia offenbar schon eine neue Verwendung gefunden
Für Rafael van der Vaart hat Labbadia offenbar schon eine neue Verwendung gefunden © WITTERS | TayDucLam
Labbadia hat viel Arbeit vor sich, der HSV steht auf dem letzten Tabellenplatz
Labbadia hat viel Arbeit vor sich, der HSV steht auf dem letzten Tabellenplatz © WITTERS | TayDucLam
Labbadia coacht Lasogga und Johan Djourou
Labbadia coacht Lasogga und Johan Djourou © WITTERS | TayDucLam
Labbadia redete seine Spielern viel Mut zu
Labbadia redete seine Spielern viel Mut zu © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
In seinem ersten Training versuchte Labbadia positive Stimmung zu verbreiten
In seinem ersten Training versuchte Labbadia positive Stimmung zu verbreiten © WITTERS | TayDucLam
Labbadia nimmt sich Artjoms Rudnevs zu Brust
Labbadia nimmt sich Artjoms Rudnevs zu Brust © Bongarts/Getty Images | Martin Rose
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Es war im Sommer 2010, als Bernd Hoffmann den damals 23 Jahre alten Mittelfeldmann von Hertha für 5,5 Millionen Euro zum HSV lotste. Viel Geld für einen talentierten Fußballer. In Berlin sollen sie sich die Hände gerieben haben. Die Hamburger waren zum zweiten Mal in Folge in Europa ins Halbfinale eingezogen. Doch für den großen Wurf hatte etwas gefehlt. Dieser Kacar hatte gefehlt. „Der Wechsel zum HSV ist ein großer Schritt für mich“, sagte er, „es ist ein Neuanfang.“

Trainer Armin Veh wollte den Millionenmann, dessen Bezüge in Hamburg auf 1,6 Millionen Euro verdoppelt wurden, behutsam aufbauen. Ein Kurzeinsatz hier, ein Kurzeinsatz da. Dann der siebte Spieltag. Weil sich David Jarolim früh verletzte, musste Kacar schon nach 38 Minuten ran. Es stand 0:1. In der 70. Minute köpfte Kacar das 1:1, kurz vor Schluss leitete er den 2:1-Siegtreffer mit einem 60-Meter-Pass ein. Kacar war angekommen.

Doch was passierte zwischen diesem Oktobertag vor viereinhalb Jahren und dem Hier und Jetzt? „Wir hatten alle sechs Monate einen neuen Trainer, jedes Jahr einen neuen Manager. Und jeder wollte immer erst einmal auf seine eigenen Leute setzen“, sagt Kacar. Veh und Hoffmann gingen, Trainer Michael Oenning, Sportchef Frank Arnesen und Clubchef Carl Jarchow kamen. Oenning ging, Thorsten Fink kam. Der Neue setzte voll auf Kacar, bis er sich in Nürnberg den Knöchel brach. Kacar kämpfte, Kacar wurde operiert, und Kacar wurde vergessen.

Im Januar 2013 sollte das Kapitel Kacar beim HSV schließlich beendet werden. Hannover 96 machte ein Angebot, Kacar nahm an, ließ durch Onkel Milan nachverhandeln, dann lehnte Hannover ab. „Ich habe kein Verständnis dafür, dass Gojko ein so gutes Angebot ausgeschlagen hat“, sagte Ex-Clubchef Jarchow, der dem Kopfballspezialisten zu allem Überfluss ab Sommer eine zugesicherte Gehaltserhöhung zahlen musste. 1,8 Millionen Euro. Viel Geld für einen talentierten Fußballer.

Dann ging Arnesen, im Juli kam Oliver Kreuzer. Und die Zügel wurden angezogen. Kacar wurde informiert, dass er künftig zur U23 soll. „Ich habe eine E-Mail erhalten, dass ich bei den Amateuren mittrainieren muss. Ein Gespräch hat es nicht gegeben.“

Fink musste gehen, Bert van Marwijk kam. Kacar, der laut Kreuzer nie wieder bei den Profis mittrainieren sollte, durfte wieder bei den Profis mittrainieren. Eine echte Chance erhielt er aber auch bei van Marwijk nicht. Im Winter floh Kacar schließlich auf Leihbasis zum japanischen Erstligisten Cerezo Osaka. Er spielte gut, war Publikumsliebling, fühlte sich im fernen Japan aber nicht wohl. Als er wiederkam, war auch van Marwijk wieder weg.

Doch durch Neu-Trainer Mirko Slomka hatte Kacar erstmals seit langer Zeit wirklich wieder Hoffnung. Slomka hatte ihn schon zu Hannover lotsen wollen. Und wirklich: Der neue Coach setzte auf den einst Aussortierten. „Es lief endlich mal gut für mich“, erinnert sich Kacar, „Mirko hatte mir gesagt, dass er mich als Innenverteidiger sieht und gab mir meine Chancen. Ich glaube, ich habe sie genutzt – bis zu meiner Fußverletzung.“ Es war der letzte Test vor dem ersten Spieltag. Kacar war verletzt – und als er nach einem Monat wieder fit war, war Trainer Slomka schon wieder weg.

Joe Zinnbauer hieß der Nachfolger, und der hielt gar nichts von Slomkas Idee, Kacar in der Innenverteidigung spielen zu lassen. Im vergangenen Winter wollte Kacar also erneut weg, aber Neu-Sportchef Peter Knäbel ließ ihn nicht ziehen. Dann musste Zinnbauer gehen, Knäbel übernahm. Und Kacar spielte wieder nicht. Knäbel ging, Labbadia kam. Und Kacar spielte wieder nicht. „Ich habe in all der Zeit immer nur dann gespielt, wenn alle anderen verletzt oder gesperrt waren“, sagt Kacar, „und wenn die Verletzten und Gesperrten wieder zurück waren, dann musste ich wieder weichen.“

Nun sind erneut alle verletzt und gesperrt. Und wieder soll Kacar spielen, um wahrscheinlich im Spiel darauf wieder zu weichen. „Ich werde alles geben, das können Sie mir glauben.“

Und im Sommer? „So weit denke ich gar nicht“, sagt Kacar, „ich bin zwar traurig, dass ich gehen muss. Aber vielleicht ist es auch ganz gut so.“ Und dann sagt er einen Satz, den er vor viereinhalb Jahren schon einmal gesagt hat: „Es ist ein Neuanfang.“