Dortmund. Jürgen Klopp hört nach der Saison als Trainer in Dortmund auf. Er hat den BVB geprägt wie kein Zweiter. Doch seine Erfolge wurden zum Fluch

Der Mittwochmittag im Stadtteil Brackel war gewöhnlich. In dem Gewerbegebiet, in dem das Trainingszentrum von Borussia Dortmund liegt, genossen die Menschen in ihren Pausen die Sonne. Vor den Plätzen des Fußball-Bundesligisten blies der Wind in drei schwarz-gelbe Fahnen, die seit einigen Stunden auf halbmast hätten hängen müssen. Denn etwas später und nur ein paar Kilometer weiter an der Strobelallee, im Stadion der Borussia, verlieh Hans-Joachim Watzke den Gerüchten Nachrichtenwert, der bislang bei den Fans in einer Herzkammer des deutschen Fußballs nur in schlimmsten Befürchtungen vorkam.

Seit dem Morgen war im Umlauf, dass Jürgen Klopp den Vorstandschef der Borussia gebeten habe, seinen bis 2018 laufenden Vertrag nicht erfüllen zu müssen und nach den letzten sechs Ligapartien sowie dem Pokalspiel in München sein Amt als Trainer niederlegen zu dürfen. Mit einem Gesichtsausdruck, als habe er sich seit Sonnabend das 1:3 in Mönchengladbach in einer Endlosschleife ansehen müssen, bestätigte Geschäftsführer Watzke diesen Wunsch: „Der Weg, den wir sieben Jahre mit unglaublichem Erfolg gegangen sind, ist am Ende der Saison zu Ende.“ Ob die Zukunft in Dortmund Thomas Tuchel heißt, was viele BVB-Fans als Trostpflaster sehen mögen, wollte Watzke nicht kommentieren.

Er habe festgestellt, dass er die Frage, ob er noch der richtige Trainer für den BVB sei, nicht mehr hundertprozentig mit Ja beantworten könne, sagte Klopp: „Darum habe ich es als meine Pflicht empfunden, Michael Zorc und Aki Watzke darüber zu informieren.“

Seine Entscheidung habe weder etwas mit der sportlichen Situation zu tun noch mit einer Auszeit, die er nehmen wolle: „Es gibt auch kein Fremdverschulden, niemand hat dafür gesorgt, dass ich zurücktrete. Aber es wäre für den Verein schwerer geworden mit mir als ohne mich.“ Der Name Klopp sei in Dortmund so groß geworden, dass er notwendige Entwicklungen blockieren würde, sagte der Trainer. Kleine Schritte, die für die Weiterentwicklung der Mannschaft notwendig seien, wären mit ihm und der großen Vergangenheit nicht möglich. „Wenn ich hiergeblieben wäre, hätten viele Dinge geändert werden müssen. Nun können viele Dinge so bleiben, wie sie sind“, orakelte Klopp.

Watzke saß während dieser Worte neben Klopp, weiß wie eine Wand und sichtlich mitgenommen von der Entscheidung seines leitenden Angestellten. „Die Gespräche haben uns sehr angefasst“, sagte er mit stockender Stimme und Tränen in den Augen, „es ist sehr schwierig für uns, weil wir eine ganz besondere Beziehung haben, die von Vertrauen und Freundschaft geprägt ist.“ Anschließend fiel er dem Trainer um den Hals: „Du kannst dir sicher sein, dass dir der ewige Dank aller Borussen zuteil wird.“ Einen Nachfolger gebe es noch nicht, sagte Watzke.

Dortmund ohne Klopp – das ist schwer vorstellbar. Kaum ein anderer Trainer in der Bundesligageschichte hat einen Verein so geprägt wie „Kloppo“. Aus einem maroden, fast insolventen Club hat er einen zweimaligen Meister gemacht, einen Pokalsieger, einen Champions-League-Finalisten. Doch das sind nur die nackten Fakten. Klopp griff viel tiefer in die Genetik des BVB ein, als den Traditionsclub nur zurück auf die Erfolgsspur zu schicken.

Dieser urige Typ im Trainingsanzug mit dem ewigen Dreitagebart, den zunehmend gewagteren Brillenmodellen und der „Pöhler“-Kappe auf dem künstlich aufgefüllten Haupthaar gab dem erblassten Verein wieder ein sexy Gesicht, eines, das für den Arbeiterclub wie gemalt war: kernig, kantig und gnadenlos emotional. Wenn Klopp an der Seitenlinie tobte, jubelte und verzweifelte, dann entblößte er seine Seele. Man mag seine Art mögen oder nicht, aber authentischer als er war selten ein Trainer. „Echte Liebe“ heißt der Slogan des Clubs. Klopp gab den Worten Sinn.

Die sportliche Qualität brachte Klopp mit, als er 2008 aus Mainz nach Dortmund wechselte. Dort war er eine Ikone, hatte den Club geprägt als Spieler und Trainer. Und doch wurde ihm Mainz zu klein, die Möglichkeiten zu begrenzt. Klopp strebte nach Höherem. Und als Watzke und Zorc ihm eine Vision boten, griff er zu.

In den Hochzeiten Ende der 90er-Jahre, als der BVB die Champions League gewann, war so viel Geld verbrannt worden, dass der Club 2005 pleite war. Watzke und Präsident Reinhard Rauball schafften es zwar, die Insolvenz in letzter Sekunde zu verhindern. Aber der Verein war im Mittelmaß gestrandet. Es brauchte jemanden, der ihm wieder Leben einhauchte. In Klopp fanden sie ihn.

Der Trainer, der in Mainz drei rauschende Bundesligajahre gefeiert hatte, dann abgestiegen war und zum Schluss den Wiederaufstieg knapp verpasst hatte, baute in Dortmund eine Mannschaft auf, die binnen drei Jahren an die Spitze sprintete. Nach einem sechsten und einem fünften Platz wurde der BVB 2011 Meister, schaffte ein Jahr später die Titelverteidigung – und nach einem 5:2 gegen den FC Bayern sogar den Pokalsieg. Doch der Triumph war teuer erkauft: Klopp hatte den Branchenriesen bis aufs Blut gereizt. Bis die Münchner zurückschlugen.

Nach dem Champions-League-Finale 2013, das die Dortmunder gegen die Bayern verloren, wechselte Mario Götze zum Rekordmeister, 2014 folgte ihm Robert Lewandowski. Zwar versuchten die auch finanziell wiedererstarkten Borussen, dem Aderlass entgegenzuwirken. Doch das klappte nicht: In der laufenden Saison stürzte die Klopp-Elf ab auf den letzten Tabellenplatz. Zwar konnte die Abstiegsgefahr gebannt werden. Doch die Europapokalplätze sind in weiter Ferne.

Welche Auswirkungen die Horrorsaison auf Klopps Psyche gehabt hat, weiß er allein. Am Wochenende zoffte er sich auf dem Spielfeld mit Sebastian Kehl, dem Oldie und Wortführer in der Mannschaft. Die einst so untrennbare Einheit zwischen Trainer und Team war erschüttert. „Ich bin nicht müde“, sagte Klopp am Mittwoch, und er habe auch nichts in der Hinterhand: keinen neuen Verein, keinen Plan für die Zeit nach dem 30. Juni, an dem sein Vertrag nun endet.

„Mir fällt auch keine Last von den Schultern. Ich bin mir aber sicher, dass diese Entscheidung richtig ist.“