Hamburg. Wie es die Eishockeyprofis der Hamburg Freezers schaffen, sich trotz aller Rückschläge auf den ersten Meistertitel ihrer Clubgeschichte zu fokussieren

Björn Jensen

Es war übersichtlich auf dem Eis der O2 World. Neun Spieler der Hamburg Freezers und Trainer Serge Aubin absolvierten am Montag ein freiwilliges Training, bei dem vor allem Spaß auf der Tagesordnung stand. Auf der Ersatzbank saßen Kevin Schmidt, Garrett Festerling und Matt Pettinger und zeigten ihr Talent als Sportkommentatoren. Nahezu jede Aktion wurde analysiert und kritisch bewertet. Für den Lacher des Tages sorgte aber Coach Aubin, als Ralf Rinke mit einer leicht blutenden Nase vom Eis ging: „Wir senden das Video zur Liga. Die wird es dann bewerten“, sagte der 40-Jährige, der mit seinem Team an diesem Dienstag (19.30 Uhr, ServusTV live) zum vierten Play-off-Viertelfinalduell bei der Düsseldorfer EG antritt.

Aubin, der am 25. September des vergangenen Jahres den Cheftrainerposten von Benoît Laporte übernommen hatte, ist der Mittelpunkt im Erfolgspuzzle der Freezers. Der 40 Jahre alte Frankokanadier darf sich in erster Linie als Verdienst anrechnen, die Mannschaft geeint und ihr ein System verordnet zu haben, das zu ihrem Entwicklungsstand passt. Laporte, der stets mehr Peitsche als Zuckerbrot einsetzte, war nach seiner Amtsübernahme im Dezember 2010 der Antreiber, den die Spieler brauchten, um mit der richtigen Einstellung ihrem Beruf nachzugehen. Er baute, gemeinsam mit Sportdirektor Stéphane Richer, ein Team auf, das aus jungen, hungrigen deutschen Profis und erfahrenen, aber nicht satten Importspielern bestand.

Doch das laportesche System des Dauerdrucks stößt irgendwann an Grenzen. Körperliche, weil das laufintensive Forechecking mit zwei attackierenden Stürmern vor allem mit einer dünnen Personaldecke kaum dauerhaft durchzuhalten ist. Mentale, weil kein Spieler Lust hat, sich über viele Jahre den Launen eines Trainers auszusetzen, wenn der Erfolg ausbleibt, was zu Beginn dieser Saison mit vier Pleiten in Serie der Fall war. Laporte und seine Führungsspieler hatten sich auseinandergelebt. Und Aubin, der nach seinem von einer schweren Daumenverletzung erzwungenen Karriereende im Januar 2013 als Co-Trainer in Hamburg geblieben war, war genau der Coach, den das Team nun brauchte.

Das sieht auch Heiko Hansen so. Der 49-Jährige, der mit seinem Unternehmen Talenthaus den Charaktertest ViQ Sport entwickelt hat und als Mentalcoach in verschiedenen Sportarten tätig ist, verfolgt den Weg der Freezers seit vielen Jahren. „Als Aubin Trainer wurde, habe ich gesagt, dass das der Mann ist, der die Freezers irgendwann zum Titel führen kann“, sagt er. „Er war schon als Spieler eine sehr positive Erscheinung. Als Trainer schafft er es, dass das Team an seine Stärke glaubt, die Ziele beharrlich verfolgt und trotzdem nicht zu verkrampft wirkt.“

Untrügliches Zeichen für letztere Behauptung sei der Fakt, dass die meisten der bislang 23 schweren Verletzungen in dieser Saison nicht auf falsches Training, sondern auf Pech zurückzuführen seien. „Wer zu bewusst etwas unbedingt will, neigt zum Verkrampfen. Daraus entstehen Muskelverletzungen. Aber die gibt es bei den Freezers kaum in dieser Saison“, sagt Hansen. Vielmehr wirke die Mannschaft wie eine verschworene Einheit, in der sich jeder auf den anderen verlassen könne. Genau das bestätigt auch Mittelstürmer Garrett Festerling. „Auch wenn es kitschig klingt: Wir sind wie Brüder. Wenn man sieht, dass ein Bruder ausfällt, springt man in die Bresche. Jeder Spieler fühlt sich wichtig, egal ob er 35 oder zwei Minuten Eiszeit bekommt. Wir sind eine Truppe mit viel Stolz“, sagt der 29-Jährige, der seit 2010 für die Freezers spielt und davon spricht, dass die Verantwortlichen in den vergangenen Jahren ein „Gewinner-Umfeld“ geschaffen hätten. „Wir spielen für das Wappen auf der Brust, nicht für den Namen auf dem Rücken. Die Jungs geben niemals auf. Hier lebt jeder den Teamgedanken vor. Von Geschäftsführer Uwe Frommhold bis zu den Betreuern“, sagt Aubin.

Auch Führungsspieler wie Kapitän Christoph Schubert oder Nationalstürmer Thomas Oppenheimer seien, so sagt Mentalcoach Hansen, wichtige Eckpfeiler, „weil auch sie vorleben, dass sie sich einerseits nichts gefallen lassen, aber andererseits auch nicht durchdrehen, wenn wieder Rückschläge kommen. Das ist ganz wichtig für den Zusammenhalt des Teams.“

Ein weiterer Punkt ist die gewachsene Souveränitat der Mannschaft im Umgang mit äußeren Einflüssen wie Schiedsrichterleistung oder Provokationen der Gegner. Beispielhaft dafür ist, neben der in den vergangenen Spielzeiten gesammelten Play-off-Erfahrung, der Fakt, dass der wichtigste Stürmer bislang ebenfalls sein Temperament im Zaum hält. In der vergangenen Saison war der nach Nordamerika gewechselte Nationalstürmer David Wolf im Viertelfinale gegen Iserlohn so sehr gereizt worden, dass ihm in Spiel vier der Halbfinalserie gegen Ingolstadt alle Sicherungen durchbrannten. Für einen Faustschlag gegen Benedikt Schopper wurde Wolf für sieben Spiele gesperrt. Die Freezers verloren die Serie klar. In diesem Jahr ist Wolfs Nachfolger Kevin Clark der Gejagte, Düsseldorfs Abwehr versucht ihn mit verbalen und körperlichen Attacken zum Ausraster zu treiben. Bislang hält Clark vor allem mit Worten dagegen, bleibt ansonsten cool. „Ich helfe dem Team auf dem Eis mehr als auf der Strafbank. Also muss ich Ruhe bewahren“, sagt er.

Dass sich die Hamburger am Sonntag beim 3:2-Sieg im dritten Spiel mit zwei unnötigen Spieldauerstrafen selbst dezimierten, durfte im Fall von Mathieu Roy (Freispruch) mit Pech und bei Nico Krämmer, der für zwei Spiele gesperrt wurde, eher mit Müdigkeit erklärt werden als mit fehlender Disziplin. Letztere ist der Schlüssel zum Weiterkommen, darauf hat Aubin immer wieder hingewiesen. Bislang halten sich seine Spieler daran.

Vor einigen Wochen, als die Verletztenmisere ihren Höhepunkt erreicht hatte, sagte Aubin einen wichtigen Satz: „Wenn es stimmt, dass sich in einer Saison Positives und Negatives ausgleichen, dann könnte es eine lange Saison für uns werden.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.