Die Hamburgerin ist seit zehn Jahren Profiboxerin. Ihre Zukunft im Ring steht infrage. Doch Susi Kentikian will zurück ins Rampenlicht.

Hamburg. Man möchte nicht der Milchkaffee sein, der vor ihr auf dem Tisch steht. Immer wieder sticht Susi Kentikian mit einem Teelöffel in das trübe Getränk, sie muss ihren Worten Nachdruck verleihen und ihre Energie kanalisieren. „Alle, die denken, dass ich am Ende bin, werden sich wundern“, sagt sie, „wer an mich glaubt und mich fördert, der wird belohnt werden. Denen, die dich unten sehen wollen, zeige, dass du fliegen kannst!“ Sie hat sich mächtig in Rage geredet, es sind Momente wie diese, in denen die Kraft spürbar ist, die die 27-Jährige zur Profiboxweltmeisterin gemacht hat.

Wann und wo sie diese Kraft wieder im Ring wird wirken lassen können, das ist unklar – und der Grund für das lange Gespräch in einem Café in Wandsbek. Denn zehn Jahre, nachdem die gebürtige Armenierin beim Hamburger Universum-Stall in ihre Profikarriere startete, steht die „Killer Queen“ am Scheideweg. Seit ihrer letzten Titelverteidigung am 8. November vergangenen Jahres in Stuttgart gegen die Japanerin Naoko Fujioka ist ihr Vertrag mit der Kölner Sturm-Boxpromotion des früheren Mittelgewichtschampions Felix Sturm ausgelaufen. Die einseitige Option wird Sturm, das steht seit Freitag fest, nicht ziehen. Das bedeutet, dass Kentikian wieder frei ist. Ob das eine gute Nachricht ist, muss sich zeigen.

Das Profiboxen ist in Deutschland grundsätzlich auf dem absteigenden Ast, doch die faustkämpfenden Frauen hat es besonders heftig getroffen. Susi Kentikian war in ihrer besten Zeit, nachdem sie im Februar 2007 den WBA-WM-Titel zu Universum geholt hatte, Hauptkämpferin erst bei Pro7 und später im ZDF. Sie wurde von ihrem Promoter Dietmar Poszwa und ihrem damaligen Berater Christoph Wesche perfekt in Szene gesetzt und protegiert, sie verdiente sechsstellige Kampfbörsen und war in Hamburg ein Star. Als sie 2008 im Rathaus die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt, galt sie als Vorzeigemodell einer jungen Frau mit Migrationshintergrund, die es kraft ihrer eigenen Arbeitsmoral an die Spitze der Gesellschaft gebracht hatte.

Doch dann stieg im Sommer 2010 das ZDF als exklusiver TV-Partner Universums aus – und Kentikian aus der Liga der Stars ab. Sie wechselte zunächst zum Magdeburger SES-Stall, verlor 2012 zwei Kämpfe hintereinander – bis heute ihre einzigen beiden Niederlagen –, wechselte zu Sturm nach Köln, aber konnte an die Glanzzeit nie mehr anknüpfen. Zuletzt wurden ihre Kämpfe nicht einmal mehr live bei Sturms TV-Partner Sat.1 gezeigt. „Es ist schade, dass ich von der Bildfläche verschwunden bin“, sagt sie.

Die Ursachen dafür sind vielschichtig, und ganz schuldlos ist das 152 Zentimeter kleine Kraftwerk nicht daran. Dass sie ihre Gegnerinnen nicht mehr spektakulär überrennt, liegt am gestiegenen Niveau, auf dem sie sich als Dauerweltmeisterin bewegen muss. Sie ist die Gejagte, bekommt nichts geschenkt. Aber irgendwann hatte sie auch genug von ihrem Image, ein Haudrauf zu sein. Sie wollte die „Killer Queen“, zu der man sie auch durch die handverlesene Auswahl ihrer Gegnerinnen gemacht hatte, hinter sich lassen, wollte ihre Schönheit nicht durch unkontrollierte Schlägereien im Ring gefährden und gefiel sich zunehmend in der Rolle der Lady. Eine Königin ohne den tödlichen Zusatz wollte sie sein. „Aber der Imagewechsel, den sie selber wollte, war schwierig und hat nicht so richtig funktioniert. Die ‚Killer Queen’ war ja ein stimmiges und erfolgreiches Bild“, sagt der frühere Manager Poszwa.

Natürlich schmerzt es Unterhaltungskünstler, nichts anderes sind Leistungssportler im Allgemeinen und Profiboxer im Besonderen, wenn das Rampenlicht erlischt und sie im Bemühen, wieder auf die große Bühne zu gelangen, neue Geschichten finden müssen. Die von Kentikian hat ja lange funktioniert. Das Flüchtlingskind, das einst auf einem Asylschiff in Hamburg von der Abschiebung bedroht war, sich mit Putzjobs über Wasser hielt, die Sprache lernte, zur Schule ging – und schließlich im Boxen Erfüllung und Auskommen fand. Die Geschichte von der Kämpferin, die sich durchboxt, erschien 2010 sogar als Biografie. Spätestens damals war sie auserzählt, und viele fragten sich: Was kann jetzt noch kommen?

Diese Frage stellt sich Susi Kentikian im Februar 2015 auch, aber sie wirkt dabei nicht resigniert. Man mag es als Durchhalteparole betrachten, wenn sie sagt: „Ich bin überzeugt davon, dass meine beste Zeit noch kommt!“ Viel interessanter ist ihre Antwort auf die Frage, was wäre, wenn sie mit dieser Annahme falsch läge. „Dann“, sagt sie, schüttelt ihre schwarzen Locken und sieht einfach nur glücklich aus, „hätte ich trotzdem ein tolles Leben. Ich vergesse niemals, was ich alles durchgemacht habe. Wenn ich darauf zurückschaue, dann kann ich doch nur sagen, dass mein Leben ein Wunder ist. Ich habe so viel erlebt und erreicht!“

Es ist ein Vorteil, dass Susi Kentikian gelernt hat zu vergessen, nicht nur zu verdrängen. Es gibt viele, die sie für naiv halten, und wahrscheinlich ist sie das auch. Aber trotz all ihrer Erlebnisse in den ersten, harten Flüchtlingsjahren in Deutschland hat sie niemals aufgehört, an das Gute im Menschen zu glauben. Dass sie dadurch bisweilen den Falschen vertraut hat und enttäuscht wurde, hat sie in die tiefe Schublade ihrer Lebenserfahrungen abgelegt, wo Blicke und Gedanken nicht hinreichen.

Sie würde lügen, wenn sie behauptete, dass Zukunftssorgen ihr fremd seien. „Natürlich habe ich in den vergangenen Monaten Momente gehabt, in denen ich mich gefragt habe, was aus mir werden soll, wie es weitergeht. Aber das sind meist nur Sekunden, dann schüttele ich das ab und denke positiv“, sagt sie. Ihre Kampfbörsen, die auch bei Sturm noch im hohen fünfstelligen Bereich lagen, hat sie nicht komplett verprasst, auch wenn sie gern gibt und teilt, vor allem mit der Familie, die wie sie im Hamburger Osten lebt, und Freunden. Sie hat sich Wohnungen gekauft, „ich bin vielleicht naiv, aber nicht dumm“.

Beweis für Letzteres ist, dass sie den Avancen der Geier standgehalten hat, die sich auf die stürzen, die von der großen Bühne geschubst wurden. Angebote vom „Dschungelcamp“ oder „Big Brother“ hat sie abgelehnt. Auch für den „Playboy“ will sie sich niemals ausziehen, nur um an Geld zu kommen.

Und trotzdem wünscht sie sich manchmal Hilfe, einen Berater, der ihr am Scheideweg, an dem sie derzeit steht, die richtige Richtung weist. Natürlich hat sie oft darüber nachgedacht, was werden soll, wenn es im Sport nicht weitergeht. Talente hat sie einige. Sie könnte Musik machen, fünf Demostücke hat sie bereits aufgenommen, Kontakt mit Produzenten ist vorhanden. Sie würde gern Boxkurse geben und Vorträge über Motivation halten und darüber, wie man sich durchkämpft. Auch Integrationspolitik interessiert sie. Aber letztlich hat sie all das nie beharrlich verfolgt; einerseits, weil sie noch immer an ihren Sport glaubt, andererseits, „weil ich auch ein bisschen faul bin“.

Sie ist keine Netzwerkerin wie ihre frühere Stallkollegin Ina Menzer, die seit ihrem Karriereende im August 2013 eine Vielzahl gesellschaftlicher Events besucht, um im Gespräch zu bleiben. Sie ist auch keine Lichtgestalt wie Regina Halmich, die Pionierin des Frauenboxens, die zu Universum-Zeiten ihr Idol war, 2007 den Sprung in das Leben nach dem Sport perfekt abgefedert hat und als Moderatorin, Fitnesstrainerin und Motivationsrednerin im Prinzip genau das macht, was Kentikian später auch gern täte.

Spätestens mit 30, auch das eine Parallele zu Halmich, soll Schluss sein mit dem Boxen. Susi Kentikian möchte dann gern eine Familie gründen, den passenden Partner hat sie indes noch nicht gefunden, und in den kommenden drei Jahren soll ja das Boxen Priorität haben. Sie wäre gern bei Sturm geblieben, „ich habe mich dort heimisch gefühlt“, aber die Perspektive müsse stimmen. Nun könnten der Berliner Sauerland-Stall und das Unternehmen des in den USA erfolgreichen, früheren Universum-Profis Gennady Golovkin gute Alternativen sein.

„Ich habe noch so viel Power in mir. Ich will einfach nur boxen“, sagt sie zum Abschluss des Gesprächs. Manchmal sind es die einfachen Wünsche, die am schwersten zu erfüllen sind.