Denise Herrmann startet heute als aussichtsreichste Deutsche in den Sprint bei den nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Falun

Falun. Auf den Tag genau vor einem Jahr flossen bei Denise Herrmann Tränen der Enttäuschung. Es war der 19. Februar 2014, bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi kämpften die Skilangläuferinnen im Team-Sprint um die Medaillen: Herrmann lag eingangs der Zielgeraden auf Medaillenkurs, doch am Ende blieb ihr mit Teamkollegin Stefanie Böhler nur Platz vier. Zuvor war sie bereits im Einzel-Sprint als Mitfavoritin gestartet und unglücklich im Halbfinale gescheitert. Am Ende jubelte sie zwar über Staffel-Bronze, doch auch da wäre mehr drin gewesen. Ein Jahr nach den Tränen von Sotschi will die Zweite des Sprintweltcups der vergangenen Saison neu angreifen: Bei den nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Falun geht die 26-Jährige als aussichtsreichste Deutsche in die erste Entscheidung am Donnerstag, den Sprint in der klassischen Technik.

Hamburger Abendblatt:

Frau Herrmann, kommt in Falun die Revanche für Sotschi?

Denise Herrmann:

Das hoffe ich sehr. Ich will mich auf jeden Fall nicht wieder in jedem Rennen auf der Zielgeraden abziehen lassen und hoffe, dass ich besser Paroli bieten kann. Man weiß natürlich nie, wie die Tagesform und das Material sind, aber ich werde alles geben. Sotschi war im Großen und Ganzen gut, aber ich versuche, jetzt das i-Tüpfelchen herauszuholen.

Sie meinen eine Medaille?

Herrmann:

Das ist in den Teamwettbewerben unser großes Ziel. Im vergangenen Jahr haben wir es ja in der Staffel geschafft und Olympia-Bronze geholt, im Teamsprint hat es um Haaresbreite nicht gereicht. Das muss uns aber selbstbewusst stimmen und zeigen, dass wir es drauf haben. Es fehlt nicht viel, wir sind nah dran. Wenn alles gut geht, sind wir vorne dabei und können ein Wort mitreden. Ich bin optimistisch, im Einzel-Sprint es aber immer so eine Sache.

Hätten Sie sich nicht etwas anderes als gerade den Sprint aussuchen können? Etwas, das nicht so dramatisch und unvorhersehbar ist?

Herrmann:

Das denke ich mir in der Tat manchmal direkt am Sprinttag: „Warum mache ich das eigentlich?“ (lacht) Aber am Tag danach denke ich: „Eigentlich ist Sprint schon cool.“ Es ist verdammt spannend. All das, was unvorhergesehen passieren kann, treibt den Adrenalinspiegel nach oben. Das macht es aus. Mich reizen die Geschwindigkeiten am Sprint und dass es dabei technisch immer noch gut aussieht. Im Kampf Frau gegen Frau kann einfach sehr viel passieren. Du kannst stürzen, kannst von Stürzen anderer profitieren und mal durch eine Lücke rutschen. Es ist Wahnsinn, wie man an die Grenze geht und sich dennoch einigermaßen auf den Beinen halten muss.

Im Sprint kommt es auf Schnelligkeit, Stehvermögen, Taktik und Ellenbogen-Mentalität an. Wie ausgeprägt ist Letzteres bei Ihnen?

Herrmann:

Es gibt in jedem Fall Konkurrentinnen, die etwas aggressiver an die Rennen herangehen als ich. In Sachen Ellenbogen-Mentalität kann ich noch was lernen. Aber das ist auch ein heikles Thema, weil man sich an der Grenze dessen bewegt, was erlaubt ist. Ich will mir ja auch keine gelbe Karte einhandeln und keinen anderen zu Fall bringen. Ich will fair bleiben, muss mich aber auch durchsetzen. Das ist ein Drahtseilakt. Da kann man sich immer etwas abschauen – auch von den Männern. Einige beherrschen es in Perfektion. Josef Wenzl zum Beispiel, der kassiert schon mal eine gelbe Karte, aber manche seiner Überholvorgänge sind schon genial.

Sollte man als Sprinter also ein Draufgänger sein?

Herrmann:

Ja, in jedem Fall. Du musst ein Draufgänger-Typ sein. Das kann man in gewisser Weise erlernen, aber es muss dir auch in die Wiege gelegt sein. Wenn du ängstlich bist, wirst du immer zurückziehen, und das ist im Sprint ein Nachteil.

Zurück zu Sotschi. Ihre Tränen sind vielen Fernsehzuschauern in Erinnerung geblieben. Was aber haben Sie Positives mitgenommen?

Herrmann:

Das Bronze mit der Staffel – damit ist ein riesiger Traum in Erfüllung gegangen. Wir waren ja sogar sehr nah an Gold dran. Das ist schon Wahnsinn. Aber klar, die Ergebnisse vorher im Sprint und Teamsprint hatten mich schon genervt, denn bei den Wettkämpfen vor Sotschi war die Zielgerade meine große Stärke gewesen. Dass es gerade bei den Olympischen Spielen nicht klappt, war ärgerlich.

War die Favoritenrolle zu viel für Sie?

Herrmann:

Ich habe versucht, dennoch entspannt zu bleiben und mir den Druck nicht aufbürden zu lassen. Aber wenn ich dann meine Reaktion im Nachhinein gesehen habe, diese riesige Enttäuschung... Es war schon verblüffend, wie sehr ich mich selbst in diesen ganzen Strudel und die Erwartungshaltung an Medaillen hineinziehen ließ. Ich wusste ja, dass es klappen kann. Im Sprint kann andererseits aber auch viel passieren. Ich war wirklich ziemlich fertig nach dem Einzel- und Teamsprint.

Alles andere wäre doch auch seltsam gewesen. Sie sind Spitzensportler, Sie wollen eine Medaille – und Olympia ist das Höchste.

Herrmann:

Das stimmt natürlich. Im Nachhinein muss ich sagen, habe ich enorm viele Erfahrungswerte mitgenommen. Gerade eine Staffel bei Olympischen Spielen zu laufen, ist alles andere als gewöhnlich. Das habe ich geschafft, das kann mir keiner nehmen, und das macht mich nächstes Mal ein bisschen cooler. Ich hoffe, ich kann damit jetzt besser umgehen.