Der neue Hamburger Basketballclub ist in der Stadt angekommen, die Inselparkhalle in Wilhelmsburg fast immer ausverkauft. Szenen einer außergewöhnlichen Entwicklung

Hamburg. Der neue Basketball-Zweitligist Hamburg Towers ist womöglich der sympathischste Retortenclub der deutschen Sportlandschaft. Das liegt zum einen am Auftreten und der Philosophie der beiden Aufbauhelfer: Geschäftsführer Pascal Roller, 38, nach dem der Award für den beliebtesten Spieler der Basketball-Bundesliga benannt ist, und Sportdirektor Marvin Willoughby, 37, Wilhelmsburger Jung, der seine Wurzeln nie vergessen hat.

Zum anderen spielen die mit einer Wildcard in der Pro A gestarteten „Türme“ trotz sportlicher Rückschläge eine begeisternde Premierensaison. Am Sonntag (18 Uhr) beim Tabellenvorletzten Ehingen und eine Woche später (17 Uhr, Inselparkhalle) gegen Schlusslicht Cuxhaven wollen sie ihren Platz unter den besten acht Teams der Liga festigen, der zur Teilnahme an den Play-offs berechtigt, die im April starten. Mit derzeit 11:9-Siegen sind die Towers Siebter.

Die Fans jedenfalls rennen ihnen die neue Inselparkhalle ein. Jan Pommer, Geschäftsführer der Basketball-Bundesliga, machte bei einer Stippvisite im Dezember die Ansage, „dass wir die Towers so bald wie möglich bei uns haben wollen. So ein Spiel Bayern München gegen die Hamburg Towers hätte für die Liga enorme mediale Strahlkraft.“ Das Abendblatt hat sich in Wilhelmsburg auf die Suche nach den Hotspots dieser Basketballer mit dem Slogan „More than Basketball“ begeben.

„Mr. Kebab“: Auf halber Strecke zwischen S-Bahnhof Wilhelmsburg und Inselparkhalle gelegen, ist dieser szenige Dönerladen der Fixpunkt des Towers-Universums. „Im Schnitt sind wir eineinhalbmal pro Tag hier. Ich habe die ganze Karte schon durchprobiert“, erzählt Center Michael „Mike“ Wenzl, der zehn Minuten zu Fuß vom Inselpark entfernt wohnt. Eine Spezialität von Küchenchef Cevo, Schwager des HSV-Vorstandsbosses Dietmar Beiersdorfer, ist Veggie-Dürüm mit Zucchini-Puffer. Im Angebot auch als vegane Variante. Der kontaktfreudige Kochmuffel André Murillo hänge bis zu dreimal täglich in der Kantine der „Türme“ ab, spötteln der Amerikaner Robert Ferguson und der Kanadier Terry Thomas. Derweil unterhält der Deutschamerikaner Murillo, 24, am Nebentisch eine Mädelsgruppe. Zu den Heimspielen fallen Hunderte Fans ein, nach Partieende mischen sich auch die Spieler unters Partyvolk. Kürzlich war alles ausverkauft, oder wie eine Thekenfrau meint: „Wir hatten kein Salatblatt mehr, sie hatten uns alles vom Kopf gefressen.“

Der Wilhelmsburg-Experte: Eigentlich ist Towers-Sportchef Marvin Willoughby der „Mr. Wilhelmsburg“. Der Kumpel von NBA-Superstar Dirk Nowitzki, 36, ist dort geboren und bekannt wie ein bunter Hund. Weil er nach der Geburt seines zweiten Sohnes Neil derzeit in Elternzeit ist, muss Team-Youngster Janis Stielow als Wilhelmsburg-Stadtführer herhalten. Der 19 Jahre alte U20-Nationalspieler aus dem Nachwuchsteam der Towers, den Piraten, wohnt seit fünf Jahren mit seinen Eltern hier, inzwischen mitten auf dem Gelände des ehemaligen Bundesgartenschau-Geländes unmittelbar zwischen „Mr. Kebab“ und der Basketball-Arena, in einem der futuristischen Holzdreiviertelhäuser. Eine Minute braucht er zum Training. „Wilhelmsburg hat sich, seit ich hier wohne, extrem gewandelt. Allein hier der ganze Bereich war nur Matsch“, sagt Stielow. „Was den Charme von Wilhelmsburg ausmacht, ist, dass man überall Wasser hat. Ich finde es ziemlich cool, in Richtung Bunthäuser Spitze am Strand zu grillen“, sagt der Abiturient. „Im Sommer gibt es durchgängig Festivals, man kann hier viel machen. Ich bin leider nicht so oft in Alt-Wilhelmsburg, aber da gefallen mir die kleinen türkischen Bäckereien.“

Die Inselparkhalle: Die zur Basketball-Arena umgebaute Blumenhalle gehört zu den Schmuckkästchen der Liga. Die Towers sind so angesagt, dass auch Promis wie Moderator Johannes B. Kerner, Boxerin Susi Kentikian und die früheren Fußballnationalspieler Dennis Aogo und Patrick Owomoyela oft in der ersten Reihe hocken. Kult ist der Wischer Paul, 11, der bei jedem Feudeleinsatz gefeiert wird. Die 3001 Plätze sind fast immer ausverkauft, die Towers haben den drittbesten Zuschauerschnitt der Pro A. Der Fanclub trägt den Namen „Hamburg Towers Supporters Club“, die gelenkigen Cheerleader heißen „Hamburg Towers Dance Team“ und haben längst eine eigene Facebook-Seite. Hallensprecher „DJ Denito“ ist eine fleischgewordene Stimmungskanone und vergisst manchmal das Mikro auszumachen, wenn er mit einem „O Scheiiiße“ allzu sehr mitfiebert.

Der kultigste Fan: Raimund Samson ist Pädagoge, ehemaliger Puppenspieler, freier Künstler und Filmemacher. Jetzt hat der 62-Jährige, der seit 1986 in Wilhelmburg wohnt, seine Liebe zu den Towers entdeckt. „Ich war früher kein Basketballfan, aber ich erlebe das ja jetzt aus der Nähe. Und die Towers kämpfen einfach ganz toll, da stimmt die Mannschaftsmoral.“

Mit seinem Reiherstieg TV fasst er mit den Mitstreitern Colin, 31, und Thomas, 51, die Heimpartien zusammen und stellt sie auf YouTube. Mal tritt Samson selbst als Experte auf, mal analysiert der im Elektro-Rollstuhl sitzende Colin die Duelle. Thomas ist der Kameramann und Technikfreak im Bunde. Samson selbst hat seine Wohnung, die zugleich den Wilhelmsburger Kunstbüro e.V. beheimatet, im Reiherstieg, in der nördlichsten Gegend des Stadtteils, wo die Alteingesessenen in den Altbauhäusern leben. „Die Inselparkhalle steht im gentrifizierten Vorzeige-Wilhelmsburg, und ich weiß nicht, wie viele Wilhelmsburger tatsächlich unter den Zuschauern sind. Ich mag aber die tolle Stimmung“, meint Samson. Er freue sich auch über das soziale Engagement der „Türme“. „Gerade unsere Rollis Colin und Tanja fühlen sich empfangen.“

Die Wilhelmsburg-Laien: Außer Janis Stielow und André Murillo wohnen auch Kapitän Will Barnes, Center Michael Wenzl, „Air Canada“ Terry Thomas und Robert Ferguson in Wilhelmsburg. Aber nicht jeder kann schon viel mit dem Stadtteil anfangen. „Ich bin zum Basketballspielen hier“, sagt Wenzl, 23, ein gebürtiger Ulmer. Erst zweimal sei er bisher abends in Hamburg gewesen, „irgendwo an der Alster und in der Schanze“. Oft treffe man sich auch in der Wohnung irgendeines Teamkollegen – „und dann spielen wir Playstation, das ist so der Klassiker in Basketballteams.“ Thomas und Ferguson kennen das Wilhelmsburg der 80er-Jahre auch nur vom Hörensagen. „Wir haben Storys gehört, dass das hier mal ein Getto gewesen sein soll“, sagt Ferguson und lacht müde. „Ich finde die Gegend total ruhig und familiär – sehr gechillt“, sagt der dauerrelaxte Thomas, 23. Und dann zeigt er auf seinem iPhone stolz ein Foto seiner Tochter Olivia, 2, die weiter in Kanada wohnt, ihn bald aber mit ihrer Mutter besuchen kommt.

Der Stamm-„Penny“: „Unser Tagesablauf ist während der Saison ziemlich eintönig“, erzählt Wenzl. Ihm fällt als weiterer Hotspot, wo sich die Spieler in Wilhelmsburg begegnen, der Penny-Supermarkt in S-Bahnhof-Nähe ein. „Da laufen wir uns alle nach dem Training über den Weg.“ Verena Ferguson, „Rob“ Fergusons Frau, schiebt gerade den Kinderwagen mit Baby Aaliyah, vier Monate, durch den Laden, kauft Hähnchenbrust und erzählt: „Wir haben hier schon Bazou (Koné), Mike und Terry getroffen.“ Die Mitarbeiter an der Kasse und an den Regalen reagieren unaufgeregt auf ihre großen Nachbarn. „Nee, mir ist noch kein Basketballer aufgefallen. Die sollten mal ihren Dress tragen, dann würde ich sie erkennen“, sagt Mitarbeiterin Frau Grabau.

Die Spielerfrau: Verena Ferguson schlägt als Treffpunkt den „Nur Hier“-Bäcker im Luna-Center vor, dem Einkaufszentrum direkt am S-Bahnhof. „Ich kenne mich in Wilhelmsburg noch nicht so gut aus.“ Die 23-Jährige ist eher im restlichen Hamburg, am Jungfernstieg, mit ihrer neuen besten Freundin Evin Attarbashi, 31, unterwegs. Neben der Frau von Towers-Coach Hamed Attarbashi sitzt Verena Ferguson auch während der Heimspiele. Tochter Aaliyah bekommt dann klitzekleine Kopfhörer gegen den Lärm aufgesetzt. Ferguson führt ein aufregendes, unstetes Leben an der Seite eines Profibasketballers. Sie stammt aus Gundelsheim bei Bamberg, lernte ihren in Florida geborenen Mann auf einer Silvesterparty zum Jahreswechsel 2010/11 kennen, als er noch in Crailsheim spielte.

Seither stand er jeweils eine halbe Saison in Uruguay und Island unter Vertrag, anschließend ging er in Vechta auf Korbjagd. „Das Leben ist etwas unsicher, aber man lernt auch tolle, neue Städte kennen“, sagt die Bankkaufrau im Mutterschutz, die selbst Zweitliga-Basketballerin in Bamberg war. Bis zu dieser Saison führten die Oberfränkin und ihr „Rob“ eine Fernbeziehung, nach der Geburt der Tochter zog sie mit nach Hamburg. Sie fühlt sich in Wilhelmsburg wohl, wundert sich nur etwas, dass sie schon zu hören bekam: „Wilhelmsburg gehört nicht zu Hamburg.“

Außerhalb Wilhelmsburgs: Die Towers-Profis wohnen über ganz Hamburg verstreut. Abwehrkante Daniel Hain, 29, lebt auf St. Pauli, Toptalent Bazou Koné, 21, bei seiner Mutter Mariam in Alsterdorf. Ein weiterer Towers-Hotspot ist das Fitness First in der Europa-Passage am Ballindamm. Dort absolvieren die „Türme“ fast täglich ihre Krafteinheiten. „Wenn wir uns da als Gruppe bewegen und alle ziemlich groß sind, werden wir auch erkannt. Wenn wir allein herumgehen, eher nicht, weil wir noch nicht so die HSV-Superstars sind“, sagt Janis Stielow. „Wir hängen auch viel im ‚Kickz‘ ab“, erzählt Terry Thomas. „Kickz“ ist der Basketballladen fußläufig vom Jungfernstieg. Thomas und Ferguson berichten begeistert von einer Fahrt in einem roten Touristenbus, die sie zur Eingewöhnung am Saisonbeginn mit dem Team gemacht hätten. „Ey man“, sagen sie, „we love Hamburg – and we love Wihelmburg.“