Deutsche Handballmänner starten mit 29:26-Erfolg gegen Polen in die WM in Katar. Am Sonntag wartet Russland

Doha. Es gab viele Gesten in der riesigen Halle inmitten der katarischen Wüste, aus denen Entschlossenheit und Leidenschaft sprachen. Der Schrei des Jens Schöngarth, als der Lübbecker einen Ball gestohlen hatte. Die geballten Fäuste des Gummersbacher Torwarts Carsten Lichtlein, als er die Bälle parierte, die er halten musste. Die gereckte Faust des Steffen Weinhold (THW Kiel), der es auf neun Treffer brachte. „Das war ein Spiel mit vielen kleinen Helden“, sagte Bundestrainer Dagur Sigurdsson, als der 29:26 (17:13)-Sieg gegen Polen unter Dach und Fach war, und der Start in die 24. Handball-Weltmeisterschaft in Doha (Katar) geglückt. Sigurdsson, ein „Mr. Cool“ des Handballs, lächelte selig.

„Damit hat sich die Mannschaft für das verlorene WM-Play-off gegen Polen rehabilitiert“, freute sich Bernhard Bauer, der Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB). Im Juni hatten die deutschen Profis nicht nur die beiden Spiele gegen die Osteuropäer verloren und deshalb eine äußerst umstrittene Wildcard für die WM benötigt. Sondern sie hatten dabei auch die Nerven verloren, furchtbare Einbrüche erlebt. „Das ist jetzt anders, wir haben in den kritischen Phasen kühlen Kopf bewahrt“, freute sich Lichtlein.

„Diese Mannschaft hat ein gutes Gefühl, deshalb ist es logisch, dass sie ein gutes Spiel gemacht hat“, sagte Sigurdsson, der vor 5500 Fans ein erfolgreiches WM-Debüt als Coach feierte. Er selbst schien sich ein wenig zu wundern über das Match, das hinsichtlich der Spielstrategie völlig anders verlaufen war als erhofft. Man brauche mindestens acht Tore aus Tempogegenstößen, um solche Spiele zu gewinnen, hatte Bob Hanning, der Vizepräsident des DHB, düster prophezeit. Gegen Polen reichten: zwei.

Den Rest erledigte das Team im Positionsspiel, das von Experten als Schwäche des deutschen Spiels ausgemacht worden war. Und in der Tat sind die Rückraumspieler wie Weinhold und der erst 19 Jahre alte Paul Drux (Füchse Berlin), der auf der halb linken Königsposition in das Spiel startete, physisch unterlegen. Sie machten dieses Manko wett durch Tempo, Spielwitz und schlaues Spiel, gesteuert durch den Balinger Regisseur Martin Strobel. Am Ende der kampfbetonten Partie gewannen Mut und Geist gegen den Körper.

Die Abwehr, das eigentliche Prunkstück des deutschen Spiels, hatte zunächst nicht gegen die gefährlichen polnischen Rückraumschützen standgehalten. Nicht nur Krzysztof Lijewski, der Ex-Profi des HSV, traf, wie er wollte. Auch der Halblinke Karol Bielecki kam ins Rollen. Sigurdsson reagierte. Er brachte in der elften Minute, als es 8:6 stand, auf einen Schlag drei neue Abwehrspieler, darunter mit Erik Schmidt (Friesenheim) im Innenblock einen der sieben deutschen WM-Debütanten. Die sehr variable Defensive steigerte sich nun. Und als Sigurdsson dann Lichtlein für den unglücklich agierenden Silvio Heinevetter (Füchse) ins Tor schickte (21. Minute), leitete er damit die beste deutsche Phase ein. Nun klappte fast alles. Die Polen rannten sich immer wieder in der Deckung fest. Und als Schöngarth in Unterzahl einen Ball stahl und Hendrik Pekeler (Lemgo) den Schnellangriff verwertete, führte Deutschland plötzlich mit 15:11 (27.).

Doch nach der 35. Minute, als Strobel per Sprungwurf zum 19:15 traf, leistete sich die Mannschaft trotz einer 6:4-Überzahl einen seltsamen Einbruch: Kapitän Uwe Gensheimer (Löwen) scheiterte erst bei einem Siebenmeter und dann noch einmal an Keeper Piotr Wyszomirski. „Ich hatte einige schlechte Würfe“, sagte Gensheimer. Als Piotr Chaprowski zum 20:20 (42.) ausglich, schien die Partie zu kippen.

Doch die Mannschaft hielt, anders als beim Trauma im Juni, dem Dauerdruck der kampfstarken Polen stand. „Das haben auch die vielen jungen Spieler sehr gut gemacht, als sie einfach die Vorgaben weiter durchgezogen haben“, sagte Lichtlein. Die deutsche Deckung ordnete sich wieder. Es war zunächst Weinhold, der nach zwölf Minuten ohne Feldtor mit einem Gewaltwurf zum 22:20 (47.) die Bremse im Angriff löste.

Dann bewahrte Johannes Sellin beim Stand von 25:25 die Nerven. Vorher hatten Gensheimer und Patrick Groetzki schon drei Strafwürfe verworfen. Der Melsunger Rechtsaußen aber traf nun unter größtem Druck vom Siebenmeter-Strich. Die Tore von Joker Michael Kraus (Göppingen), Weinhold und Groetzki besiegelten dann den perfekten Start in das Weltturnier. Ein Sieg gegen Russland am Sonntag (17 Uhr, live bei Sky), und das Achtelfinalticket wäre fast schon gebucht.

Tore: Polen: Lijewski (7), Jurecki M. (5), Syprzak (3), Daszek (3), Jurecki B. (3), Chrapkowski (2), Bielecki (1), Wisniewski (1), Jurkiewicz (1). Deutschland: Weinhold (Kiel/9), Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen/7/4 Siebenmeter), Groetzki (Rhein-Neckar Löwen/4), Strobel (Balingen/3), Drux (Berlin/1), Schöngarth (N-Lübbecke/1), Wiencek (Kiel/1), Pekeler (Lemgo/1), Kraus (Göppingen/1), Sellin (Melsungen/1/1), Kneer (Rhein-Neckar Löwen), Müller (Melsungen), Böhm (Balingen), Schmidt (Friesenheim). Schiedsrichter: Nachevski/Nikolov (Mazedonien). Zeitstrafen: 3/5. Zuschauer: 5500.