Österreichs Stefan Kraft gewinnt Vierschanzentournee und lässt sich auch vom Sturz seines Idols Ammann nicht stören

Bischofshofen. Simon Ammann fliegt und fliegt, er geht ans Limit, reizt den Sprung aus, bis nichts mehr geht. Er landet bei 136 Metern, setzt den Telemark, beugt seinen Oberkörper einen Tick zu weit nach vorn – und knallt mit Gesicht und Oberkörper auf den eisigen Hang. Der Schweizer bleibt bewusstlos liegen, Notärzte eilen herbei, später werden glücklicherweise nur Prellungen und Abschürfungen festgestellt. In diesem Moment steht der Tourneeführende Stefan Kraft aus Österreich oben an der Schanze und sieht das Sturzdrama seines großen Vorbildes. Ausgerechnet jetzt soll er die Nerven behalten und seinem großen Triumph entgegenspringen.

Minuten später schultern ihn zwei seiner Teamkollegen und tragen ihn, den Sieger der Vierschanzentournee, wie einen König durch den Auslauf. Auf den Schultern von zwei anderen Österreichern thront Michael Hayböck, Sieger des Abschlussspringens in Bischofshofen. Sie klatschen sich ab, umarmen sich da oben in der Luft und lassen sich feiern. „Es ist unglaublich. Brutal! Der Michi und ich hatten es so ausgemacht. Genial“, jubelt Kraft.

Der 21-Jährige hat geschafft, was ihm noch vor zwei Wochen niemand zugetraut hat: Ausgerechnet er, der bis Weihnachten noch keinen einzigen Weltcupsieg gefeiert hatte, gewann jetzt überlegen die Tournee. Damit hat er die Serie der österreichischen Springer auf jetzt sieben Tournee-Triumphe in Folge ausgebaut. Kraft hatte die Führung in Oberstdorf übernommen und nicht wieder hergegeben. In Bischofshofen reichte ihm Platz drei hinter Hayböck und Noriaki Kasai zum Gesamtsieg. Technisch grandios, erfrischend von der Art, nervenstark und gesegnet mit einem Killerinstinkt – das machte ihn zum großen Triumphator.

Auf der Schanze in Bischofshofen, nur eine Viertelstunde von seinem Wohnort Schwarzach im Pongau entfernt, konnte Kraft seinen Heimvorteil bestens nutzen. Er war noch ein kleiner Junge, gerade acht Jahre alt, da stand er gebannt an dieser riesigen Schanze und träumte davon, selbst einmal so ein Monstrum hinunterzuspringen. 13 Jahre später ist diese Schanze der Ort seines größten Erfolgs. 23,1 Punkte Vorsprung hatte Kraft vor dem finalen Springen – da hätte er schon einen verkorksten Wettbewerb abliefern müssen, um noch auf Platz zwei zurückzufallen. Zu stabil und cool war er seit Oberstdorf gesprungen, als dass die Konkurrenz auf eine Schwächephase hätte hoffen können.

Für die Deutschen endete die Tournee halbwegs versöhnlich. Richard Freitag wurde als bester DSV-Adler sowohl Sechster in Bischofshofen als auch Sechster in der Tourneewertung. Teamkollege Severin Freund belegte beim vierten Springen und in der Gesamtwertung den achten Rang. „Das war eine schwere Tournee für uns. Es war gerechtfertigt, mit hohen Erwartungen reinzugehen. Die konnten wir zwar nicht ganz erfüllen, haben uns aber im Laufe der Zeit gesteigert. Das ist eine gute Basis für die Zukunft“, sagte Bundestrainer Werner Schuster und adelte den neuen Tourneesieger: „Der ist brutal. Er springt technisch brillant, fliegt brillant und ist mental auf einer Welle. Er fürchtet sich vor niemandem.“

Selbst in Innsbruck, dem heftigsten Prüfstein für einen jungen österreichischen Springer, blieb Kraft völlig cool. Der Hexenkessel aus 22.500 frenetisch feiernden Skisprungfans mit österreichischen Flaggen spornte ihn an, anstatt ihn einzuschüchtern. Das Wort Druck scheint er nicht zu kennen. Stattdessen verblüffte er mit erstaunlicher Lockerheit und Angriffslust gleichermaßen. Verbissene Miene? Zeigte er nie. Kraft lacht lieber. Nicht ganz unschuldig daran dürfte Patrick Murnig sein, der Kraft und Hayböck seit Jahren in der Persönlichkeitsentwicklung unterstützt. „Stefan ist ein Lausbub“, sagt Murnig. „Er ist ein Gefühlsmensch, der extreme Freude entwickeln kann. Das ist seine Stärke, wenn es richtig im Lot ist.“ Kraft selbst sagt über sich: „Ich bin ein aufgedrehter Junge und lache gerne viel. Das tut dem Herzen gut.“

Aufhorchen ließ er erstmals vor zwei Jahren, als er in Bischofshofen überraschend auf Rang drei sprang. Es war der erste Podestplatz seiner Weltcupkarriere, die ein Jahr zuvor auf ebenjener Schanze begonnen hatte. In seiner Art und dem aggressiven Sprungstil erinnert Kraft an den jungen Ammann. „Er ist mein Vorbild – menschlich und sportlich“, sagt Kraft und gibt dann lachend eine Anekdote zum Besten: Einmal, da sei er mit „dem Simi“ im Lift gefahren und habe ihm gesagt: „Ich habe schon als Kind davon geträumt, gegen dich zu springen.“ Ammann habe grinsend geantwortet: „Dann bin ich ja schon alt.“ Eines hat Kraft dem großen Vorbild nun voraus: den Tourneesieg.