Sieger von Innsbruck könnte heute noch auf einen Podestplatz in der Gesamtwertung der Vierschanzentournee springen

Innsbruck. Erst im Moment des Triumphes war auch Richard Freitag gar nicht mehr cool. Der 23 Jahre alte Sachse hatte sich nach dem missratenen Start der Deutschen in die Vierschanzentournee nicht verrückt machen lassen und sorgte mit dem Sieg bei der dritten Tourstation in Innsbruck für Euphorie. Mit dem Erfolg schob er sich von Rang 13 auf Platz fünf der Gesamtwertung vor und könnte beim letzten Springen in Bischofshofen (Dienstag, 16.30 Uhr, ARD und Eurosport live) sogar noch einen Podestplatz erkämpfen. „Die Schanze ist für mich eine Herausforderung, aber ich nehme sie gern an, bin wirklich fit“, sagt Freitag.

Im vergangenen Jahr sah die Welt anders aus. Nach einem Mittelfußbruch und einer Knochenhautentzündung sprang er seiner Form hinterher. Bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi wurde Freitag dann nach den Plätzen 20 und 21 für den Teamwettbewerb aussortiert und erlebte das Olympiagold nur als Zuschauer. Dabei hatte er sich schon als feste Größe etabliert. Seinen ersten Weltcupsieg hatte er im Dezember 2011 in Harrachov gefeiert und damit genau dort, wo sein Vater Holger 1983 seinen ersten und einzigen Weltcuptriumph gefeiert hatte. Der Erfolg in Innsbruck war jetzt der fünfte Sieg in Freitags Karriere.

Hamburger Abendblatt:

Herr Freitag, nach dem Drama der vergangenen Saison muss dieser Sieg doch besonders guttun. Was bedeutet er Ihnen?

Richard Freitag: Ich habe die Hand vollgemacht – jetzt habe ich fünf Weltcupsiege, und das ist genial. Es hat unglaublich Spaß gebracht. Denn gerade in Innsbruck am Bergisel zu springen, bedeutet von der Stimmung her immer noch ein i-Tüpfelchen mehr – das war alles unglaublich.

Skispringen können Sie also ziemlich gut. Was ist denn abseits der Schanze mittlerweile besser, Ihr Können auf dem Motorrad oder an der Gitarre?

Freitag: (lacht) Ich würde sagen: Normal fahren kann ich – und ein bisschen klimpern, das klappt auch. Das nimmt sich nicht viel. Mir hilft beides beim Abschalten. Ich fahre wirklich gern Motorrad, bin dann mit Freunden unterwegs. Mich holt das runter und bringt mich weg vom Skispringen. Ich würde auch gern mal wieder auf eine Rennstrecke.

Mal wieder? Wo waren Sie denn?

Freitag: Wir waren zum Beispiel vergangenes Jahr auf dem Sachsenring. Andreas Wank war auch dabei. Wir konnten Fahrsicherheitstraining machen und ein paar Runden drehen. Ein schönes Erlebnis!

Und der Bundestrainer erlaubt das?

Freitag: Dass man das Gehirn beim Fahren mitnehmen sollte, ist ja selbstverständlich. Das ist wie bei jedem halbwegs gefährlichen Sport – du kannst nie 100-prozentig vorausplanen, versuchst aber, das Risiko so gering wie möglich zu halten.

Nun können Sie das Motorrad schlecht zu Weltcups mitnehmen – die Gitarre schon.

Freitag: Manchmal nehme ich sie auch mit und ärgere den Sevi (Severin Freund – d. R.) ein bisschen.

Sie könnten ein Duo mit Janne Ahonen bilden – der musste zumindest bei seinem Junggesellenabschied Karaoke singen.

Freitag: Dann nehmen wir noch Tom Hilde (norwegischer Skispringer, die Red.) fürs Schlagzeug. Lustige Vorstellung.

Fehlt nur noch ein Bassist.

Freitag: Stimmt. Aber ob es bei mir für eine Band reicht? Na ja. Ich hatte nie Gitarrenstunden. Angefangen habe ich mal mit „Nothing Else Matters“ von Metallica. Ich suche mir einfach Lieder auf YouTube heraus und versuche sie nachzuspielen. Das meiste spiele ich einfach nach Gehör und lasse mich berieseln. Ich kann dann auch gar nicht sagen, ob es richtig oder falsch war. Deswegen gehe ich da immer mit einem Lächeln raus.

Dann also doch lieber die Skisprung- statt einer Musikerkarriere. Dieter Thoma sagte einmal: „Richard Freitag ist ein echt cooler Kerl.“ Wie cool sind Sie wirklich?

Freitag: Gute Frage (lacht). Cool? Auf jeden Fall bin ich sehr, sehr ehrgeizig. Das macht mich, was den Sport angeht, in erster Linie aus. Ansonsten bin ich ein lustiger, offener Typ – denke ich zumindest.

Wer „sehr, sehr ehrgeizig“ ist, kann schnell zu verbissen werden. Ist Ihr Ehrgeiz manchmal eine Schwäche?

Freitag: Es hat sich über die Zeit relativiert. Ich bin gefestigter – und mein Sprungstil ist es auch. Ich gehe nicht auf die Schanze und sage mir, ich muss dort jetzt unbedingt gewinnen. Ich kann mich selbst gut einschätzen, weiß, was möglich ist an welchem Tag – und was vielleicht auch nicht. Aber dieser Ehrgeiz treibt mich jeden Tag im Training an. Ich brauche es, mich in den Sport und Details richtig verbeißen zu können, um dranzubleiben und mir jeden Tag selbst einen Arschtritt zu geben. Nur so geht es voran.

Können Sie sich vorstellen, wie Noriaki Kasai noch mit 42 Jahren die Schanzen hinunterzufliegen?

Freitag: Eigentlich nicht. Irgendwann wird es so weit sein, dass ich mal etwas Ordentliches machen muss (lacht). Ich ziehe den Hut vor Kasai, auch davor, wie gut er noch springt. Gigantisch! Aber das ist nichts für mich. Ich möchte Medizin studieren, mache jetzt erst mal eine Ausbildung zum Physiotherapeuten.

Warum Medizin?

Freitag: Durch meinen Vater habe ich natürlich einen Einblick in den medizinischen Bereich bekommen. Es interessiert und begeistert mich. Ich kann es mir wirklich gut vorstellen, Arzt zu werden.

Wie Ihr Vater. Was hat er bei Ihrem zweiten Weltcupsieg gesagt? Schließlich übertrumpfte da der Sohn den Vater.

Freitag: (lacht) Das stand nie zwischen uns. Mein Vater und ich hatten keinen Wettstreit. Er hat sich sehr für mich gefreut und mir gratuliert.

Sportbegeisterte Eltern zu haben ist ein enormer Vorteil auf dem Weg an die Spitze. Wenn der Vater aber genau die gleiche Sportart – und auch noch erfolgreich – betrieben hat, ist das nicht immer leicht, oder?

Freitag: Ja, das stimmt. Dadurch gab es einige Mal Gesprächsstoff bei uns. Mein Vater gibt mir natürlich viele Tipps – gerade, wenn es mal nicht so läuft. Damit muss man umzugehen wissen. Den einen oder anderen Tipp überhöre ich vielleicht, die anderen nehme ich an – das passt schon sehr gut.

Kann er Ihnen noch Ratschläge geben?

Freitag: Ja, auf jeden Fall. Er gibt mir immer noch gute Tipps. Vor allem seine Erfahrung hilft mir. Mein Vater war in seiner Karriere zum Beispiel auch verletzt, weiß, wie so etwas ist, welche Gedanken man hat. Ich versuche so viel wie möglich von ihm mitzunehmen. Er ist ein Vorbild.

In welcher Hinsicht?

Freitag: Mein Vater hat den Sport gut gemacht, war sogar bei Olympischen Winterspielen dabei, und hat danach mit dem Medizinstudium den Sprung in das normale Leben geschafft. Hut ab dafür. Das ist nicht so leicht, aber das möchte ich auch schaffen.