Richard Freitag gewinnt das Springen der Vierschanzentournee in Innsbruck – Podestplatz in der Gesamtwertung drin.

Innsbruck. Mit voller Inbrunst brüllte sich der Stadionsprecher die Seele aus dem Leib: „Mamma mia! Ja gibt’s denn so was! Das ist ja Wahnsinn!“ Die 22.500 Zuschauer verwandelten das Skisprungstadion auf dem Bergisel mit lautstarkem Jubel, lärmenden Kuhglocken und Tröten sowie zig österreichischen Flaggen in einen Hexenkessel. Dabei sprang gerade ein Deutscher: Richard Freitag riss seine Arme in die Luft und rauschte den Auslauf bergauf gen Himmel – eine Triumphfahrt zurück an die Spitze der Skisprungwelt.

Es konnte kein symbolhafteres Bild bei diesem dritten Springen der Vierschanzentournee geben. Im Gegensatz zu allen anderen Schanzenausläufen bleibt jener in Innsbruck nicht flach, sondern steigt die letzten Meter wieder steil nach oben an. Dort oben thronte Richard Freitag. Der 23 Jahre alte Sachse aus Aue siegte sensationell vor dem Tourneeführenden Stefan Kraft (21) aus Österreich. „Sehr, sehr geil. Die Leute haben eine Megastimmung gemacht“, sagte er völlig euphorisch.

Und auch vor den TV-Geräten dürfte manch einer laut mitgejubelt haben. Mit 5,10 Millionen Zuschauern holt das ZDF mit der Live-Übertragung aus Innsbruck jedenfalls einen noch höheren Marktanteil (22,8 Prozent) als der „Tatort“ in der ARD.

Freitag holte letztlich den fünften Weltcupsieg seiner Karriere und den ersten Einzelsieg eines Deutschen bei der Tournee seit zwölf Jahren. Für den letzten DSV-Sieg bei der deutsch-österreichischen Traditionsveranstaltung hatte Sven Hannawald am 29. Dezember 2002 in Oberstdorf gesorgt. Danach waren die deutschen Skiadler 49-mal leer ausgegangen.

Was aber vielleicht noch wichtiger war: Er sorgte mit seinem Triumph für den großen Befreiungsschlag, den das deutsche Team nach dem bisher so enttäuschenden Tourneeverlauf bitter nötig hatte. „Richard hat sein Ding extrem gut durchgezogen. Er ist entspannt geblieben“, lobte Bundestrainer Werner Schuster.

Hinter Freitag und Kraft teilten sich die Skisprunghelden Simon Ammann (33, Schweiz) und Noriaki Kasai (42, Japan) Platz drei. „Ich bin gerührt. Es war nicht einfach, doch das Team hat nach den enttäuschenden Springen zusammengehalten. Es war extrem spannend, aber wir haben die Ruhe bewahrt“, sagte Schuster erleichtert.

Bis zu diesem Wettkampf war Martin Schmitt als letzter deutscher Adler in Innsbruck auf das Podium geflogen. Das war im Jahr 2009. Am Ende belegte der einstige Überflieger damals sogar Platz vier im Gesamtklassement. Solch ein Endergebnis ist jetzt selbst noch für Richard Freitag möglich, der sich im Gesamtklassement von Rang 13 auf fünf verbesserte. Kraft baute seinen Vorsprung aus und führt jetzt vor seinem Teamkollegen Michael Hayböck, dem Slowenen Peter Prevc und Kasai.

Der Stadionsprecher hatte an diesem Tag einen guten Riecher. Er hatte schon vor dem ersten Durchgang prophezeit, dass die Deutschen endlich wieder ein Teil der Flugshow der Besten sein können. Zwischen Songs von AC/DC und Green Day schrie er: „Auch die arg gebeutelte deutsche Mannschaft wird heute wieder weit springen.“ Und er behielt recht. Severin Freund (wurde Achter) legte mit einem guten Sprung vor, aber dann kam Richard Freitag: Platz eins nach dem ersten Durchgang, gemeinsam mit Kraft. Der 23-Jährige hatte angekündigt, den „Hexenkessel zum Kochen bringen zu wollen“, aber wie es ihm gelang, war beeindruckend. Im zweiten Durchgang blieb er völlig cool und zauberte erneut einen enorm starken Sprung nach unten – so ästhetisch, dass einer der Kampfrichter sogar die Höchstnote 20 vergab. Kraft, der erst danach sprang, konnte das nicht mehr überbieten.

Happy End nach langer Durststrecke

Für Richard Freitag ist es ein Happy End nach einer langen Durststrecke. Nach einer Verletzung hatte er im vergangenen Winter nicht wieder zu seiner guten Form gefunden. Er durfte zwar bei den beiden olympischen Einzelwettbewerben in Sotschi/Russland starten, war bei dem Mannschaftsgold allerdings nur als Zuschauer vor Ort. Zum Siegerquartett gehörten andere.

Kurz vor der Vierschanzentournee meldete er sich dann mit dem Weltcup-Sieg in Engelberg/Schweiz zurück, sprang danach jedoch in Oberstdorf und Garmisch seinen Erwartungen weit hinterher. Und jetzt dieser sensationelle Sieg. „Ich bin einfach optimistisch geblieben und habe an mich geglaubt“, versuchte er sich an einer Erklärung.

Noch am Abend nach diesem dritten Springen fuhren die Mannschaften weiter nach Bischofshofen. In der Partyhochburg des Skisprungzirkus steht am Montag die Qualifikation und Dienstag der finale Wettbewerb der Vierschanzentournee an (beides 16.30 Uhr, ZDF, Eurosport). Für Stefan Kraft könnte es keinen besseren Ort geben: „Bischofshofen ist meine Heimat, meine Lieblingsschanze“, sagt er. Es könnte auch der Ort seines größten Erfolgs werden. Und Richard Freitag? Der will erneut für Furore sorgen.