Der Weltmeister-Coach liefert einen ernüchternden Ausblick auf sein Fußball-Jahr 2015. Die Nationalmannschaft leidet noch unter WM-Kater. Auf einen Spieler kommt es jetzt besonders an.

München. Die erschöpften Fußball-Weltmeister schnaufen zum Jahreswechsel durch. Der Bundestrainer tut das ebenfalls, aber nicht allzu lange. Denn auch ohne großes Turnier in diesem Sommer will Joachim Löw in den kommenden zwölf Monaten wichtige Weichen für seinen nächsten großen Auftrag mit dem Nationalteam stellen. Der Blick der sportlichen Leitung um Löw geht darum schon 2015 konsequent nach vorn zur Europameisterschaft in Frankreich.

Löw gönnt sich und seinen Champions lediglich ein kurzes Innehalten. „Jetzt sind wir auf dem Höhepunkt angekommen, sind Weltmeister und seit einem Jahr die Nummer eins der Weltrangliste. Ich habe das Gefühl: Diese gute Basis muss man erhalten, aber auch neue Lösungen finden. Unsere Mitbewerber entwickeln sich auch weiter“, sagt der Bundestrainer zum Jahreswechsel im Interview.

„Das Ziel heißt, 2016 einen Erfolg wie den WM-Sieg zu bestätigen“, lautet die Vorgabe des Weltmeister-Trainers. Voraussetzung dafür sei eine Weiterentwicklung, teilweise sogar eine Erneuerung. „Von Titeln der Vergangenheit können wir uns heute und morgen nichts mehr kaufen“, mahnt der 54-Jährige: „Jetzt geht der Blick nach vorn, wir müssen uns in einigen Bereichen neu erfinden. Das ist die Aufgabe.“

Die Neuausrichtung in einem turnierlosen Jahr, in dem traditionell die Vereinsinteressen die Nationalmannschafts-Belange überragen, ist ein heikles Manöver für jeden Nationaltrainer. Nach 17 Länderspielen im WM-Jahr kann Löw die Nationalspieler 2015 gerade fünfmal für jeweils eine gute Woche versammeln. In lediglich zehn Partien kann er neues Personal testen und neue taktische Varianten erproben, erstmals Ende März beim Testspiel in Kaiserslautern gegen Australien sowie dem ersten kniffligen EM-Qualifikationsspiel auswärts gegen Georgien.

„Den detaillierten Plan haben wir noch nicht in der Schublade“, sagt Löw zum Veränderungsprozess, den er nach den Rücktritten von Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker hauptsächlich mit den verbliebenen Weltmeistern vollziehen möchte – und endlich auch mit Bastian Schweinsteiger als Anführer. Der 30 Jahre alte Münchner konnte das DFB-Team seit seiner Beförderung zum Kapitän aus Verletzungsgründen seit dem WM-Triumph noch nicht einmal in einem Länderspiel anführen. Das soll sich nach seinem geglückten Comeback am Ende der Hinrunde beim FC Bayern 2015 ändern.

„Ich setze großes Vertrauen in Basti als Mannschaftskapitän“, sagt Löw. Wenn der 108-malige Nationalspieler körperlich fit sei, könne er nach wie vor „als großer Stratege im Mittelfeld“ das Team führen und mitreißen. So wie im WM-Finale gegen Argentinien, als Schweinsteiger mit blutender Gesichtswunde zur Symbolfigur des Triumphes wurde.

„Bastian ist nicht nur bei Bayern, sondern auch bei uns zu einem wahren Führungsspieler gereift. Gerade im WM-Finale hat man gespürt, dass er überall war und sich unbändig eingesetzt hat. Und gerade in den entscheidenden, wichtigen Phasen hat er sich immens aufgebäumt, seine ganze Kraft und Erfahrung reingeworfen“, schwärmt Löw auch noch ein halbes Jahr nach dem 120-Minuten-Kraftakt in Brasilien.

Von Rio de Janeiro bis Paris, wo am 10. Juli 2016 im nächsten großen Endspiel der Nachfolger von Europameister Spanien gekürt wird, ist es ein weiter Weg. Und dieser ist überraschend steinig geworden, nachdem die DFB-Auswahl in der EM-Qualifikation nach vier von zehn Partien in Gruppe D mit sieben Punkten hinter Polen (10) und Irland (7) nur auf Platz drei liegt. Dieser würde nicht für eines der zwei Direkt-Tickets zur EM-Endrunde in Frankreich reichen.

„Ich mache mir um uns und um die EM-Qualifikation überhaupt keine Sorgen“, erklärte zwar Toni Kroos, der im WM-Jahr von allen 42 eingesetzten Akteuren am häufigsten und längsten auf dem Platz gestanden hatte, mit weltmeisterlichem Selbstbewusstsein. Teammanager Oliver Bierhoff sieht die Situation mit Blick auf die Schlüsselspiele gegen Polen sowie in Irland und in Schottland schon kritischer. „Es wird ein heißer Herbst 2015. Es darf keinen weiteren Stolperer geben. Da müssen wir unsere Qualität zeigen“, mahnt der Manager.

Auch Löw erwartet in den „ganz wichtigen Qualifikationsspielen“ wertvolle Fingerzeige für 2016. „Wir müssen ausloten, wer schafft den Sprung und wer nicht“, sagt er. Gesucht werden neue Senkrechtstarter wie die Weltmeister Christoph Kramer oder Shkodran Mustafi, die erst kurz vor Brasilien im DFB-Team debütiert hatten. Packt es Torjäger Mario Gomez noch mal? Und was passiert mit einem Dauerbrenner wie Lukas Podolski, der von den 100 Akteuren, die Löw in acht Jahren als Bundestrainer eingesetzt hat, die meisten Einsätze (89) aufweist?

Auf einige Fragen wird der Bundestrainer schon 2015 Antworten geben können. Das Ja-Wort für eine Vertragsverlängerung über die EM 2016 könnte auch dazu gehören, obwohl die persönliche Zukunft bei Löw zum Jahresbeginn nicht ganz oben auf der Agenda steht: „Ich denke im Zwei-Jahres-Zyklus, weil man weiß, dass so ein Turnier natürlich eine wichtige Rolle spielt, ob die Zusammenarbeit endet oder weitergeht.“