Die deutschen Skispringer enttäuschen zum Auftakt der Vierschanzentournee. Bundestrainer Schuster: „Wir sind kläglich gescheitert“

Oberstdorf. Severin Freund flog und flog. Von der Schanze hinaus in den dunklen Abendhimmel, durch Schneeflocken und Flutlichtkegel hindurch, den anfeuernden Zuschauern entgegen und den Traum vom Sieg bei der Vierschanzentournee im Gepäck. Dann landete er – zu früh, viel zu früh. Freund ließ die Arme hängen, statt sie in die Luft zu reißen.

Der Jubel auf den Tribünen endete abrupt, gespannte, nervöse Stille. Sollte der große deutsche Hoffnungsträger auf den Tournee-Gesamtsieg etwa im K.o.-Duell in Oberstdorf scheitern? Es reichte knapp für Durchgang zwei. Dort wurde es nicht besser, Platz 13 und bester Deutscher. Ein Rückschlag bei der Tournee – wieder einmal.

Bundestrainer Werner Schuster, noch nie ein Mann des Schönredens, stellte schonungslos fest: „Wir sind heute kläglich gescheitert und haben einen katastrophalen Wettkampf gemacht.“ Der angepeilte Sieg im Gesamtklassement ist – unter normalen Voraussetzungen – außer Reichweite. Es bleibt Zweckoptimismus und das Ziel eines Tagessieges bei einer der verbleibenden drei Stationen.

Die deutschen Skispringer und die so prestigeträchtige Vierschanzentournee, das passt schon seit einigen Jahren nicht mehr. Immer wieder waren sie zuletzt mit großen Hoffnungen angereist, immer wieder waren die Träume zerschellt. Dieses Mal sollte es anders werden, sie wollten endlich mitkämpfen um den Sieg.

Das Ziel war klar, und Severin Freund fühlte sich bereit. Doch nach dem Auftaktspringen in Oberstdorf war in den Gesichtern deutscher Springer und Fans vor allem eines zu sehen: totale Ernüchterung. „Wir schauen wahnsinnig dämlich aus bei der Tournee –, und das schon seit ein paar Jahren“, ärgerte sich Freund. „Aber wir können es besser. Wir dürfen jetzt nicht heulen.“

Es freuten sich mal wieder die anderen, vor allem die Österreicher. Stefan Kraft gewann sein erstes Weltcup-Springen vor Teamkollege Michael Hayböck und dem Slowenen Peter Prevc. „Einen schöneren ersten Sieg könnte ich mir nicht wünschen. Es ist ein echter Traum, auf den habe ich gerne gewartet“, sagte Kraft. Richard Freitag, der noch vor einer guten Woche in Engelberg gesiegt hatte, landete auf Rang 15, Marinus Kraus auf Platz 18. „Ich hätte in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht, dass unsere Topleute so weit hinten liegen“, sagte Schuster, und Freitag gab zu: „Der Frust ist groß.“

13 Jahre ist es mittlerweile her, dass ein deutscher Athlet über den Tourneesieg jubeln konnte. Damals gewann Sven Hannawald mit historischen vier Einzelsiegen, für ihn das „geilste Erlebnis überhaupt“. Fast genauso lange, nämlich zwölf Jahre, ist auch der letzte Sieg eines Deutschen in Oberstdorf her. Und die Fans müssen weiter warten.

Das Wichtigste an diesem Montagabend war aber erst einmal etwas anderes: Können die Springer einen Tag nach dem eigentlichen Termin des Auftaktspringens endlich die ersten Punkte holen? Am Sonntag hatte es wegen zu viel Aufwind ein nervenaufreibendes Hin und Her gegeben. Dauernde Unterbrechungen zerrten an den Nerven vor allem der jüngeren Athleten wie Marinus Kraus. Der 23 Jahre alte Team-Olympiasieger konnte dann auch einen Sturz nur knapp verhindern. Es wäre ein unwürdiger, weil unfairer und gefährlicher Tourneestart gewesen. Die Jury vertagte den Wettkampf. „Wir haben unsere Athleten überstrapaziert“, gestand Renndirektor Walter Hofer am nächsten Morgen. Die 24.500 Zuschauer hatten umsonst ausgeharrt.

Am Montag pilgerten noch 10.000 Fans durch die Winterlandschaft Oberstdorfs hinauf zur Schanze. Die vielen Helfer dort waren bereit, den Schnee mit Laubbläsern immer wieder aus der Anlaufspur der Springer zu pusten. Und dann ließ der Wind auch tatsächlich einen Wettkampf zu.

Im Probedurchgang untermauerte Freund noch einmal seine Ambitionen auf den Tourneesieg und setzte den weitesten Sprung der Konkurrenz in den Schnee. Im ersten Durchgang war er weit davon entfernt. „Der Sprung war nichts“, sagt er nach seinem Satz auf 126 Meter und gab zu: „Das waren nicht die Bedingungen, das war ich alleine.“ 124,5 Meter im zweiten zerstörten dann alle Resthoffnungen auf eine halbwegs passable Ausgangssituation. „Ich dachte, ich sei weiter“, sagte er fassungslos.

In Oberstdorf, so heißt es, kann niemand die Tournee gewinnen, sehr wohl aber bereits verlieren. Freund hat sie hier verloren. Auch Österreichs Skisprungstar Gregor Schlierenzauer (17.) und der zweimalige Doppel-Olympiasieger Simon Ammann (Schweiz) verlassen Oberstdorf mit Frust. Ammann landete bei 133 Metern, konnte sein Gleichgewicht aber nicht halten und fiel kopfüber in den Neuschnee. Den zweiten Durchgang sah er als Zuschauer.

Jetzt kommt die Schanze in Garmisch-Partenkirchen – nicht gerade die liebste Anlage von Severin Freund. Bisher hatte der 26-Jährige dort immer zu kämpfen. Am Mittwoch geht es weiter mit der Qualifikation für das Neujahrsspringen. Den Wechsel von der Schanze in Oberstdorf auf jene in Garmisch hat er in der Vorbereitung extra trainiert. Es kann nur besser werden.