Franziska Preuß verpasst ihren ersten Podestplatz nur knapp. Die jungen Biathletinnen überzeugen in Hochfilzen dennoch mit dem Staffelsieg

Hamburg/Hochfilzen. Franziska Preuß ärgerte sich gewaltig. Eigentlich hatte die 20 Jahre junge Biathletin gerade angefangen, sich über die Ergebnisse des Weltcupwochenendes in Hochfilzen (Österreich) zu freuen. Dann aber ließ sie noch einmal das letzte Rennen, die Verfolgung am Sonntag über zehn Kilometer, Revue passieren. „Jetzt ärgere ich mich doch wieder ganz schön“, sagte sie zerknirscht.

Rückblick: letztes Schießen. Preuß muss etwas riskieren, schießt schnell und trifft – einmal, zweimal, dreimal, viermal. Noch ein einziges Mal muss die Scheibe fallen, dann könnte die junge Deutsche zum ersten Podestplatz ihrer Karriere laufen. Doch der letzte Schuss geht daneben – Platz sieben. Und dennoch: Sie war knapp dran, hat etwas riskiert und den deutschen Fans ein spannendes Rennen geliefert. „Der Aufwärtstrend ist da“, sagte Preuß, als der Ärger wieder verscheucht war. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Wochenende.“

Und das zu Recht. Nicht nur Preuß, sondern die gesamte junge deutsche Biathlon-Mannschaft der Frauen hat mit den Rennen in Hochfilzen für einen unerwarteten und dringend benötigten Lichtblick gesorgt. Vier Top-Ten-Platzierungen und vor allem der überraschende Triumph in der Staffel am Sonnabend sind Balsam für die Seele und das Selbstbewusstsein. Der Staffelsieg gibt Auftrieb nach der Enttäuschung der Winterspiele von Sotschi, wo die deutschen Biathletinnen erstmals in der olympischen Geschichte keine Medaille geholt hatten.

Auch der Start in die neue Weltcupsaison war Anfang Dezember in Östersund eher ernüchternd. „Wir wussten ja, dass wir es können. Nur alle anderen wussten es noch nicht. Hochfilzen verschafft uns jetzt einen schönen Aufschwung“, sagte Franziska Hildebrand, die als beste Deutsche sogar auf Platz fünf des Gesamtweltcups liegt. Grund für Euphorie aber gibt es längst noch nicht. Die Zeiten, in denen die deutschen Biathletinnen mit Stars wie Uschi Disl, Kati Wilhelm, Andrea Henkel oder Magdalena Neuner für Furore sorgten, sind erst einmal vorbei.

Spätestens seit dem Karriereende von Henkel sowie dem Dopingskandal und späteren Rücktritt von Evi Sachenbacher-Stehle stand das einst siegverwöhnte Team vor einem Umbruch. Das Durchschnittsalter der Mannschaft liegt in diesem Winter bei gerade einmal 22 Jahren. Wer jetzt nach den Rennen von Hochfilzen Wunderdinge erwartet, verkennt die Realität. Der Neuaufbau braucht Zeit. „Damit das gelingt, ist es notwendig, dass altersgerecht gute Ergebnisse nicht schlecht gemacht werden und nicht auf die Athleten eingedroschen wird“, sagt Trainer Gerald Hönig und versucht, seinen Athletinnen den Erfolgsdruck zu nehmen.

Zu der eh schon schwierigen Situation kommt noch, dass mit Miriam Gössner die derzeit populärste deutsche Biathletin noch nicht wieder dort ist, wo sie einst war: in der Weltspitze. Die dreimalige Weltcupsiegerin war im Frühjahr 2013 schwer mit dem Fahrrad gestürzt und nur knapp dem Rollstuhl entgangen. Ihr Weg zurück zu alter Stärke ist lang und beschwerlich. Beim Sprint in Hochfilzen musste sie am Freitag den nächsten Dämpfer hinnehmen: Gössner schoss insgesamt viermal daneben, lief aber nur drei Strafrunden – dieser Blackout kostete sie den Startplatz in der Verfolgung. „Das ist natürlich ein Tiefschlag, auch mental, für sie. Bei Miriam passt das Gesamtpaket noch nicht“, sagt Hönig.

Zu der verjüngten Mannschaft und Neustrukturierung sowie der Situation von Miriam Gössner lässt sich noch etwas addieren: Die Bilder der verkorksten Staffel bei den Olympischen Winterspielen in Russland haben sich ins Gedächtnis gebrannt. So etwas kann hemmen. Es war der 21. Februar 2014 und damit jener Tag, an dem der Dopingfall Sachenbacher-Stehle in die Schlagzeilen geriet. Der Trubel war enorm, die Unruhe im Lager der deutschen Mannschaft riesig – erst recht für unerfahrene Athletinnen bei ihrem Olympiadebüt. Startläuferin Preuß stürzte kurz nach dem Start, verlor einen Stock und konnte beim ersten Anschlag nicht schießen, weil sich Schnee im Gewehr befand. Am Ende blieben Platz elf und Tränen der Enttäuschung.

Mit dem Staffelsieg dürfte das Trauma von Olympia in Sotschi verarbeitet sein

Umso höher sind jetzt die Ergebnisse von Hochfilzen einzuschätzen. Schlussläuferin der Staffel war übrigens Olympia-Pechvogel Preuß, die ihr Sotschi-Drama damit endgültig verarbeitet haben sollte. Bei den anderen Namen des Goldquartetts rieb sich wohl so manch Zuschauer verwundert die Augen. Franziska Hildebrand sollte zwar den meisten ein Begriff sein, Luise Kummer und Vanessa Hinz allerdings weniger. „Wir können sehr stolz auf uns sein, denn wir sind ein junges Team“, sagte Preuß. Nervenstark, laufstark und auch sicher am Schießstand – sie können es. Für die langfristige Zielsetzung macht das Hoffnung: 2016 bis 2018 will Gerald Hönig wieder eine schlagkräftige Truppe zusammenhaben.

An einzelnen Tagen können die deutschen Biathletinnen schon jetzt der Konkurrenz ganz vorne an der Spitze Paroli bieten. Und: Bei den Männern unterstrich Simon Schempp seine gute Form. Zwei Tage nach seinem zweiten Platz im Sprint landete der 27-Jährige aus Uhingen auch in der Verfolgung auf Rang zwei. Schempp hatte beim Triumph des ebenfalls fehlerfreien Franzosen Martin Fourcade 4,1 Sekunden Rückstand. „Mit dem Wochenende bin ich absolut zufrieden. Man erarbeitet sich das Selbstbewusstsein, wenn man die Wettkämpfe vorher gut geschossen hat“, sagte Schempp.