Der Ungar Karoly Balzsay, von 2004 bis 2012 beim Hamburger Universum-Stall, spricht über den Kampf um sein Leben

Hamburg. Eine große Geste war das, mit der Jürgen Brähmer am vergangenen Sonnabend in Oldenburg für einen rührenden Moment sorgte. Nachdem er den Polen Pawel Glazewski nach 43 Sekunden ausgeknockt hatte, winkte der WBA-Weltmeister im Halbschwergewicht einen Mann in den Ring, der den Kampf aus Reihe eins verfolgt hatte. Karoly Balzsay lächelte verschämt, aber er folgte Brähmers Aufforderung, und als ihm der Champion schließlich noch die Boxhandschuhe schenkte, die er bei seinem Rekordsieg getragen hatte, legte sich ein breites Strahlen auf das schmal gewordene Gesicht des Ungarn.

Karoly Balzsay, 35, war 2009 WBO-Champion und von 2011 bis 2012 WBA-Weltmeister im Supermittelgewicht. Er war Trainingsgefährte Brähmers beim Hamburger Universum-Stall, den er 2012 im Zuge der Insolvenz verlassen musste. Im Februar 2014 schlug das Schicksal zu im Leben des stets zurückhaltenden Vaters zweier Töchter (Hanna, 7, und Jazmin, 4). Wegen dauerhafter Fieberschübe und geschwollener Lymphknoten war er Anfang des Jahres zum Arzt gegangen. Nach der ersten Untersuchung wurde eine mögliche Krebserkrankung zu 30 Prozent diagnostiziert, Anfang Februar hatte Balzsay die Gewissheit, dass er an einem bösartigen Lymphom erkrankt war.

„Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was das heißt. Meine Frau und ich haben dann bei Google nachgelesen, und dann war mir klar, dass es ziemlich ernst war“, sagt er. Neben den Lymphdrüsen waren auch das Knochenmark und die Milz schon vom Krebs befallen. Der hinzugezogene Spezialmediziner konnte den Ex-Weltmeister allerdings ein Stück weit beruhigen. „Er sagte, ich hätte 80 Prozent Heilungschancen, wenn ich die Behandlung schnell beginnen würde. Dann fragte er, wann ich mit der Chemotherapie starten wollte, und ich sagte: ‚Sofort!’ Und so machten wir es dann“, sagt Balzsay.

Sechsmal musste er die Behandlung überstehen, immer im Abstand von drei Wochen, die letzte Dosis bekam er am 5. Juni. „Mir sind am ganzen Körper alle Haare ausgegangen, und die Tage nach den Behandlungen war mir sehr schlecht. Aber das hohe Fieber und das dauerhafte Schwitzen waren sofort nach der ersten Chemo weg“, sagt er. Im April hatte er bereits wieder um die Erlaubnis gefragt, seinem Job als Jugendtrainer nachgehen zu dürfen. „Der Arzt sagte, ich müsse vorsichtig sein, damit ich mir keinen Infekt einfange, der lebensgefährlich hätte sein können. Aber das wochenlange Herumliegen hätte mich noch kranker gemacht, also habe ich wieder gearbeitet“, sagt er.

Natürlich war die Arbeit auch eine Art Therapie, Balzsay nutzte sie, um aufkommende Zukunftssorgen aus dem Kopf zu vertreiben. „Es gab zwei konkrete Situationen, in denen ich Angst hatte. Einmal kurz nach der Diagnose, als ich mich fragte, was mit meiner Familie werden soll, wenn ich nicht überlebe. Das andere Mal war im September vor der Abschlussuntersuchung. Da war meine größte Sorge, dass doch nicht alles wieder gut sein könnte.“ Die Ergebnisse waren jedoch durchweg positiv, seitdem gilt Balzsay als geheilt.

Alle drei Monate muss er nun zur Nachkontrolle, muss sein Blut testen lassen und erhält Infusionen, die helfen sollen, das zusammengebrochene Immunsystem weiter aufzubauen. Aber ansonsten fühlt sich der Ungar so, wie er wieder aussieht: kerngesund. Zwar hat er einiges an Muskelmasse verloren, aber das Training mit seinen Junioren hält ihn fit. Zum 1. Januar übernimmt er offiziell die ungarische Junioren-Boxstaffel. „Ich bin sehr glücklich, dass ich alles überstanden habe und wieder gesund bin“, sagt er.

Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben ihn auch erkennen lassen, wer seine wahren Freunde sind. Seine alten Hamburger Trainer Fritz Sdunek und Michael Timm meldeten sich regelmäßig, ebenso die Promoter Klaus-Peter Kohl und Dietmar Poszwa. Mit Sebastian Zbik, seinem Trainingspartner und besten Kumpel aus Universum-Zeiten, mittlerweile selbst Trainer am Olympiastützpunkt Schwerin, telefoniert er jede Woche. Jürgen Brähmer sammelte sogar 10.000 Euro, um Balzsay bei der Finanzierung der Krebsbehandlung zu unterstützen. Kaum noch Kontakt hat er dagegen zu Landsmann Zsolt Erdei, dem ehemaligen WBO-Halbschwergewichtschampion, der Balzsay auf seinen Schultern durch den Ring trug, als dieser 2009 in Magdeburg erstmals Weltmeister wurde.

Die größte Hilfe aber sind Jürgen Kirrbach und Geerd Haase von der Spedition Hartrodt, die Balzsay und Erdei schon zu deren aktiven Zeiten in Hamburg sponserte. Haase ordnete in unzähligen Stunden Arbeit die finanziellen Hinterlassenschaften Balzsays, der in Deutschland einen Berg an Steuerschulden angehäuft hatte. Und er wickelte den Verkauf der Hamburger Eigentumswohnung ab. Dank dieses Geldes kann der Ungar nun in seiner Heimat einen unbelasteten Neustart wagen. „Was Jürgen und Geerd nur aus Freundschaft für mich getan haben, das vergesse ich nie“, sagt Balzsay.

Im Mai 2015 wollen Haase und Kirrbach dem ehemaligen Weltmeister sogar noch eine Abschiedsgala in Budapest ermöglichen. „Karoly soll sich gebührend von seinen Fans verabschieden“, sagt Geerd Haase. Noch sträubt sich der bescheidene Balzsay gegen den Plan, er habe zu viel zu tun und könne nicht so viel trainieren, um in der nötigen Form in den Ring zu steigen. Aber wer den Krebs besiegt, der wird auch einen letzten Kampf im Ring überstehen.