Wer wie Yvonne Frank oder Natalia Cukseeva auch im Beruf Erfolg haben will, muss Opfer bringen. Aber es lohnt sich

Hamburg. Die Morgen, an denen der Wecker um sechs Uhr klingelt, obwohl die Nacht nach einer Auswärtsreise gerade erst begonnen hatte, sie sind es, die Natalia Cukseeva bisweilen zweifeln lassen, ob sie sich das wirklich antun muss. Aber dann macht das Training am Abend doch wieder so viel Spaß, und die Vernunft setzt sich durch, dass ein zweites Standbein wichtig sein kann, wenn das erste wegbricht. Und dann nimmt die 24-Jährige ihre Kraft zusammen und beißt sich durch den Alltag, mit ihren Zielen vor Augen, die da wären: Leistungssportlerin zu sein und gleichzeitig eine gute Berufsausbildung zu absolvieren.

Natalia Cukseeva spielt Volleyball für die Bundesligafrauen des VT Aurubis Hamburg, die an diesem Sonnabend (18 Uhr, CU-Arena) den USC Münster empfangen. Der Großteil ihrer Teamkolleginnen hat Profistatus, was bedeutet, dass sie sich auf zwei tägliche Trainingseinheiten und die Wettkämpfe konzentrieren können, während die gebürtige Russin jeden Morgen um 7 Uhr in der Hovestraße antritt. Dort ist der Hauptsitz der Kupferhütte Aurubis, die als Namensgeber das Volleyballteam unterstützt. Cukseeva wird dort zur Groß- und Außenhandelskauffrau ausgebildet.

Ein typischer Tag im Leben der 185 cm großen Außenangreiferin sieht derzeit so aus, dass sie um sechs Uhr aufsteht und von ihrer Harburger Wohnung auf die Peute fährt. Von 7 bis 15.30 Uhr arbeitet sie im Unternehmen, dann geht es direkt in die Trainingshalle nach Neugraben, wo um 16.30 Uhr die dreistündige Abendeinheit ansteht. Das Krafttraining, das ihre Kolleginnen vormittags absolvieren, holt Cukseeva zwei- bis dreimal wöchentlich abends nach. „Zum Glück ist es für den Trainer kein Problem, dass ich die Morgeneinheiten verpasse“, sagt sie. Für die Spiele wird sie trotzdem nominiert.

Damit fangen jedoch die Probleme, die Ausbildungsbetriebe mit Leistungssportlern haben, erst an. Zu Auswärtsspielen am Sonnabend reist das Team meist freitags per Bus, da ist also ein Freistellungstag nötig. Wird unter der Woche gespielt, fallen gleich zwei freie Tage an. „Natürlich sind eine Menge Freistellungszeiten notwendig, aber das Unternehmen tut alles dafür, dass diese weder zulasten der Ausbildung noch der Sportlerin gehen, weil wir Hochachtung davor haben, was Natalia leistet“, sagt Matthias Trott.

Als ehemaliger Leichtathlet weiß der Kommunikationsmanager des Aurubis-Konzerns die Sorgen und Nöte von Leistungssportlern einzuschätzen. Und er kann einleuchtend erklären, warum Unternehmen trotz der nötigen Kompromisse von Athleten profitieren. „Sportler bringen ein hohes Maß an Disziplin und Selbstbeherrschung mit, die sie auf ihren Arbeitsplatz übertragen. Und wir stellen fest, dass sie diese Leistungsbereitschaft auch nach der Karriere weiter in den Beruf übertragen“, sagt er. Mit Christina Benecke arbeitet eine frühere Volleyball-Nationalspielerin bei Aurubis, das als eines von 20 Partnerunternehmen des Spitzensports auch in der SportlerBörse der Handelskammer vertreten ist.

Jene von Trott beschriebenen Effekte sind es, die auch Marcus Tröder hervorhebt, wenn er Unternehmen die Einstellung von Sportlern schmackhaft zu machen versucht. „Athleten gehen mit einer ganz besonderen Motivation an ihre beruflichen Aufgaben, weil sie die Unterstützung der Unternehmen zu schätzen wissen. Außerdem sind sie tolle Botschafter für ihre Betriebe“, sagt der Leiter der Abteilung Sportwirtschaft an der Handelskammer. Die Vorzüge von Athleten als Arbeitnehmer haben sich in der Hamburger Wirtschaft herumgesprochen.

„Bei uns fragen mittlerweile Firmen sogar konkret nach, ob wir nicht Sportler hätten, die eine Ausbildung suchen“, sagt Ingrid Unkelbach, Leiterin des Olympiastützpunktes Hamburg/Schleswig-Holstein (OSP). Dort gibt es mit Pamela Wittfoth eine Laufbahnberaterin, die die Athleten individuell berät und versucht, passgenau Sport und Beruf zu vereinbaren. Allerdings sind 90 Prozent der am OSP betreuten Spitzenathleten Schüler oder Studenten. „Ausbildung oder gar eine volle Berufstätigkeit neben dem Sport ist natürlich eine ganz andere Herausforderung“, sagt Ingrid Unkelbach.

Eine, die das aus eigener Erfahrung bestens kennt, ist Yvonne Frank. Die 34-Jährige ist nach langer Verletzungspause in die deutsche Hockey-Nationalmannschaft zurückgekehrt. An diesem Sonnabend startet in Argentinien die Champions Trophy (siehe Infokasten), mit der die Vorbereitung auf Olympia 2016 in Rio de Janeiro beginnt. Frank will dort ihre dritten Spiele erleben. Wie das allerdings mit ihrer derzeitigen Doppelbelastung gehen soll, weiß sie nicht. Seit 2009 arbeitet die Torhüterin als Oberkommissarin in der Verkehrsdirektion der Hamburger Polizei.

„Momentan habe ich eine 75-Prozent-Stelle, und meine Dienststelle ist sehr bemüht, mir die notwendigen Freistellungen zu gewähren“, sagt sie. Allerdings plage sie oftmals das schlechte Gewissen, wenn die Kollegen zu Kriseneinsätzen abkommandiert werden. Für die Champions Trophy hat Frank sich aus einem Kontingent von 20 Sonderurlaubstagen, die Spitzensportlern für Wettkämpfe zustehen, zwei Wochen freigeschaufelt.

Genau wie Yvonne Frank will auch Natalia Cukseeva weder auf Sport noch auf Beruf verzichten. „Mir ist beides wichtig, weil ich durch den Sport eine Struktur habe, die mir im Beruf hilft“, sagt die Volleyballerin, „außerdem weiß ich, dass ich eine Sicherheit habe, wenn ich mich so schwer verletze, dass Sport nicht mehr möglich ist.“ Und genau dafür steht sie dann doch gern früh auf.