7000 pfeifende bulgarische Fans konnten ihn nicht stoppen: Schwergewichts-Boxweltmeister Wladimir Klitschko weist in Hamburg gegen Kubrat Pulev seine Extraklasse nach.

Hamburg. Die Emotionen eines aufgeheizten Kampfabends waren gegen 2 Uhr am Sonntagmorgen endlich abgekühlt, als sich Johnathon Banks seinen sentimentalen Moment gönnte. „Wenn Manny von oben zugeschaut hat, wird er sehr glücklich sein“, sagte der Cheftrainer von Wladimir Klitschko, „er hat aus Wlad einen aggressiven Kämpfer machen wollen, der seine Überlegenheit ausstrahlt. Heute haben wir den Klitschko gesehen, den er immer sehen wollte.“ Banks, 32, hatte vor zwei Jahren die Arbeit des an Krebs verstorbenen Emanuel „Manny“ Steward übernommen, und an diesem kühlen Novembersonntag in Hamburg konnte er zufrieden ernten, was die US-Trainerlegende einst gesät hatte.

Und tatsächlich kann es nach einem Kampf, der nicht nur die 14.000 Zuschauer in der ausverkauften O2 World von den Sitzen riss, sondern wohl auch viele der 9,16 Millionen, die bei RTL zuschauten, keine Diskussionen mehr um die Klasse des Dreifachweltmeisters aus der Ukraine geben. Innerhalb von knapp fünf Runden, in denen der 38-Jährige den Bulgaren Kubrat Pulev dreimal zu Boden schickte, bevor er ihn mit einem linken Kopfhaken aus dem Lehrbuch schwer ausknockte, wies Klitschko all die Qualitäten nach, die ihm seine zahlreichen Kritiker oft – und zu Recht – abgesprochen hatten. Er war aggressiv wie selten zuvor, zeigte Kämpferherz und Emotionen. „Ich habe Talente, die ich nicht oft zeige, aber heute war es notwendig“, sagte er.

Es war ein Zusammenwirken vieler Faktoren, das eine solche Leistungsexplosion ermöglichte. Da war zunächst Pulevs respektloses Verhalten vor dem Kampf, mit dem er Klitschko tief getroffen hatte. Die ständigen Dopingvorwürfe ärgerten den Champion ebenso wie die Aussage, er kämpfe wie ein Mädchen. „Ich habe nie einen so arroganten und unfairen Gegner erlebt wie Pulev“, sagte er. Dass er beim Einmarsch in die Arena von den rund 7000 bulgarischen Fans gellend ausgepfiffen wurde, überraschte ihn ebenso, wie es ihn antrieb. „Ich liebe es, wenn die Fans gegen mich sind, auch wenn ich es gerade in Hamburg nicht erwartet hatte“, sagte er. In seiner Wahlheimat möchte Klitschko künftig einmal im Jahr boxen.

Vor allem aber stieg Pulev, anders als so viele Klitschko-Gegner vor ihm, zum Kämpfen in den Ring. Der 33-Jährige, in zuvor 20 Profikämpfen unbesiegter Pflichtherausforderer des Verbands IBF, rannte mutig und offensiv in sein Verderben. Zwar gelang es der „Kobra“, so sein Kampfname, den weltbesten Jab, auf den Klitschko normalerweise die Kämpfe aufbaut, durch frühes Attackieren zu unterbinden und ein ums andere Mal gefährliche Konter zu setzen. Entschieden wurde der Kampf jedoch, weil Pulev seine Deckung vergaß. „Ich glaube, Pulev hat nicht verstanden, dass er in die Champions League aufgestiegen war. Er hat so offen geboxt wie als Amateur“, sagte Klitschko.

Dass auf der Pressekonferenz nach dem Kampf der Stuhl des Bulgaren leer blieb, war der ironische Schlusspunkt einer Kampfwoche, die genauso begonnen hatte: mit einem leeren Stuhl. Pulev hatte am vergangenen Montag als Reaktion auf den jahrelangen Streit zwischen Klitschko-Manager Bernd Bönte und seinem Promoter Sauerland Event die Medienrunde in einem Hamburger Hotel geschwänzt; es war der Auftakt gewesen zu besagter Reihe von Respektlosigkeiten, die Klitschko hart kritisierte. „Kubrat hat heute für alles bezahlt. Ich wollte ihn bestrafen, auch wenn ich darüber meine Emotionen nicht kontrolliert und meine Linie verloren habe“, sagte er. Dennoch war er Sportsmann genug, dem Unterlegenen Genesungswünsche ins Universitätsklinikum Eppendorf hinterherzurufen.

Dorthin war Pulev direkt nach dem Kampf gebracht worden, um schwere gesundheitliche Schäden auszuschließen. Zum Glück bestätigten sich die befürchteten Brüche von Jochbein und Nase nicht, zwei tiefe Cuts, multiple Prellungen und eine Gehirnerschütterung blieben die einzigen Andenken an die schwerste Tracht Prügel seines Lebens. Das Durcheinander in Pulevs Kopf hatte dazu geführt, dass er in seiner Stellungnahme im Ring davon sprach, Klitschko habe „Glück gehabt“ und sei „ein schlechter Spieler“. Da schwiegen selbst seine zahlreichen Landsleute im Publikum betreten.

Natürlich brachen anschließend wieder Diskussionen um die Schwäche des Schwergewichts los. Sie sind so falsch wie respektlos. Vielmehr gilt es endlich anzuerkennen, dass Klitschko in einer eigenen Klasse regiert, und dass es unter ihm eine Reihe starker Kämpfer gibt, die auch in Zukunft an seinem Thron rütteln werden. Nachdem der US-Sender HBO sich die Rechte an drei Klitschko-Kämpfen (inklusive Pulev) gesichert hatte, verdichten sich die Zeichen, dass der für April 2015 geplante nächste Auftritt in den USA stattfindet. Allerdings wird es noch nicht um den WBC-WM-Titel gehen, den einzigen der vier wichtigen Welttitel, der Klitschko in seiner Sammlung noch fehlt, da zunächst Titelträger Bermane Stiverne (Kanada) gegen US-Hoffnung Deontay Wilder antreten muss.

April-Gegner in Übersee könnte deshalb Bryant Jennings sein. Shannon Briggs, der auf Einladung von RTL (Vertrag mit Klitschko läuft nach nächstem Kampf aus) am Ring seine peinlichen Späßchen abspulte, ist kein Thema. Sollte der nächste Kampf doch in Europa stattfinden, wäre der Sieger des britischen Duells zwischen Tyson Fury und Dereck Chisora am 29. November eine gute Option. Man mag in all diesen Sportlern eher Opfer sehen als Gegner. Aber einem Wladimir Klitschko, der seine Kontrahenten nicht nur mit der Intelligenz eines Schachspielers kontrolliert, sondern sie mit der Wucht eines Stahlhammers abserviert, wird immerhin niemand mehr langweilende Dominanz vorhalten können.