Mercedes-Pilot siegt in São Paulo und belebt seine WM-Chancen in der Formel 1

São Paulo. Nico Rosberg war hin und her gerissen. Sollte er sich jetzt freuen über seinen fünften Saisonsieg beim Großen Preis von Brasilien? Oder überwog die Enttäuschung darüber, dass Lewis Hamilton als Zweiter ins Ziel kam und weiterhin die besten Aussichten auf den Formel-1-Titel hat? Der Mercedes-Pilot entschied sich für eine Doppelstrategie. Er strahlte, als er den etwas unförmigen Pokal in den Himmel reckte, er spritzte auch mit dem Champagner wie nach jedem seiner vorherigen vier Saisonsiege. Als sein Blick jedoch nach rechts wanderte, gefror seine Miene. Dort stand Hamilton und war sichtlich zufrieden damit, den Schaden an seiner Titelmission im vorletzten Rennen in denkbar engen Grenzen gehalten zu haben. Mit 17 Punkten Vorsprung bleibt der Brite der große Favorit auf die Krone.

Es war ein turbulentes Rennen, obwohl der zuvor angekündigte – und von Rosberg herbeigesehnte – Regen ausblieb. Davon profitierten beide Silberpfeil-Piloten, die in dieser Saison ohnehin nur durch Wetter- oder andere Kapriolen zu stoppen waren. Die Williams-Fahrer Felipe Massa und Valtteri Bottas, die hinter Rosberg und Hamilton gestartet waren, konnten schon früh nicht mehr folgen und bemühten sich fortan einzig darum, als Beste vom Rest des Feldes ins Ziel zu kommen. Es gelang zumindest Massa, am Ende sicherte sich der Brasilianer bei seinem Heimrennen den dritten Platz auf dem Podest und feierte enthemmt mit den Fans in São Paulo.

Den Sieg machte das Mercedes-Duo aber unter sich aus. Wie schon in Austin startete Hamilton verhalten und verzichtete auf eine frühe Attacke. Stattdessen hetzte er den Deutschen über den frisch asphaltierten Kurs wie bei einer Treibjagd. Doch Rosberg hielt dem Dauerdruck stand und ließ sich dabei auch nicht von den zahlreichen Boxenstopps aus dem Rhythmus bringen. Die neue, raue Streckenoberfläche zwang beinahe jeden Piloten zu drei Reifenwechseln.

Rosbergs Crew arbeitete beim ersten Garagenbesuch zwar zwei Zehntelsekunden langsamer als die von Hamilton. Dennoch behielt der Deutsche seine Führungsposition im teaminternen Zweikampf und nutzte in der Folge den zweiten Rennabschnitt, um den entscheidenden Vorsprung herauszufahren. Vor allem Force-India-Fahrer Nico Hülkenberg, der am Ende starker Achter wurde, spielte dabei eine Schlüsselrolle. Während Rosberg seinen Landsmann problemlos überholte, mühte sich Hamilton rundenlang damit ab, an dem Emmericher vorbeizuziehen. Als er es endlich geschafft hatte, hatte sich Rosberg ein komfortables Polster herausgefahren. „Ich bin sehr glücklich, das ganze Wochenende habe ich mich sehr gut gefühlt“, jubelte er später erleichtert: „Alles hat gut funktioniert.“

Dass er von seinem Vorsprung bis zum Ende zehren konnte, hatte er unter anderem einem groben Fahrfehler seines Rivalen zu verdanken. Der Mann aus Stevenage riskierte in Runde 28 zu viel, rutschte am Ende der Start-Ziel-Geraden von der Strecke und verlor rund sieben Sekunden – zu viel, um in dem engen Zweikampf der beiden Team-Kollegen noch eine Siegchance zu haben. „Es war ein unglaubliches Rennen“, sagte Hamilton später: „Alles läuft jetzt auf das letzte Rennen in Abu Dhabi hinaus.“

Dort muss er, einen neuerlichen Rosberg-Sieg vorausgesetzt, mindestens Dritter werden, um sich seinen Traum vom zweiten Titel zu erfüllen. In Abu Dhabi wird erstmals in der Formel-1-Geschichte die doppelte Punktemenge ausgeschüttet. Die Regel ist seit ihrer Bekanntgabe umstritten. Zumindest Rosberg dürfte allerdings froh über diese Laune des Automobil-Weltverbands Fia sein. Sie eröffnet ihm eine realistische Perspektive auf seine erste WM-Krone.

Ein deutscher Nachfolger von Sebastian Vettel, der in São Paulo nach einem beherzten Rennen Fünfter wurde, wäre immer noch eine Überraschung, schließlich dominierte Hamilton die Saison mit zehn Grand-Prix-Siegen. Doch seit dem Sonntag von Brasilien ist Rosberg dieser Coup wieder zuzutrauen. Fast genau so wichtig wie für den Punktestand war der Sieg für das Selbstvertrauen des Weltmeistersohnes.

Der gebürtige Wiesbadener muss sich in den vergangenen Wochen vorgekommen sein wie in einem schlechten Film, der in Dauerschleife läuft. In Monza, Suzuka, Sotschi und am vergangenen Sonntag in Austin hatte er jeweils im direkten Duell mit Hamilton den Kürzeren gezogen, obwohl er zumeist von der besseren Position aus ins Rennen gestartet war. Schonungslos hatte ihm Hamilton vorgeführt, dass ein Formel-1-Wochenende aus mehr als einer schnellen Runde im Qualifying besteht. Doch diesmal hatte der 29-Jährige seine Nerven im Griff. Mit seinem ersten Grand-Prix-Sieg seit Ende Juli hat Rosberg eindrucksvoll demonstriert, dass er diese Lektion gelernt hat.